Kategorie Innovation & Technologie - 14. Dezember 2015
Gegen den Frost auf den Flügeln
Wien – Am 27. Dezember 1991 geschah etwas, was viele als Wunder bezeichnen: Bei einer Notlandung in Schweden zerbricht die Maschine des Scandinavian-Airlines-Flugs 751 in drei Teile. Jedoch überleben alle 129 Passagiere das Unglück. Die Ursache für den Absturz: vereiste Tragflächen. Vor dem Start wurde eine Eisschicht auf den Flügeln übersehen. Die Triebwerke saugten sie an und fielen anschließend aus.
Immer wieder führt Eis auf den Flügeln zu Flugzeugabstürzen. Selbst kleine Mengen von Eis und Schnee sind schon eine Gefahr, da sie das Gewicht des Flugzeugs erhöhen und damit seine Aerodynamik maßgeblich beeinflussen können – unter anderem auch, weil ein vereister Flügel einen größeren Luftwiderstand hat. Deshalb werden die Tragflächen noch vor dem Start enteist, weswegen es gerade im Winter im Luftverkehr immer wieder zu Verzögerungen kommt. Sicherheit geht schließlich vor Pünktlichkeit.
Das reicht aber nicht aus, um unbesorgt durch die Lüfte zu schweben: Gerade in den Wolken kann sich leicht neues Eis bilden. Deshalb ist der Großteil der Maschinen mit Technologien ausgestattet, mit denen auch während eines Fluges auf Eis reagiert werden kann: So tauen erwärmbare Oberflächen das Eis ab, oder heiße Triebwerksabluft wird in die Tragflächen geleitet, um die Flügel zu enteisen. Diese Innovationen verdanken sich auch der Forschungsarbeit in der Wissenschaft. So hat etwa das Karlsruher Institut für Technologie in Zusammenarbeit mit Daimler-Chrysler eine Enteisungstechnik entwickelt, die Mikrowellen einsetzt. Da Enteisungsvorgänge viel Energie verbrauchen, arbeitet das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Köln im Verbund mit der Technischen Universität Braunschweig derzeit an sparsameren Alternativen, die Vibrationen einsetzen, welche aber weder die Aerodynamik noch die Triebwerke beeinflussen.
Eine andere Überlegung setzt auf Vorsorge statt Nachsorge: Das Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik in Stuttgart will die Eisbildung von Anfang an verhindern. Die Lösung der Wissenschafter sind nanostrukturierte wasserabweisende Kunststoffoberflächen: Trifft Wasser auf die Folie, zieht es sich zu Tropfen zusammen und wird abgestoßen. Da sich hier keine Kristallisationskeime finden, bleibt das Wasser auch unter null Grad Celsius flüssig. Diese Methode soll die Eisbildung um bis zu 90 Prozent reduzieren.
Energieeffizienter Schutz
Aber nicht nur die deutschen Nachbarn treibt der Frost auf den Flügeln um. Auch hierzulande zerbrechen sich Wissenschafter die Köpfe, wie man dem Eis auf den Tragflächen Herr werden kann – etwa am Institut Luftfahrt Aviation der Fachhochschule Joanneum in Graz, wo man sich ebenso an einem energieeffizienteren Weg versucht. In einem vom Verkehrsministerium und von der Forschungsförderungsgesellschaft FFG finanzierten Projekt wird an einer Fusion verschiedener in diesem Bereich genutzter Ansätze gearbeitet.
Die Luftfahrtingenieure wollen unter dem Namen IceDrip eine wasserabweisende Oberfläche mit einem thermalen Enteisungssystem verbinden. „Anstatt wie bisher üblich das Eis zu schmelzen oder zu verdampfen, was noch energieintensiver ist – wird das Eis hier durch das Zusammenspiel der eingesetzten Technologien mit den aerodynamischen Kräften regelrecht ‚abgeschoren'“, sagt der Projektkoordinator Wolfgang Hassler.
Die Materialien und Technologien wurden von den Industriepartnern Aerospace & Advanced Composites, Rembrandtin Lack und der Villinger GmbH zur Verfügung gestellt. Nach den ersten Tests der Beschichtungen mussten die Steirer nach Wien übersiedeln: Für einen vollständigen vereisten Flügel war der Windtunnel der Fachhochschule zu klein.
Im Rail Tec Arsenal Climatic Wind Tunnel Vienna, in dem eigentlich Schienenfahrzeuge überprüft werden, findet die Tragfläche aber Platz. Bis die Technologie eingesetzt wird, dauert es jedoch noch, da weiterhin umfangreiche Tests nötig sind. Hassler: „Dieses System ist noch nicht optimiert. Jetzt geht es vor allem darum, die Funktionalität verschiedener Beschichtungen zu überprüfen. Was am Ende eingesetzt wird, muss schließlich das Beste sein. Da hat es für uns im kleinen Rahmen auch schon unangenehme Überraschungen gegeben.“ (Johannes Lau, 9. 12. 2015)