Kategorie Innovation & Technologie - 30. Mai 2018

Interview mit Andreas Reichhardt: „Müssen die Mobilitätswende als Chance verstehen“

Andreas Reichhardt, Generalsekretär des Bundesministeriums für Verkehr, Innovation und Technologie (BMVIT) über den initiierten Prozess auf dem Weg zur Mobilitätswende in Österreich, die anstehende österreichische EU-Ratspräsidentschaft und seine Wünsche für die Zukunft.

Mobilität ist ein absolutes Grundbedürfnis des Menschen und für unsere Wirtschaft von entscheidender Bedeutung.

 

Bis zum Jahr 2050 haben wir noch 32 Jahre: Was wird die Zukunft bringen, worauf freuen Sie sich besonders?

Die nächsten 32 Jahre werden in Sachen Mobilität auf jeden Fall spannend! Als Bundesregierung haben wir uns eine umwelt- und innovationsfreundliche Mobilitätswende vorgenommen. Dafür müssen viele Hebel in Bewegung gesetzt werden. Aus meiner Sicht werden Technologien wie der Elektrifizierung (inklusive Wasserstoffmobilität), der Digitalisierung und der Automatisierung sicher Schlüsselrollen zukommen. Wir beobachten da ganz neue Marktteilnehmer und viele disruptive Ansätze.

Was sind die Herausforderungen, denen sich Österreich derzeit in Bezug auf Mobilität und Infrastruktur stellt?

Mobilität ist ein absolutes Grundbedürfnis des Menschen und für unsere Wirtschaft von entscheidender Bedeutung. Einzig im Verkehrssektor sind die Emissionen seit 1990 kontinuierlich gestiegen, hier müssen wir eine Trendwende hinbekommen. Dafür braucht es einerseits physische Infrastruktur – einerseits für den öffentlichen Verkehr aber auch für Fahrradfahrer und Fußgänger. Andererseits benötigen wir auch die entsprechende digitale Infrastruktur, um von neuen technischen Möglichkeiten zu profitieren. Wichtig ist mir zu betonen, dass wir uns auf ein völlig neues Ökosystem von Anbietern einstellen müssen – hier geht es auch um neue Rollen und neue Betreibermodelle. Die Infrastruktur, gerade für den öffentlichen Verkehr, bleibt natürlich das Rückgrat für zukünftige Mobilität-als-Service-Lösungen.

Andreas Reichhardt im Interview, © BMVIT/Zinner

Österreich hat neben vielen urbanen Räumen auch eine Vielzahl an ländlichen Regionen, die von umfassenden Mobilitätsangeboten abhängig sind. Wie können diese Regionen von der anstehenden Digitalisierung und Automatisierung konkret profitieren?

Gerade in ländlichen Regionen bieten neue Technologien auch neue Möglichkeiten. Öffentlich zugängliche, bedarfsorientierte Mobilität im ländlichen Raum sicherzustellen, ist uns ein großes Anliegen. Da geht es gar nicht so sehr um einen kompletten Autoersatz – obwohl die Autos zukünftig natürlich emissionsfrei sein werden. Vielmehr ist uns eine Ergänzung der Mobilitätsoptionen, und damit vielleicht der Ersatz von Zwei- oder Drittautos, wichtig. Um ein Beispiel zu nennen: Wir unterstützen im Land Salzburg das Projekt Digibus. Dort soll ein automatisierter und elektrisch betriebener Shuttlebus in Koppel die Anbindung der Gemeinde an den öffentlichen Verkehr in Richtung Salzburg Stadt sicherstellen. Mittlerweile gibt es auch viele tolle E-Carsharing-Projekte im ländlichen Raum – die Nutzung wird durch digitale Tools zur Buchung oder Bezahlung natürlich enorm erleichtert.

Was sind konkrete Maßnahmen, die das BMVIT in Richtung Mobilitätswende unternimmt? Wie kann das BMVIT Mobilitätsanbieter am Weg Richtung Zukunft unterstützen?

Die Mobilitätswende hat aus meiner Sicht zwei vordringliche Ziele: erstens geht es um eine schrittweise Dekarbonisierung und um Rahmenbedingungen für CO2-arme Mobilität. Zweitens gibt es in Österreich viele hervorragende Unternehmen und Forschungseinrichtungen, die in Bereichen wie Elektromobilität, automatisiertes Fahren oder Mobilitätsservices arbeiten. Gerade mit unseren Forschungsprogrammen unterstützen wir ganz konkret Neuentwicklungen seit vielen Jahren. Mit der integrierten Klima- und Energiestrategie haben das BMNT und wir die ersten Schritte in Richtung innovationsfreundlicher Dekarbonisierung skizziert – es geht um rechtliche und ökonomische Rahmenbedingungen, Infrastruktur, Forschung, Bewusstseinsbildung und vieles mehr.

