Kategorie Innovation & Technologie - 6. Juni 2016
Und plötzlich war der Boden weg
Schon die Römer bauten Hochwasserdämme, um sich vor Naturgefahren zu schützen. Und Gesetze zum Hochwasserschutz werden hierzulande seit der Kaiserzeit verfasst. Doch für die Naturgefahr Erdrutsch, die Häuser, Straßen und andere Infrastruktur genauso bedroht, wurden erst viel später Maßnahmen gestartet.
„Ab 2005 haben wir für das Burgenland erstmals das erstellt, was für Hochwasser gang und gäbe ist: eine Gefahrenhinweiskarte“, erklärt Philip Leopold vom Energy Department des Austrian Institute of Technology (AIT). Warum gerade im Burgenland, wo es keine Berge gibt? „Die schöne Hügellandschaft ist für Rutschungen anfällig. Hügel bestehen nicht aus Fels, sondern aus Sand, Schotter und Ton. Auch weltweit kommen schlimme Hangrutschungen oft in eher flachem Gebiet vor“, so Leopold.
So wurde für das Burgenland in engem Raster von zehn mal zehn Metern festgelegt, wo welche Wahrscheinlichkeit für Erdrutsche besteht. „Die Gefahrenhinweiskarte für Hangrutschungen ist ein starkes Werkzeug für Raumordnung und Flächenwidmung. Nun weiß man im Vorfeld, wo welche Vorkehrungen zu treffen sind.“ Auch für Niederösterreich wurde bereits eine derartige Detailkarte erstellt.
Auf neue Gefahren schließen
„Das weckte international Interesse: In einer Kooperation mit dem China Geology Survey wollen wir die Methodik nach Westchina bringen, das sehr von Rutschungen geprägt ist“, erklärt Leopold. Ursprünglich stammt die Methode aus der Suche nach Rohstoffen wie Kohle und Eisen: Man schließt aus der Erfahrung, wo etwas gefunden wurde, mit Modellrechnungen auf mögliche neue Vorkommen. Nun werden also einzelne Gebiete, an denen Hangrutschungen vorgekommen sind, exakt vermessen. Wenn die Forscher woanders einen Punkt finden, der die gleiche Hangneigung und gleiche Geologie, aber noch keinen Erdrutsch hatte, können sie eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür an diesem Ort eintragen.
Die Wissenschaftler vermessen Bodenbewegungen mit GPS-Markierungen: Jährliche Kontrollen zeigen, wie weit sich das Gelände verschoben hat. Die Daten des Geländes werden jetzt mit Satellitendaten abgeglichen. Durch den Start der Sentinel-Satelliten der Europäischen Weltraumorganisation ESA kommen die Forscher erstmals kostenfrei an Erdbeobachtungsdaten – in Kooperation mit dem Unternehmen Enveo in Innsbruck und Joanneum Research in Graz. „Wir vergleichen die gut dokumentierte reale Situation mit Satellitenbildern“, sagt Leopold. Der Fokus liegt auf einem Gebiet im Burgenland, wo eine große Rutschung von einem Quadratkilometer bekannt ist, und dem Gebiet der Strengberge in Niederösterreich, wo sehr oft kleinere Rutschungen passieren.
Derzeit entwickeln die Forscher Algorithmen für die Auswertung der Satellitendaten. Gespannt warten sie, ob die Sentinel-Daten das zeigen, was von den Bodenbeobachtungen bekannt ist, oder mehr Einblicke in die Dynamik des Geländes bringen, als bisher möglich war. Der Vorteil von Satelliten ist, dass sie alle paar Tage dieselben Stellen überfliegen. „Dadurch wollen wir für Gebiete, in denen Probleme erwartbar sind, ein Monitoring entwickeln, um frühzeitig Gefahren zu erkennen“, sagt Leopold.
Wald schützt vor Erdrutschen
„Der wichtigste Schutzfaktor gegen Hangrutschungen ist der Wald“, betont er. In einem vom Klima- und Energiefonds des Technologie- und Lebensministeriums geförderten Projekt beobachten die AIT-Experten gemeinsam mit den Instituten für Waldbau und Meteorologie der Boku und dem Umweltbundesamt, welche Gebiete in Österreich durch den Klimawandel immer trockener werden und wo der Wald besonders geschädigt wird. „Dort, wo Wald geschwächt wird und es zu starken Niederschlägen kommt, besteht große Gefahr für Hangrutschungen“, so Leopold. Ziel ist es, Hotspots zu definieren, an denen im Jahr 2030, 2050 oder 2085 kritische Infrastruktur von Erdrutschen bedroht ist.
„Bepflanzung ist eine biologische Maßnahme zur Hangsicherung“, sagt auch Wei Wu, Leiter des Instituts für Geotechnik der Boku Wien. Technische Maßnahmen sind Drainagen, Anker und Stützmauern, um die Stabilität zu verbessern. „Doch Hänge sind Naturprodukte, die auf den Klimaeinfluss unvorhergesehen reagieren“, sagt Wu. Im Labor an der Boku steht daher eine in Österreich einzigartige Maschine, um das Was und Warum von Hangrutschungen in kleinem Maßstab zu untersuchen.
Bei echten Hangrutschungen ist ja selten ein Ingenieur mit Messgeräten dabei. „Man kann im Labor zwar den Hang im kleinen Maßstab nachbilden. Doch dann fehlt der Faktor Eigengewicht, der einen Hang rutschen lässt“, sagt Wu. Sein Team packt Hangmodelle, die beispielsweise 100-mal kleiner als reale Hänge sind, in eine Zentrifuge und dreht sie mit 100-facher Erdbeschleunigung. Das erhöht die Spannung des kleinen Modells, sodass man aus den Daten eine Aussage zum Verhalten für echte Hänge machen kann.
Im EU-Projekt „MuMoLaDe“ wird nun das komplexe Verhalten von Hangrutschungen und Muren auf Basis von diesen Experimenten und Simulationen untersucht. (Von Veronika Schmidt, Die Presse)