Kategorie Innovation & Technologie - 24. Juli 2015
Die Dächer Wiens vor Hitze schützen
Wenn man jede Fläche optimiert, könnte man bis zu 53 Prozent weniger Hitzetage in der Wiener Innenstadt haben. Auf dieses Ergebnis kommt das Projekt „Kelvin“, das vom Grazer Joanneum Research geleitet wird – gefördert im Programm „Stadt der Zukunft“ vom Technologieministerium. Die Optimierung bezieht sich auf Dachbegrünung und die Erhöhung des Rückstrahlvermögens. Der Fachterminus für Letzteres ist die „Albedo“, was im Lateinischen „das Weiße“ heißt.
„Eine weiße Fläche wie eine schneebedeckte Wiese hat eine hohe Albedo mit hoher Rückstrahlung des Lichts“, erklärt Projektleiter Hannes Schwaiger. Ein schwarzer Körper hat eine niedrige Albedo und erwärmt sich daher schnell. „Wie die Oberfläche beschaffen ist, ob sie rau ist oder glatt, welche Farbe sie hat, spielt bei der Albedo eine Rolle“, sagt Schwaiger. Er und seine Kollegen der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik überlegen, wie man durch Veränderungen der Albedo eine Stadt vor Überhitzung schützen kann.
„Das Problem ist, dass Städte Wärmeinseln sind. Im Sommer heizt sich eine Stadt im Vergleich zum umliegenden Land besonders auf“, so Schwaiger. Das liegt an der dichten Verbauung und der Erwärmung von versiegelten Flächen, Dächern und Hausfassaden. „Alles, was sich tagsüber aufheizt, gibt dies nachts als Wärmestrahlung wieder ab. Darum kühlt die Stadt nicht so stark ab wie das Umland“, erklärt der Forscher.
Weiß wäre das Optimum
Heuer wurden allein im Juli in Wien so viele Hitzetage gezählt wie sonst in einem ganzen Jahr. Von einem Sommertag spricht man ab 25 Grad Tageshöchsttemperatur, ein Hitzetag gilt ab 30 Grad. Im Schnitt zählt man in der Wiener Innenstadt 72 Sommertage und 21 Hitzetage pro Jahr, in den Außenbezirken am Stadtrand 64 Sommer- bzw. 15 Hitzetage.
„Vor einigen Jahren erkannten Forscher, dass der Albedo-Effekt auch mit der Erwärmung zusammenhängt“, erzählt Schwaiger. Und zwar erwärmen sich Gebiete mit Aufforstungen eher als jene mit Äckern und Wiesen. Dunkle Wälder haben eine geringe Albedo, sie reflektieren wenig Licht.
In seiner Dissertation hat er den Albedo-Effekt mit der kühlenden Klimawirkung von Wäldern durch ihre CO2-Speicherung verglichen: „In unseren Breiten überwiegt der positive Effekt, den Wälder auf den Klimawandel haben. Denn hier herrscht im Winter, wo der Unterschied der Albedo zwischen dunklen Wäldern und schneebedeckten Wiesen am höchsten ist, meist eine starke Wolkenbedeckung.“ Das schwächt den Effekt wieder ab.
„Im Kelvin-Projekt haben wir untersucht, wie es sich in der Stadt verhält: Wie wirkt sich die verstärkte Rückstrahlung des Sonnenlichtes auf die Entstehung städtischer Wärmeinseln aus, indem sich Gebäude und versiegelte Flächen weniger aufheizen“, sagt Schwaiger.
Aber alles im Rahmen des Möglichen: „Wir können ja nicht alle Dächer und Straßen weiß anmalen, damit wir die Albedo erhöhen.“ Die Farbe der Dächer gehört zum Stadtbild: Man sucht also nach Möglichkeiten, die Rückstrahlung zu erhöhen, ohne etwa die Terracotta-Farbe der typischen Dachziegel zu verändern.
Zuallererst wurde das Potenzial ermittelt, das in Wien brachliegt. Satelliten- und Landbedeckungsdaten zeigen: 13 Prozent der 41.500 Hektar Wiener Stadtfläche sind Hausdächer. In der Innenstadt liegt der Prozentsatz höher als am Stadtrand. „Von allen Dächern, ob schräg oder flach, eignen sich – nach dem Gründachpotenzialkataster des Magistrats Wien – 45 Prozent für Dachbegrünung. Doch erst zwei Prozent sind als Gründächer umgesetzt“, sagt Schwaiger.
Eine stärkere Begrünung der Dächer Wiens würde die Anzahl der Hitzetage ähnlich reduzieren wie eine starke Änderung der Albedo-Eigenschaften. „Gründächer und -fassaden sind zwar aufwendiger und teurer in der Umsetzung, jedoch profitiert das Gebäude zusätzlich durch die kühlenden Transpirationseffekte der Pflanzen.“ Die Berechnungen des Projektpartners ZAMG zeigen, dass in der Wiener Innenstadt die Anzahl der Hitzetage um 29 Prozent sinken könnte – verglichen mit dem jährlichen Mittel der Jahre 1981 bis 2010: Wenn alle möglichen Gründächer umgesetzt würden und alle restlichen Dächer ein Albedo von 70 Prozent aufwiesen.
„100 Prozent Albedo auf unseren Dächern ist unrealistisch, 70 Prozent sollten machbar sein“, so Schwaiger. Zentrumsfernere Bezirke, die durch Parks und Grünflächen aufgelockert sind, zeigen in den verbauten Bereichen wie z.B. der Hohen Warte eine Reduzierung an Hitzetagen um etwa 20 Prozent.
Mehr „Humankomfort“
Die Forscher weiteten das Computermodell auf alle Flächen aus, die man optimieren könnte: Straßen, Gehwege, Dächer, Fassaden und Parkflächen. „Das theoretische Gesamtpotenzial in Wien sind 53 Prozent weniger Hitzetage in der Innenstadt und 45 Prozent in zentrumsferneren Bezirken“, sagt Schwaiger. Dies wäre für den „Humankomfort“ ein hehres Ziel – die Leute würden mehr an die frische Luft gehen, bei weniger Hitze kommt es auch zu weniger Herzinfarkten und anderen nachteiligen Begleiterscheinungen. Auch die Energieersparnis und Emissionsreduktion an Treibhausgasen wäre durch diese Abkühlung enorm.
Der Kühlbedarf in Dachwohnungen steigt ständig, es werden immer mehr Kimaanlagen in Wien installiert. „Erste Berechnungen zeigen, dass mit dem Albedo-Effekt ein Potenzial von 400 bis 800 Megawattstunden Strom für Wien eingespart werden kann“, so Schwaiger. Sein Team ist überzeugt, dass in Zukunft durch höhere Reflexion der Stadtflächen nicht nur das Kleinklima einer Stadt verbessert werden kann, sondern dass die zu erwartende Treibhausgasreduktion auch einen globalen kühlenden Effekt nach sich zieht, wenn man dies auf viele Städte ausweitet.