Kategorie Informationen & Tipps - 26. Februar 2019
Österreich forscht: 60 Citizen Science Projekte zum Mitmachen
Der Frühling zieht ins Land und man kann sich wieder an ausgedehnterem Tageslicht, Warmluft und Vogelgezwitscher erfreuen, auf Balkon und Terasse und generell im Freien relaxen. Oder: Man geht raus und zählt Vögel, Bienen, Pflanzen- und Pilzarten und unterstützt somit die sogenannte Citizen Science, eine Form der Offenen Wissenschaft, bei der Projekte unter Mithilfe interessierter Laien durchgeführt werden.
Diese melden Beobachtungen, führen Messungen durch oder werten Daten aus. In der Citizen Science oder Bürgerwissenschaft können alle Interessierten Einblick in die Wissenschaft gewinnen. Andere Wissenschaftler, Studierende und die interessierten Öffentlichkeit können so Einblicke in die Entstehung wissenschaftlicher Ergebnisse gewinnen oder sogar selbst daran teilhaben.
Die Wissenschaft selbst wiederum profitiert vom breit gesammelten Datenmaterial. Auskunft wie und wo man diese Art der Laienforschung anwenden kann und dabei die wissenschaftliche Qualität hochhält, bietet die Plattform Österreich forscht, welche 2017 als Citizen Science Network Austria gegründet wurde und von der Universität für Bodenkultur (BOKU) Wien koordiniert wird.
Durch das Netzwerk soll Citizen Science in Österreich weiter ausgebaut, die Qualität gefördert und der Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft gestärkt werden.
Vom Skorpion bis zur Nanotechnologie
Mit dem ankommenden Frühling wird auch der alljährliche Heuschnupfen wieder akut. Wer die Augen da noch aufbekommt, kann nach Ragweed Ausschau halten und die Fundorte beim Ragweedfinder der Medizinischen Universität Wien melden. Eines von vielen Projekten österreichischer Institutionen, die es auch passend zum Frühlingsbeginn auf der Plattform Österreich forscht gibt.
Dabei bekommt der Laie die Möglichkeit, Forschung zu unterstützen, indem er beispielsweise Beobachtungen zu Habicht-Käuzen, Turmfalken oder zum Kremser Skorpion meldet. Im Projekt Kremser Skorpion der Hochschule für Agrar- und Umweltpädagogik wird die Verbreitung des Triestiner Skorpions in Krems, der in Krems sein nördlichstes (und isoliertes) Vorkommen hat, gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern untersucht – nebenbei das inzwischen 60. aktive Projekt der Platform und erst dieses Jahr gestartet.
Der Skorpion ist für den Menschen ungefährlich und wurde vermutlich im Mittelalter über Handelswege eingeschleppt. Viele Fragen sind allerdings noch offen: Ist der Skorpion nur auf das Kremser Stadtgebiet beschränkt, oder kommt er auch im Umland vor? Was gefällt ihm am Stadtklima? Gibt es Ausbreitungsbarrieren, die eine weitere Ausbreitung über Krems hinaus verhindern?
Aber nicht nur die Natur steht im Fokus. Bei der historisch orientierten Topothek wird beispielsweise dazu aufgefordert, alte Fotos, Videomaterial, Exponate oder persönliches Geschichtswissen in digitaler Form zu veröffentlichen. Das Projekt BioChar kann man unterstützen, indem man auf dem eigenen Balkon bzw. Garten einen Topf-Versuch mit Biokohle und Bohnen durchführt und dadurch zur Ermittlung der Auswirkung von Biokohle auf die Stickstoff-Fixierung von Bohnenpflanzen beiträgt.
Die Kategorien bei Österreich forscht sind mannigfaltig und beinhalten Forschungsprojekte über Kultur, Wirtschaft bis zur Technologie. Auch sollen Themen wie Mobilität, Medien und Gesundheit gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern ergründet werden. Im Projekt Nan-O-Style wird beispielsweise die komplexe Thematik der Nanotechnologie bearbeitet und gemeinsam mit österreichischen Schulen sollen neue, bisher unbekannte Wechselwirkungen zwischen modern lifestyle-Produkten und Nanomaterialien aufgedeckt werden.
„Eines der wichtigsten Ereignisse 2018 für das Netzwerk und Citizen Science ganz generell war sicherlich die Vorstellung der Qualitätskriterien für Citizen Science Projekte auf der Plattform Österreich forscht. Damit ist Österreich forscht, unseres Wissens nach, die erste nationale Citizen Science Plattform, die transparente und überprüfbare Kriterien als Grundlage für eine Listung von Projekten hat“, stellte Florian Heigl im Jahresbericht 2018 des Citizen Science Network Austria fest.
Die wichtigsten Fragen zur Citizen Science
1 Wie definiert sich die Arbeitsmethode der Citizen Science?
Citizen Science arbeitet in wissenschaftlichen Projekten mit interessierten Amateuren. „Früher sprach man von Freiwilligenwissenschaft und Bürgerbeteiligung“, erklärt Florian Heigl, Gründer der Arbeitsgruppe für Citizen Science an der BOKU Wien. Die Wissenschaftsaffinität ist im angloamerikanischen Raum historisch weiter verbreitet, aber auch in Österreich gibt es seit 1851 das Projekt Phenowatch an der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG). Um Änderungen des Klimas und die Auswirkung auf die Pflanzen zu zeigen, zeichnen Bürger auf, wann Schneeglöckchen zu blühen beginnen oder die erste Rauchschwalbe aus dem Süden zurückkehrt.
