Kategorie Mobilität - 17. Dezember 2019
Bahnstolz: Wie die ÖBB Österreich & Europa im Zug erobern
In den frühen Morgenstunden des Sonntags, 15. Dezember war es wieder soweit: In ganz Europa wurden die neuen Fahrpläne für die Bahn aktiviert, auch bei den ÖBB trat dieser in Kraft. In Österreich bringt die Umstellung einen massiven Ausbau des Nah- und Regionalverkehrs: Ganze vier Millionen zusätzliche Zugkilometer sind geplant. Dazu kommen neue Fernverkehrs- und Nightjet-Verbindungen. Mit den ÖBB können so inzwischen 14 europäische Länder bereist werden.
Bei den geplanten zusätzlichen vier Millionen Zugkilometern handle es sich um „die größte Ausweitung der letzten Jahre, wenn nicht sogar Jahrzehnte“, so ÖBB-Vorstandsvorsitzender Andreas Matthä. In der Ostregion soll es ein Plus von zehn Prozent geben, mit verbesserten Intervallen und längeren Betriebszeiten.
300 Fernverkehrszüge, davon mehr als die Hälfte im internationalen Fernverkehr, bieten die ÖBB bereits an. Der neue Fahrplan bringt zusätzliche Verbindungen. Von Wien über Salzburg und Innsbruck wollen die ÖBB ihre Fahrgäste täglich in die Südtiroler Landeshauptstadt Bozen bringen. Mit Direktverbindungen von Graz über Wien und Krakau nach Przemysl in Polen sowie von Wien über Debrecen nach Satu Mare in Rumänien werden weitere Destinationen in den Fahrplan 2020 aufgenommen. Ab dem 4. Mai 2020 steht Fahrgästen zudem eine weitere Direktverbindung nach Berlin zur Auswahl. Von Graz geht es über Wien ohne Umsteigen nach Dresden und in die deutsche Bundeshauptstadt.
Es sind Gleisgeschichten wie diese, die Österreichs Vorreiterrolle als eines der führenden Bahnländer belegen. Hierzulande werden pro Person doppelt so viele Kilometer mit Bahn, Bim und U-Bahn gefahren wie im EU-Schnitt, zeigte erst im Oktober die jährliche VCÖ-Analyse auf Basis von Daten der EU-Kommission. Mit 2.260 Kilometer pro Person und Jahr ist Österreich auf der Schiene klarer EU-Spitzenreiter – ein Trend der nunmehr seit 2015 anhält, als Österreich zum ersten Mal den Spitzenplatz eroberte.
Erfolgsgeschichte Nightjet
Ein bemerkenswertes Kapitel haben die ÖBB mit ihren Nachtzügen aufgeschlagen. Eine völlige Umkehrung des absurden Trends der meisten europäischen Bahnbetreiber, Nachtzüge aus dem Verkehr zu ziehen, begegnen die ÖBB mit der Übernahme und der Einführung mehrerer neuer Nachtzugverbindungen. Zu Buche steht eine grandiose Erfolgsgeschichte des ÖBB-Nightjets, die in vielen europäischen Gazetten bewundernd hervorgehoben und von Süd bis Nord teils prominente Lobpreisung erlebt.
Ein Highlight wird die bereits angekündigte Nachtverbindung Wien – Brüssel. Der Start ist für Jänner 2020 vorgesehen, vorerst zweimal wöchentlich. Der Buchungsstart beginnt Anfang Dezember. Ein Jahr später soll eine direkte Nachtverbindung nach Amsterdam folgen. Nicht die letzten Destinationen, wie die ÖBB ankündigen, man sei bereits mit einigen weiteren Staatsbahnen in Kontakt.
Ihre Ausbaupläne unterstreichen die ÖBB mit dreizehn neu in Auftrag gegebenen Nightjets. Die Produktion der hochmodernen Züge läuft beim Hersteller Siemens in Wien-Simmering gerade an, ab 2022 sollen sie zunächst im Italien-Verkehr und später in ganz Europa zum Einsatz kommen. Keine kleine Investitition zur großen Nachtzug-Renaissance, dennoch soll das Geschäft damit profitabel ausfallen. Allein als Marketinginstrument sind sie derzeit über den Kontinent hinaus herzeigbar, böten besseren Komfort und zeitgemässes Design, hinzu kämen sehr viel mehr lukrative Schlafwagenplätze in den Verkauf als bisher, womit auch die Wirtschaftlichkeit erhöht werden wird.
