Vor 6 Tagen
Klimaökonomin Sigrid Stagl ist Wissenschaftlerin des Jahres 2024
Der Klub der Bildungs- und Wissenschaftsjournalistinnen würdigt Vermittlungsarbeit der Waldviertlerin, die sich für Klimaschutzmaßnahmen und ein ökologischeres Wirtschaftssystem stark macht
Die Öko-Ökonomin Sigrid Stagl ist „Wissenschaftlerin des Jahres 2024“. Am Dienstag überreichte der „Klub der Bildungs- und Wissenschaftsjournalist:innen“ der Forscherin von der Wirtschaftsuniversität (WU) Wien den Preis. Mit ihm wird sie für die Vermittlung ihrer wissenschaftlichen Arbeit zum Umgang mit dem Klimawandel, der Energiekrise und anderen zentralen gesellschaftlichen Herausforderungen geehrt.
Emissionshandel und CO2-Zertifikate, Energiewende, Gaskrise, Kreislaufwirtschaft – es gibt viele viel diskutierte Themen, die sich um Stagls Arbeitsschwerpunkt, die nachhaltige Transformation der Wirtschaft, ranken. Ja, das Bewusstsein für die Endlichkeit der Ressourcen und ein neues, nicht nur auf Wachstum ausgelegtes Wirtschaftssystem sei gestiegen, sagte die Professorin für Ökologische Ökonomie zur APA: „Ich beobachte, dass durchgehend die Message angekommen ist.“
Klimapolitik muss „Teil der Wirtschaft“ sein
„Es gibt natürlich manche Teile der Wirtschaft, wo man versucht, alte Geschäftsmodelle so lange wie möglich zu nutzen und damit Gewinne zu machen.“ Am anderen Ende des Spektrums stehe „eine Avantgarde“ – österreichische Innovatoren, „die wirklich Weltspitze sind“. Dazwischen zeige sich das breite Mittelfeld, wo sich aber auch einiges in Richtung Innovation tue. Dennoch, die gesamtgesellschaftlichen und vor allem auch politischen Reaktionen auf den dringend geforderten Systemumbau würden noch viele Wünsche offenlassen.
„Das Wichtigste wäre meines Erachtens, dass man Klimapolitik nicht als eigenen Bereich sieht, sondern als Teil der Wirtschaft, der Wettbewerbs- und der Industriepolitik“, sagte die 56-jährige Wissenschaftlerin des WU-Departments für Sozioökonomie: Innerhalb der physischen Grenzen wirtschaftlich erfolgreich zu sein erfordere, „dass man Klima- und Umweltagenden immer mitdenkt“.
„Klimaschutz ist weder Luxus noch Ideologie“
„Um die Zweigradgrenze nicht zu überschreiten, müssen die globalen Emissionen jährlich um sechs bis acht Prozent sinken“, betonte Stagl zudem in der Aussendung zur Preisverleihung: „Österreich braucht den Mut, diese Realität anzuerkennen und konsequent zu handeln. Klimaschutz ist weder ein Luxus noch eine Frage der Ideologie – er ist Basis für die langfristige Entwicklung der Menschheit und Schutz der Lebensgrundlage.“
Auch in Zeiten, in denen eine Budgetkonsolidierung im Zentrum stehe, müsse das nachhaltige Wirtschaften, „ein Zukunftsthema“ wie auch die Bildung, mitgedacht werden. „Es gibt aber ‚low hanging fruits'“, so die Ökonomin: „Es gibt sehr wohl Möglichkeiten, wie man Klima- und Umweltpolitik betreiben kann, die nicht so teuer ist wie die Klima- und Umweltpolitik, wie wir sie in den letzten Jahren betrieben haben.“
Als Beispiele nennt die Forscherin die CO2-Besteuerung oder das Abschaffen staatlicher Unterstützung für klima- und umweltschädliche Technologien. In der Literatur würden diese „klima-kontraproduktiven Subventionen“ teilweise „als perverse Subventionen bezeichnet“. Ein weiteres Beispiel für eine Maßnahme, die „ganz, ganz wenig“ kostet, die „aber wirklich viel bringen“ kann, seien die – hierzulande besonders emotional diskutierten – Geschwindigkeitsbegrenzungen im Straßenverkehr.
