Kategorie Klima- & Umweltschutz - 9. Juni 2022
Selbst Arktis & Antarktis sind inzwischen mit Mikroplastik belastet
Arktis & Antarktis sind längst keine unberührte Weltregionen mehr: Laut aktuellen Studien ist dort die Verschmutzung mit Plastikmüll ähnlich hoch wie in anderen Regionen der Welt. Das könnte auch Folgen für den Klimawandel haben.
Forschende haben im Schnee der Antarktis erstmals Mikroplastik entdeckt. „Es ist unglaublich traurig, aber Mikroplastik im frischen Schnee der Antarktis zu finden, unterstreicht das Ausmaß der Plastikverschmutzung selbst in den entlegensten Regionen der Welt“, sagte die Studentin Alex Aves von der neuseeländischen Canterbury University, die die Studie zusammen mit mehreren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern durchgeführt hat.
Aves und ihre Kollegen hatten im Jahr 2019 an 19 Stellen des Ross-Schelfeises, das die südliche Hälfte des antarktischen Rossmeeres bedeckt, Proben entnommen. Das Ergebnis schockierte sie: Jede einzelne Probe enthielt Mikroplastik. Damit werden biologisch nicht abbaubare, synthetische Polymere in einem Größenbereich von weniger als fünf Millimetern bezeichnet. Der Forschungsartikel wurde am Mittwoch im Wissenschaftsjournal „The Cryosphere“ veröffentlicht.
Durchschnittlich entdeckten die Forscher 29 Mikroplastik-Partikel pro geschmolzenem Liter Schnee. Dabei wurden 13 verschiedene Arten von Plastik entdeckt, vorwiegend jedoch PET (Polyethylenterephthalat), das vor allem für die Herstellung von Kunststoffflaschen und Textilfasern verwendet wird. In Proben, die in der Nähe von Forschungsstationen entnommen wurden, war die Dichte an Mikroplastik fast dreimal höher als bei Proben aus entlegeneren Gebieten.
Die Partikel könnten Tausende von Kilometern durch die Luft gereist sein, aber es sei ebenso wahrscheinlich, dass die Anwesenheit von Menschen in der Antarktis einen Mikroplastik-„Fußabdruck“ hinterlassen habe, teilten die Forscher mit. Die Auswirkungen seien in jedem Fall enorm, hieß es in dem Papier. „Antarktische Organismen haben sich über viele Millionen Jahre an extreme Umweltbedingungen angepasst, und die schnellen Umweltveränderungen durch anthropogenen Einfluss bedrohen die einzigartigen Ökosysteme der Polarregionen.“
Plastikflut hat arktischen Ozean erreicht
Auch die Arktis ist laut einer aktuellen Übersichtsstudie des Bremerhavener Alfred-Wegener-Instituts (AWI) zufolge stark mit Plastik vermüllt. Hohe Konzentrationen von Mikroplastik fänden sich im Wasser, am Meeresboden, an unbewohnten Stränden, in Flüssen und selbst in Eis und Schnee, berichteten Forschende bereits im April im Fachmagazin Nature Reviews Earth & Environment. Folgen hätte das für die Lebewesen dort, aber womöglich auch fürs Klima.
Die Arktis werde noch immer als weitgehend unberührte Wildnis wahrgenommen – das entspreche aber nicht mehr der Realität, sagte die AWI-Biologin Melanie Bergmann, Mitautorin der Analyse. Nicht nur der Klimawandel schlage in den nördlichen Breiten besonders hart zu, auch die Plastikflut habe den Arktischen Ozean erreicht. „Unsere Studie zeigt, dass die Plastikverschmutzung in der Arktis bereits ähnlich hoch ist wie in anderen Regionen der Welt.“
Für die Übersicht hatte das AWI-Team gemeinsam mit Forschenden aus Norwegen, Kanada und den Niederlanden Studien zum Plastikeintrag in der Arktisregion ausgewertet und zusammengefasst. Etwa 19 bis 23 Millionen Tonnen Plastikmüll landen pro Jahr in den Gewässern der Welt, das entspricht fast zwei Lkw-Ladungen pro Minute, wie das AWI mitteilte. Weil Plastik besonders stabil sei, reichere es sich in den Ozeanen an und zerfalle mit der Zeit in immer kleinere Teile. Und die Müllflut verstärke sich wohl noch: Bis 2045 werde sich die weltweite Plastikproduktion voraussichtlich verdoppeln.
Arktis erhitzt sich dreimal schneller
Ein Großteil des Plastikmülls im europäischen Teil der Arktis kommt der Übersichtsstudie zufolge aus der Fischerei: Netze und Seile würden absichtlich im Meer entsorgt oder gingen verloren. Müll gelange aus arktischen Siedlungen ins Meer, komme aber auch von weit her. Insbesondere Ozeanströmungen aus dem Atlantik und der Nordsee sowie über die Beringstraße aus dem Nordpazifik tragen demnach zum Zustrom bei. Auch die Flüsse brächten Plastik mit, unter anderem aus Sibirien.
Zu den Auswirkungen der Plastikflut speziell auf die arktischen Meeresorganismen gebe es bisher nur wenige Studien, erklärte Bergmann. Es spreche aber viel dafür, dass die Folgen ähnlich gravierend sind wie in besser untersuchten Regionen. Zum Beispiel führe gefressenes Mikroplastik wahrscheinlich auch in der Arktis zu verringertem Wachstum und verringerter Fortpflanzung, zu physiologischem Stress und Entzündungsreaktionen im Gewebe von Meerestieren.
Abgesehen von den negativen Auswirkungen des Plastiks auf die Meeresorganismen könnte dieses auch den Klimawandel begünstigen. „Hier gibt es dringenden Forschungsbedarf«, sagte Bergmann. »Denn erste Studien liefern Indizien dafür, dass eingeschlossenes Mikroplastik die Eigenschaften von Meereis und Schnee verändert.“
Dunkle Partikel im Eis könnten demnach dazu führen, dass dieses mehr Sonnenlicht absorbiert und dadurch schneller schmilzt. Das wiederum verstärke die globale Erwärmung. Zudem bildeten Plastikteilchen in der Atmosphäre Kondensationskerne für Wolken und Regen, sie könnten so das Wetter und langfristig das Klima beeinflussen. „Die Plastikflut trifft auf Ökosysteme, die ohnehin schon extrem belastet sind“, betonte Bergmann. Denn die Arktis erhitze sich im Zuge des Klimawandels dreimal schneller als der Rest der Welt.
Aktionsplan präsentiert: Mit Forschung & strengeren Regeln gegen Mikroplastik in der Umwelt