Mit Leuchtturmprojekten in den Bereichen effiziente Güterverkehrslogistik, schienengebundener öffentlicher Verkehr und E-Mobilität haben wir uns auch konkrete Maßnahmen vorgenommen. Ein ganz wichtiges Element der Mobilitätswende ist darüber hinaus ein konstanter Dialog mit anderen Ministerien, den Ländern, den Gemeinden, Verbänden und Unternehmen. Daher führen wir als BMVIT gerade einen Stakeholder-Prozess „Mobilitätswende 2030“ durch, wo wir nächste Schritte in Richtung Mobilitätswende u.a. in Veranstaltungen in allen 9 Bundesländern diskutieren. Ziel ist ein gemeinsamer Aktionsplan „Saubere und wettbewerbsfähige Mobilität 2030“, in dem sich Bund, Länder und Gemeinden gemeinsam zu ganz konkreten Schritten in Richtung Erreichung der ambitionierten Klima- und Energieziele 2030 verpflichten. Die Wirkung konkreter Maßnahmen lassen wir darüber hinaus auch derzeit in einem Sachstandsbericht Mobilität analysieren, der im September 2018 veröffentlicht wird.

Ganz wichtig, gerade für uns als Verkehrsministerium, ist klarzustellen, dass Mobilität und damit auch negative Wirkungen kein Selbstzweck sind.

 

Welche Akzente wird das BMVIT mit der Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft setzen wollen?

Auch in der EU-Ratspräsidentschaft liegt uns das Thema Dekarbonisierung des Verkehrssektors am Herzen, daher organisieren wir beispielsweise gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen im BMNT einen informellen Rat der Umwelt- und Verkehrsminister Ende Oktober in Graz. Mit unseren europäischen Amtskolleginnen und -kollegen wollen wir diskutieren, wo wir weitere gemeinsame Akzente setzen können, um eine europaweite Mobilitätswende im Sinne aller Bürgerinnen und Bürger voranzutreiben.

Was halten Sie für die wichtigste Maßnahme, um die Pariser Klimaziele bis 2050 erreichen zu können?

Ganz wichtig, gerade für uns als Verkehrsministerium, ist klarzustellen, dass Mobilität und damit auch negative Wirkungen kein Selbstzweck sind. Das enorme Wachstum im Güterverkehr ist ja beispielsweise das Ergebnis von Konsumentscheidungen und Produktionsmustern wie dem Anstieg von eCommerce. Wie wir persönlich mobil sind, hängt davon ab, wo wir leben, wo wir arbeiten, welches Angebot uns in welcher Qualität zur Verfügung steht und so weiter. Wir können hier als BMVIT keine Vorgehensweise verordnen, sondern nur einerseits unsere Hausaufgaben machen und beispielsweise verstärkt in die Schiene investieren, andererseits aber in einen intensiven Dialogprozess eintreten, um gemeinsam Maßnahmen zu entwickeln. Das mag vielen mühsam und langwierig erscheinen, aber es geht nun mal um einen Mega-Transformationsprozess, der uns letztlich alle ganz persönlich berührt und den wir nicht vorschreiben können.

Wie ist ihr persönliches Mobilitätsverhalten, schwören Sie auf ein Mobilitätsmittel oder ist Ihr Verhalten eher flexibel?

Ich bin begeistert von flexibler Mobilität, wie von tollen E- oder Brennstoffzellen-Autos, vom Scooter oder Streetstepper – flexible Mobilität, wie ich sie auch täglich im Ministerium erleben kann.

Was wünschen Sie sich von der Gegenwart für die Zukunft?

Ich wünsche mir vor allem, dass wir lernen, gerade die Herausforderungen im Verkehrssektor als Chance zu verstehen. Als Chance für unsere Wirtschaft, als Chance für unser Forschung und vor allem auch als Chance für unsere ganz persönliche Mobilität. Eine Rückbesinnung auf sanfte Mobilität ist gut für unsere Gesundheit, der Nutzen digitaler Möglichkeiten erlaubt geteilte Mobilität oder eine zukünftig effizientere Logistik. Mit der integrierten Klima- und Energiestrategie haben wir ein klares Ziel vorgegeben: Die Emissionen im Verkehrssektor sollen bis 2030 um 7,2 Millionen Tonnen CO2e gesenkt werden. Das ist eine gewaltige Herausforderungen und je positiver wir diese annehmen, desto besser für Österreich!


 

Das Interview erschien auf Austrian Roadmap 2050, Österreichs Plattform für die Mobilität & Infrastruktur der Zukunft.

INFObox: Andreas Reichhardt wurde mit 1. Jänner 2018 zum Generalsekretär des BMVIT ernannt. Er ist ebenfalls Leiter der Sektion III „Innovation und Telekommunikation“. Österreich übernimmt am 1. Juli 2018 zum dritten Mal, nach 1998 und 2006, für sechs Monate den Vorsitz im Rat der Europäischen Union. Der Vorsitz steht unter dem Motto „Europa, das schützt“.