Für alle, die mit Fotos mehr anfangen können: So schauen die neuen #nightjet ab 2022 aus 😍#nightjetliebe pic.twitter.com/5GWhXqoKnG
— ÖBB (@unsereOEBB) November 25, 2019
Klimadebatte und sogenannte Flugscham haben dem Nachtzug Auftrieb verliehen und den ÖBB in ihrer Strategie in die Karten gespielt. Sie rechnen fest damit, dass man in den kommenden Jahren europaweit ordentlich wachsen wird.
So oder so wird für 2019 ein neuer Fahrgastrekord erwartet. Für neue Züge, Umrüstungen und eine Serviceinitiative habe die Bahn „ein Investitionsvolumen von 2,8 Milliarden Euro am Start“, kündigte Matthä an, der die ÖBB nach wie vor als „größtes Klimaschutzunternehmen Österreichs“ sieht.
Um Fahrgästen die Orientierung im neuen Fahrplan zu erleichtern, sorgen in den nächsten Tagen zusätzliche ÖBB Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für Unterstützung auf Österreichs größten Bahnhöfen. Beim Fahrplanwechsel kommt es mitunter zu geringen Änderungen bei Abfahrts- und Ankunftszeiten. Die ÖBB empfehlen daher, sich bereits jetzt über etwaige Änderungen auf der gewohnten Verbindung zu informieren.
Neuerungen im nationalen Fernverkehr
Attraktiver wird im kommenden Fahrplanjahr auch das Bahnreisen im nationalen Fernverkehr mit zusätzlich geplanten Verbindungen am Tagesrand: Von Wien Hauptbahnhof geht es spätabends direkt nach Graz, von Graz frühmorgens nach Villach. Für die optimale Anreise in den Skiurlaub wird es an den Winterwochenenden erstmalig eine direkte Zugverbindung von Wien über Linz und weiter auf der Pyhrn- und Ennstalbahn in die Skiregion Schladming-Dachstein und weiter nach Bischofshofen geben.
Deutlicher Ausbau im Nahverkehr
Die Verkehrsdienstebesteller bauen österreichweit das Angebot im Nah- und Regionalverkehr deutlich aus. Fahrgäste profitieren dadurch von mehr und noch besseren Verbindungen. Insgesamt sind österreichweit Ausweitungen von rund 4 Millionen zusätzlichen Zugkilometern geplant.
Nacht-S-Bahn in Wien und Niederösterreich
Auf der S-Bahn-Stammstrecke zwischen Wien Floridsdorf und Wien Meidling und über die Stadtgrenze hinaus bis Mödling fährt ab Fahrplanwechsel die Schnellbahn im durchgängigen 30-Minuten-Takt. Ebenfalls erweitert werden die Betriebszeiten auf der Wiener Vorortelinie: Jede halbe Stunde sind zwischen Wien Hütteldorf und Wien Handelskai die Garnituren der S45 unterwegs. Die Nacht-S-Bahn fährt in den Nächten von Freitag auf Samstag, Samstag auf Sonntag und die Nächte auf Feiertage durchgehend jede halbe Stunde.
Als gebürtiger Kärntner freute es Bahnchef Matthä ungemein, im Rahmen der Jungfernfahrt auf der Gailtalbahn ein neues grünes Bahn-Zeitalter in der Region einzuläuten. „Wir verstehen uns als moderner Mobilitätsanbieter – sicher, bequem und dazu noch umweltfreundlich. Der Ausbau der Schieneninfrastruktur in Kärnten schreitet voran: Wir haben in diesem Jahr in Kärnten 250 Millionen Euro investiert – nächstes Jahr werden es 290 Millionen sein. Vielen Dank an den Bund, das Land und die Gemeinden für den Schulterschluss bei so vielen Projekten, die wir – wie etwa hier im Gailtal – so erfolgreich umsetzen können.“
Die Arbeiten im Detail
Im Zuge der Modernisierung und Elektrifizierung der Strecke Arnoldstein – Hermagor wurden alle Bahnhöfe komplett modernisiert und barrierefrei umgebaut. Insgesamt 141 Park & Ride-Plätze (davon 9 für mobilitätseingeschränkte Menschen), 90 Bike & Ride-Plätze sowie 40 Mopedstellplatze wurden in neuer Ausstattungsqualität errichtet.
Auf der Strecke wurden 879 Oberleitungsmasten errichtet und 30 km Fahrdraht installiert. Bei Arnoldstein wurde außerdem die 124 Jahre alte Gailbrücke gegen eine 235 Tonnen schwere neue Brücke ersetzt. Auch die Verkehrssicherheit konnte durch die Auflassung von 21 Eisenbahnkreuzungen deutlich verbessert werden. Dafür wurden unter anderem auch 8,2 km Ersatzwege errichtet.
