Kategorie Innovation & Technologie - 15. Juli 2016
Das Haus schaut in die Zukunft
So wie man Haushaltsarbeit nur sieht, wenn sie nicht gemacht wird, bemerkt man auch die Raumlüftung oder -heizung erst, wenn sie nicht optimal läuft. So gesehen hat Michaela Killian das höchste Lob der Leute erhalten, die das Gebäude nutzen, indem sie eine neue Regelungstechnik implementierte. Nämlich keines. „Am besten funktioniert die Gebäuderegelung, wenn man nicht bemerkt, dass es sie gibt“, sagt Killian vom Institut für Mechanik und Mechatronik der TU Wien.
In ihrer Dissertation, die u. a. von der Forschungsförderungsgesellschaft FFG finanziert wurde, entwickelte sie ein „nichtlinear dynamisches prädiktives Regelungskonzept“, das die Raumtemperatur im Uni-Park Nonntal der Uni Salzburg steuert. Der riesige Glaskasten an der Nonntaler Hauptstraße wurde 2010 erbaut und nutzt Geothermie und freie Kühlung, um wenig Energie zu verbrauchen. Die Mathematikerin Killian schaffte nun, den Energieverbrauch noch weiter zu drosseln. Statt einer kurzfristigen Anpassung der Raumtemperaturen wird das Gebäude nun vorausschauend gesteuert.
Niemand bemerkte die Umstellung
„Wir schauen quasi 72 Stunden in die Zukunft und nutzen verschiedene Prognosen, um etwa das Gebäude schon 48 Stunden, bevor eine Kaltfront kommt, langsam aufzuwärmen“, so die Niederösterreicherin. Der Industriepartner ihrer Forschung ist das steirische Technikunternehmen Evon, im Uni-Park Nonntal zuständig für die Leitsysteme und Grundautomatisierung. Das neue Regelungskonzept konnte direkt in dessen Software eingespielt werden. „Wir haben es einige Zeit still mitlaufen lassen, um zu sehen, wie unsere Simulation im Realfall reagiert hätte“, sagt Killian. Die Ergebnisse passten, also wurde im Oktober 2015 umgeschaltet auf das prädiktive, alsovorausschauende, Konzept.
„Diese Umstellung ist den Menschen im Gebäude nicht aufgefallen. Die Messungen zeigen auch, dass die Raumtemperatur sich gar nicht verändert hat“, sagt Killian. Doch im „Kopf des Hauses“, im Zentrum der Gebäudetechnik, sah man das Ergebnis sofort. „Genau so soll es sein: Die Nutzer dürfen nichts bemerken, aber in der Automatisierung passieren coole Sachen.“
Nun fließen verschiedene Prognosedaten ein, um einen guten Komfort bei Raumtemperaturen von 21 bis 25 Grad zu halten. Wetter, Sonneneinstrahlung und die Anzahl an Personen, die im Gebäude anwesend sind, beeinflussen die Raumtemperatur. All diese Faktoren werden hier vorab berechnet: So kann die Technik das Haus vorwärmen, wenn eine Kaltfront angekündigt ist, kühlen, bevor eine Hitzewelle voll da ist oder sich ausschalten, wenn kein Mensch im Haus ist.
„Mit unserem Konzept fährt die Regelung viel glatter, es wird nicht mehr hektisch nach oben oder unten reguliert. Das verringert den Verschleiß und spart Energie“, sagt Killian. Geheizt und gekühlt wird über zwei Systeme: Die Betonteil-Aktivierung hat eine Vorlaufzeit von 48 Stunden. Die Betonwände dienen als Wärmespeicher, und können sich z. B. auch genau dann aufladen, wenn Strom billig ist. Zusätzlich gibt es Unterflur-Konvektoren, die man kurzfristig zuschalten kann. Denn nicht immer hält sich das Wetter an die Prognose. Dann kann diese Heizung oder Kühlung im Fußboden unvorhergesehene Schwankungen abfangen.
Das mathematische Modell dieser Regelung ist sehr komplex: Bei der Erstellung half Killian, dass sie technische Mathematik studiert hatte – bevor sie für die Dissertation an das Institut für Mechanik ging. Die neue Regelung teilt das Gebäude in einzelne Zonen ein, abhängig von der Himmelsrichtung. Denn die Südseite heizt sich anders auf als die Nordseite. Zudem weiß das System stets, ob Winter, Sommer oder Übergangszeit ist, und passt die Voreinstellungen an. „Als wir die Simulation erstellt haben, konnten wir einmal in den Ferien, als keine Leute in dem Uni-Gebäude waren, ganz wild mit der Steuerung herumspielen, stark hinauf und stark hinunter fahren. Um zu sehen, wie viel Zeit es braucht, bis man die gewünschten Effekte in den Raumtemperaturen sieht.“
Nun wird für Einfamilienhäuser geplant
In ihrer Post-Doc-Stelle an der TU Wien will Killian diese moderne Technik nun auch für Einfamilienhäuser verfügbar machen. Gefördert vom Klima- und Energiefonds von Lebens- und Technologieministerium entwickelt sie ein selbstlernendes Modell. „Es soll die Gewohnheiten der Bewohner erfassen und vorausschauend den Komfort gewährleisten.“ Immerhin werden 40 Prozent der Gesamtenergie eines Landes in Gebäuden verbraucht: Hier kann man durch intelligentes Heizen und Kühlen viel einsparen. (Von Veronika Schmidt, Die Presse)