2 Wer kann sich in Citizen Science einbringen?
Mitmachen kann jeder, doch momentan spricht Citizen Science eher Interessierte aus höheren Bildungsschichten, vor allem Pensionisten und Studenten, an. Meist liefern nur 20 Prozent der Teilnehmer 80 Prozent der Daten. Spezielle Förderprogramme wie „Young Science“ und „Sparkling Science“ bringen Schüler und Forscher zusammen. Auf www.zentrumfuercitizenscience.at werden Projekte präsentiert, die über Förderprogramme laufen.
3 Wie kann ich mitforschen? Wo finde ich wissenschaftliche Projekte?
Die Bandbreite an Tätigkeiten ist groß. Hobbyfotografen dokumentieren mit Bildern von Tieren deren Verbreitung, Hobbyhistoriker helfen, Archive aus dem II. Weltkrieg zu erhalten und Allergiker berichten aus ihrem Erfahrungsbereich, um Ideen für Forschungsfragen zu liefern. Auf www.citizen-science.at sind inzwischen 60 Projekte gelistet: vom Pollentagebuch über den Teebeutelindex, bei dem die Zersetzungsgeschwindigkeit im Boden gemessen wird, bis zur Waldbranddatenbank. Interessierte melden sich direkt bei den einzelnen Aktionen an.
4 In welchen Disziplinen wird Citizen Science eingesetzt?
Der Schwerpunkt liegt im Bereich Ökologie. Dort setzt man traditionell auf Bürgerbeteiligung. Bekannt ist beispielsweise der Christmas Bird Count in den USA. Seit 1900 sind Freiwillige alljährlich eingeladen, einen Tag lang alle Vögel, die sie sehen oder hören, zu zählen. In Österreich gibt es Birdwatching bei BirdLife Österreich. Solche Naturschutzprojekte schärfen zusätzlich das Umweltbewusstsein. „Die Bürger haben eine große Artenkenntnis“, weiß Florian Heigl, „es gibt Spezialisten, die sich mit einer bestimmten Artengruppe, zum Beispiel Amphibien, als Hobby oder im Verein beschäftigen.“
5 Wie verändern neue Technologien die Citizen Science?
Open Access, also der freie Zugang zu wissenschaftlichen Informationen im Internet, Smartphones und GPS eröffnen der Citizen Science viele Möglichkeiten. Es ist einfacher, Daten und Bilder zu übermitteln und über soziale Medien interessierte Bürger zu erreichen. Beim britischen Projekt „Splatter“ kann man über den Kurznachrichtendienst Twitter sogar wissenschaftliche Daten liefern. Spätestens an dieser Stelle tritt das Thema Datenschutz auf den Plan: „Soll der Laie Daten Dritter erfassen, oder wird er selbst zum Studienobjekt, ist die Zustimmung zur Verwendung der Daten notwendig“, erklärt der Rechtsanwalt, Gerold Pawelka, in einer Publikation zu Citizen Science vom Österreichischen Austauschdienst (OeAD). „Dass Inhalte, die man über Social-Media-Kanäle verbreitet, auf amerikanischen Servern landen, ist ein Risiko“, befürchtet Florian Heigl.
6 Welchen Beitrag können Laien in der Forschung leisten?
„Die Bevölkerung soll nicht nur befragt werden oder bei medizinischen Studien Blutproben liefern“, meint Heigl. Die aktive Beteiligung mache die Citizen Science aus. Muki Haklay, Professor für Computerwissenschaft und Geografie an der London’s Global University, definiert unterschiedliche Formen der Bürgerbeteiligung: Beim „Crowdsourcing“ tragen Teilnehmer Sensoren, die Daten senden, oder stellen die Rechenleistung ihres Computers oder Smartphones zur Verfügung. Von verteilter Intelligenz spricht man, wenn simple Aufgaben, wie das Auswerten von Fotos aus Wildkameras, von Freiwilligen übernommen werden.
Partizipative Wissenschaft bedeutet, dass die Bevölkerung schon bei der Entwicklung der Fragestellung eingebunden ist. Beispiele sind Tier- oder Pflanzenarten zu bestimmen (Projekt Roadkill, naturbeobachtung.at). Bei der Extreme Citizen Science sind Amateure in alle Schritte von der Problemstellung, über die Datensammlung bis zur Analyse miteingebunden. So brachten bei der Initiative Reden Sie mit! Tausende ihre Beobachtungen über psychische Erkrankungen ein. Daraus entwickelte die Ludwig-Boltzmann-Gesellschaft die Forschungsfragen zum Thema.
7 Wo sind die Grenzen der demokratisierten Wissenschaft?
Citizen Science stößt an seine Grenzen, wo es eine große Vorkenntnis braucht, wie beispielsweise in der Gentechnik. Ob Bürger brauchbare Datenqualität liefern können, hängt von der Schulung innerhalb der Projekte ab. Wichtig ist, dass die wissenschaftliche Vorgehensweise gewahrt wird. „Man kann nicht einfach Daten erheben, ohne wissenschaftliche Fragestellung“, betont Florian Heigl.