Im Projektgebiet befinden sich auch Natura 2000 Gebiete, Europaschutzgebiete, Vogelschutzgebiete und Naturdenkmäler. Ein umfangreiches Maßnahmenpaket zum Schutz von Flora und Fauna wurde umgesetzt: Bauzeiteinschränkungen während Brut- und Laichzeiten, Schutzmaßnahmen für angrenzende Biotope, Wiederherstellung beanspruchter Flächen und Schaffung von Ersatzmaßnahmen. Die Oberleitungsmasten im Projektgebiet wurden zum Schutz stark bedrohter Vogelarten wie z.B. den Uhu, Graureiher, Schwarz- und Weißstorch im Rahmen der ÖBB-Umweltinitiative „Freie Flugbahn für den Uhu“ über die gesamte Strecke mit Vogelschutzhauben versehen.
Das Verkehrsministerium, die ÖBB und das Land Kärnten haben in die Modernisierung der Gailtalbahn von 2018 bis 2019 rund 61 Millionen Euro investiert. Über Monate verkehrte ein Schienenersatzverkehr mit Bussen zwischen Arnoldstein und Hermagor, nun ist das ökologische E-Zeitalter im Gailtal angebrochen.
Bis in den November hinein arbeiteten die Expertinnen und Experten der ÖBB mit Hochdruck an folgenden Aufgaben:
- Gamperl- Wagner und Rumplergrabenviadukt: Einbau einer lastverteilenden Platte unter Gleis 2, anschließender Lückenschluss zw. Platte Gleis 1 (errichtet 2018) und Platte Gleis 2 und Gesamt-Revitalisierung der Viadukte
- Abtrag und Wiederaufbringen der Brüstungsmauern am Gamperl- und Wagnergrabenviadukt
- Alter Semmeringtunnel: Sanierung Sohlkanal und Einbau Stromschiene
- Neubau Weichenverbindung im Bereich Unterwerk Semmering
- Gleisneulagen im Streckenabschnitt Payerbach – Breitenstein
- Erneuerung der Bahnsteige im Bf. Eichberg
- Sanierung von Durchlässen im Streckenabschnitt Eichberg – Breitenstein
- Errichtung einer Gleisdrainage im Bf. Breitenstein
Präzisionsarbeit bei Viaduktsanierungen
Die größte Herausforderung stellte die Sanierung der Viadukte dar. Die Arbeit glich einem Puzzle-Spiel. Brüstungsmauersteine von Viadukten wurden vermessen, numeriert, abgetragen, per Zug in ein Steinmetzwerk zur Sanierung transportiert und auch per Zug wieder retourniert. Die Reihenfolge, in der die Steine behandelt wurden, musste genau eingehalten werden, um die historische Bausubstanz in der ursprünglichen Form zu bewahren. Außerdem mussten alle Steine erhalten bleiben, da die Steinbrüche aus denen das Material stammt, längst geschlossen sind und somit kein Ersatz mehr verfügbar wäre.
Nach Abtrag der Brüstungsmauern auf einer Gleisseite wurde eine lastverteilende Stahlbeton-Tragwerksplatte im Viadukt eingebaut. Darunter liegt eine elastische Lagerdämmplatte – die beiden Komponenten bilden gemeinsam ein Masse-Feder-System, das den Druck, den ein drüberfahrender Zug ausübt, besser auf den gesamten Untergrund verteilt. Zudem wurde eine neue Tragwerksentwässerung hergestellt, damit es zu keinen Frostschäden kommt. Die Wässer müssen gesammelt und abgeleitet werden, damit diese nicht mehr in die Viadukte eindringen können und somit keine weiteren Schäden anrichten. Über die gesamte Tragwerksbreite wurde die Ankerung erneuert. Dazu bohrte ein rund neun Meter langer Bohrer ein Loch, in dem der Anker gesetzt und dann mit Zement verpresst wurde. Der Anker hat die Funktion, das Viadukt zusammenzuhalten. Schließlich muss so ein Steinmauerwerk auch das enorme Gewicht der Güterzüge tragen.
2018 wurden diese Arbeiten auf einer Gleisseite durchgeführt, bis Mitte 2019 auf der zweiten. Danach wurde die Mittelfuge zwischen den beiden Tragwerksplatten geschlossen. Dafür war im Mai 2019 eine elftägige Totalsperre der Semmering-Bergstrecke erforderlich.
