Kategorie Innovation & Technologie - 20. November 2015
Tischtennisbälle als Ionenmodell
Wenn ein Chemiker auf einer Bühne im ausverkauften Mumuth der Kunst-Uni Graz mehrere Eierkartons stapelt und darin Tischtennisbälle platziert, dann befindet er sich im Wettbewerb mit Wissenschaftlern aller Disziplinen um die kreativste Beschreibung der eigenen Forschungsarbeit: dem Science Slam. Diese Bewerbe werden inzwischen europaweit bestritten. Es geht darum, einem breiten Publikum in originellen Kurzvorträgen komplexe Wissenschaft einfach zu vermitteln.
Florian Preishuber-Pflügl gewann kürzlich den Grazer Science Slam 2015. Er ist Chemiker an der TU Graz und beschäftigt sich in der täglichen Arbeit mit Festkörperionenleitern. Er versucht herauszufinden, welche Materialien Fluor-Ionen am schnellsten leiten. Ionen sind elektrisch geladene Atome. Das ist Grundlagenforschung, die künftig bei Batterien angewandt werden soll. Denn Fluor-Ionen sind sehr „reaktiv“ und haben ein hohes chemisches Potenzial: „Das heißt, wenn das in einer Batterie umgesetzt wird, entsteht eine sehr hohe Zellspannung. Das wird grundsätzlich angestrebt, denn dadurch bekommt das System eine hohe Energiedichte“, sagt der Nachwuchsforscher.
In Batterien gibt es einen Plus- und einen Minuspol. In einer im Markt erhältlichen Lithiumbatterie wandern die positiven Lithium-Ionen im Inneren der Batterie vom negativen zum positiven Pol. Zum Ladungsausgleich bewegen sich außerhalb der Batterie Elektronen durch den jeweiligen Schaltkreis: Es fließt Strom. Eine Fluor-Ionenbatterie funktioniert nach dem gleichen Prinzip, nur sei die Ladung der Ionen „quasi umgedreht“, sagt Preishuber-Pflügl.
Um das anschaulich zu erklären, baute er auf der Bühne des Grazer Mumuth eine Batterie nach. Die Speicher der Ladungsträger, die sogenannten Elektroden, sind etwa Graphit und Metalloxide – im Bühnenmodell durch übereinandergestapelte Eierkartons dargestellt. Diese stellen die Schichten der Elektroden dar, in denen sich die Ladungsträger einlagern können. „Innerhalb dieser Schichten bewegen sich die Lithium-Ionen sehr gut“, sagt der Chemiker. „Und das ließ sich am besten mit Tischtennisbällen und den Kartons erklären.“ Die Beweglichkeit der Ionen in solchen Materialien spiele schlussendlich beim Laden von Batterien eine Rolle. Je schneller sich die Ionen bewegen, desto rascher sei eine Batterie wieder voll geladen.
Nach Preishuber-Pflügls Sieg in Graz gilt es nun noch, das bundesweite Publikum zu überzeugen: Am 22. April 2016, dem Tag der Langen Nacht der Forschung, tritt er beim Österreich-Finale um den Science-Slam-Staatsmeistertitel an. Die populäre Verbreitung seiner Forschung ist ihm wichtig: „Möglichst schlau zu klingen und am Ende des Tages nichts gesagt zu haben ist wenig sinnvoll“, sagt der Science Slammer. In vielen Produkten stecke eben sehr viel Wissen aus unterschiedlichen Bereichen, was viele Menschen oft nur erahnen. Das gehöre kommuniziert, wobei diese Wissensvermittlung eben auch cool sein darf.
Forschung statt Feuerwehreinsätze
Den jungen Forscher zieht es dennoch nicht auf die Bühne – zumindest nicht hauptberuflich. Er will weiterhin in der Entwicklung bleiben und die elektrochemischen Energiespeicher auch in der Anwendung vorantreiben. Neben seiner Forschungsvorliebe für Batteriesysteme und Festkörperchemie begeistert sich Preishuber-Pflügl für sportliche Bewegungen aller Art – von Ausdauersport über Tauchen und Windsurfen bis hin zum gemütlichen Wandern. Die Natur inspiriere ihn in seiner Forschung. Seine Herkunft aus Oberösterreich vergisst er auch nicht: Im von Graz 300 Kilometer entfernten Ranshofen ist er immer noch Mitglied bei der örtlichen Freiwilligen Feuerwehr. Auch wenn er nicht mehr bei jedem Einsatz ausrücken kann. Dafür sei der Ort doch „zu weit weg“, sagt er. (Von Ronald Posch, Die Presse)