Es sind Optionen, die die Ökonomin schon oft öffentlich postuliert hat: „In meinem Bereich – wenn man wissenschaftliche Artikel liest und wenn man der Politik zuhört, gibt es sehr viel Potenzial, frustriert zu werden“, gab Stagl zu: „Zum Glück bleibt es bei mir nicht lange hängen. Sondern ich versuche immer wieder, Gelegenheiten zu suchen, um dann hilfreich zu sein, das System voranzutreiben.“
Pionierin der Klimaökonomie
Die Forscherin, die aus dem Waldviertel (NÖ) stammt und die als erste Person weltweit in „Ökologischer Ökonomie“ in den späten 1990er-Jahren in den USA promovierte, engagiert sich für ihr Anliegen auch im Rahmen der „Scientists for Future“-Bewegung wie auch als Vertreterin in verschiedenen Gremien, etwa als Mitglied des Generalrates der Österreichischen Nationalbank. Ihre Expertise war auch wiederholt im Klimaschutzministerium (BMK) gefragt, in dessen Auftrag sie mehrere Studien und auch Rechtsgutachten anfertigte.
Die nun erfolgte Auszeichnung zur „Wissenschaftlerin des Jahres sei ihr „sehr wichtig“: Der im Jahr 1999 mit dem Preis ausgezeichnete Wirtschaftswissenschaftler und spätere WU-Rektor Christoph Badelt habe „in der Volkswirtschaftslehre die soziale Dimension in den Vordergrund gerückt“, sie versuche, zusätzlich die Umweltdimensionen in den Vordergrund zu rücken. „So gesehen kann man von der Fortsetzung einer Tradition sprechen“, so Stagl. Ökonomie brauche den gesellschaftlichen und natürlichen Kontext, „um gesellschaftlich relevante Empfehlungen gut abgeben zu können“.
Eine andere Baustelle birgt für Stagl das „Gender-Thema“ in den in der Öffentlichkeit wohl bisweilen als eher konservativ geltenden Wirtschaftswissenschaften: „Es ist in der Volkswirtschaft ähnlich wie in den MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik, Anm.), dass Frauen deutlich unterrepräsentiert sind. Nur: In der gesellschaftlichen Wahrnehmung ist das noch nicht so angekommen.“ Und: „Da haben wir noch etwas nachzuholen“, so die Wissenschaftlerin, die für sich aber aus der Situation, als Frau allein auf weiter Flur tätig zu sein – so etwa damals an der University of Sussex (Großbritannien) im Bereich der Energieökonomie – „nie einen Nachteil gesehen“ hat. In der Ökologischen Ökonomie an der WU Wien gelinge es mittlerweile recht gut, „Frauen zu attrahieren“.
„Mir ist es ein Anliegen, immer zu kommunizieren: Die Wirtschaft ist Teil der Gesellschaft“ und sei von der Umwelt abhängig. Wenn jungen Menschen Umweltthemen wichtig sind, biete sich ein Wirtschaftsstudium an. Es sei essenziell, gerade die wirtschaftlichen Hebel umzustellen, „um die Umwelt- und Klimakrise zu bewältigen“: Das sei eine Message, die sie versuche, bei jungen Menschen bei jeder Gelegenheit – etwa bei Schulbesuchen – anzubringen. Sie wolle „hier ein bisschen ein Pflänzchen säen“.
Nachdem der Preis mit der Virologin Elisabeth Puchhammer-Stöckl (2020) und dem Komplexitätsforscher Peter Klimek (2021) zweimal in Serie an Forschende aus dem Bereich der Coronavirus-Pandemie gegangen war, machte nun nach dem Umweltökologen Franz Essl (2022) und der Glaziologin Andrea Fischer (2023) zum dritten Mal in Serie eine Forscherin aus dem Bereich Umwelt- und Klimaschutz das Rennen – diesmal aus dem Blickpunkt der Wirtschaft.