- Wagnergraben-Viadukt: Brüstungsmauern zerlegt in 740 Steine (370 pro Gleisseite)
- Gamperlgraben-Viadukt: Brüstungsmauern zerlegt in 724 Steine (362 pro Gleisseite)
- Am Rumplergraben-Viadukt gibt es keine Brüstungsmauern, das ist das kleinste von allen
- Gewicht der Brüstungsmauersteine: zwischen 1,5 und 8 Tonnen
Die Südstrecke: Vom Reisen der Zukunft
An mehr als 100 großen und kleinen Projekten arbeitet die ÖBB-Infrastruktur AG derzeit entlang der Südstrecke, einem Teil des Baltisch-Adriatischen Korridors. 200 Kilometer Bahnlinie werden modernisiert, 170 Kilometer neu gebaut. 80 km neue Tunnel und 150 neue Brücken errichtet. Über 5.000 Menschen arbeiten daran. Nach der Fertigstellung reisen Fahrgäste umweltfreundlich und sicher mit der Bahn in weniger als zwei Stunden von Wien nach Graz, in 2 Stunden 40 Minuten von Wien nach Klagenfurt, von Graz nach Klagenfurt in 45 Minuten.
Sie passieren, auf insgesamt 470 km, viele neue Bahnhöfe und durchqueren mit hohen Geschwindigkeiten zwei Berge – den Semmering und die Koralpe. Das Projekt Südstrecke umfasst: den Nordbahn-Ausbau, den Ausbau Wien-Bratislava, den neuen Wiener Hauptbahnhof, das Güterzentrum Wien Süd, den Ausbau der Pottendorfer Linie, den Bau des Semmering-Basistunnels, acht modernisierte Bahnhöfe auf dem Weg von Bruck nach Graz sowie den modernisierten Grazer Hauptbahnhof-
Zweiter Tunneldurchschlag an der Koralmbahn erwartet
Dazu gehört auch eine neue Bahnstrecke von 130 Kilometern, die sowohl Südkärnten als auch die Weststeiermark näher an die Landeshauptstädte Graz und Klagenfurt heranrücken lässt. Seit 1999 wird in der Steiermark und seit 2001 in Kärnten die Koralmbahn gebaut. Mit der Inbetriebnahme um 2025 braucht man für die Zugfahrt von Graz nach Klagenfurt statt zwei Stunden Busreise nur mehr 45 Minuten. Auf der gesamten Koralmbahn sind in Zukunft Reisegeschwindigkeiten bis zu 230 km/h möglich.
An der Fertigstellung der Koralmbahn wird weiter fleißig gearbeitet. Nach dem Durchschlag der ersten Rühre im Agust 2018 wird der Durchschlag der zweiten Tunnelröhre im ersten Halbjahr 2020 erwartet. „Wir gehen davon aus, dass wir im Dezember 2025 in Betrieb gehen können“, so Matthäs Prognose.
Auf einem Viertel der Strecke werden die Züge durch Tunnel fahren. Der längste wird mit 32,9 Kilometern der Koralmtunnel sein. Er ist dann der sechslängste Eisenbahntunnel der Welt und verknüpft die Steiermark mit Kärnten. In einer maximalen Tiefe von 1,2 Kilometern durchstoßen zwei parallel laufende Tunnelröhren, die je zehn Meter Außendurchmesser haben, die Koralpe. 23 neue und modernisierte Bahnhöfe und Stationen entlang der Linie stehen für den regionalen Nutzen der Koralmbahn. Um das Umland zu erschließen, wurden zudem auf Kärntner Seite zwei weitere Linien modernisiert: die Lavanttalbahn und die sogenannte Bleiburger Schleife.
Weltrekord im Tunnelbau: Superlativ Brenner Basistunnel
Zur Hälfte ist es vollbracht. Der Brenner Basistunnel (BBT) ist ein Bauwerk der Superlative, welches jetzt bereits Halbzeit feiert. Er ist ein flach verlaufender Eisenbahntunnel zwischen Innsbruck und Franzensfeste in Italien. Inklusive der bereits bestehenden Umfahrung von Innsbruck wird der BBT zur geplanten Eröffnung 2026 mit 64 Kilometern der längste Tunnel der Welt sein und den Gotthard-Tunnel in der Schweiz um sieben Kilometer übertreffen. Die Gesamtlänge der beiden Hauptröhren, des Erkundungsstollens, der Verbindungs- und Zufahrtswege beträgt 230 Kilometer. Ebenfalls ein Weltrekord.
Genau 50 Prozent des insgeamt 230 Kilometer langen Tunnelnetzes des BBTs sind mittlerweile ausgebrochen. Rund 1.900 Beschäftigte arbeiten an den 4 Baulosen des Tunnels, wobei wöchentlich unglaubliche 500 Meter des Tunnels vorgetrieben werden.