Kategorie Innovation & Technologie - 6. März 2019

Wie Exoskelette künftig Arbeit & Bewegung erleichtern

Exoskelette verschmelzen schon heute Mensch und Maschine. Die Roboteranzüge gehen beim Heben und Tragen schwerer Lasten zur Hand und dämpfen körperliche Belastungen. Zum Wohle der Gesundheit.

Um den Rücken eines Arbeiters nachhaltig zu schädigen, braucht es eigentlich nicht viel. Er muss nur bestimmte Arbeitsschritte und Handgriffe mit leichten oder mittelschweren Gewichten tausendfach wiederholen. Wo man keine Maschinen wie Gabelstapler oder Kräne einsetzen kann, muss noch immer der Mensch anpacken und seine Körperkraft einsetzen. Und gefährdet dabei oft seine Gesundheit.

 

Die Idee, den Arbeitern für besondere Belastungen eine Maschine zur Seite zu stellen und den Menschen sogar in die Maschine zu integrieren, entstand bereits Mitte der 1960er-Jahre. Erste Versuche mit dem Roboteranzug namens Hardiman scheiterten aber an der unausgereiften Technik. Hardiman konnte zwar 250 Kilogramm heben, wog selber aber das Dreifache, konnte sich nicht wirklich bewegen und tat selten das, was der Mensch ihm befahl.

Mechanik statt Elektrik

Ein halbes Jahrhundert später sind die Ideen für sogenannte Exoskelette, also für äußere Stützstrukturen für Menschen, wieder da. Ganz weg waren sie freilich nie, zumindest nicht in der Populärkultur. So ließ uns Hollywood immer wieder von Iron-Man-Anzügen und Halb-Mensch-halb-Roboter-Maschinen „träumen“. Zwischenzeitlich ging ein Traum vieler Schlaganfallpatienten und querschnittsgelähmter Menschen in Erfüllung: Sie können sich mithilfe von Exoskeletten wieder bewegen.

Die Fortschritte können sich auch anderswo sehen lassen: Die deutsche Firma Ottobock, die auch Prothesen und Rollstühle produziert, konstruierte ein zwei Kilogramm leichtes Exoskelett namens Paexo, das ganz ohne externe Energiezufuhr vor allem Überkopfarbeiten erleichtern soll. Mittels ausgeklügelter mechanischer Seilzugtechnik wird das Gewicht der angehobenen Arme der Arbeiter auf die Hüfte abgeleitet, was die Muskeln und Gelenke im Schulterbereich entlastet. Das ergibt „Verletzungsschutz durch Risikominimierung“ und in der Folge „gesundheitliche Prävention“, sagt Sönke Rössing, Leiter von Ottobock Industrials.

Große Autobauer wie VW, Ford oder Toyota investierten bereits in eine langfristige Gesundheit ihrer Arbeiter. Sogar auf der Münchner Wiesn kommen Exoskelette zum Einsatz und greifen Maß schleppenden Kellnerinnen und Kellnern unter die Arme. Auch der österreichische Schalungs- und Gerüstehersteller Doka testet derzeit vier je rund 5.000 Euro teure Geräte. Noch stehe man am Beginn der Testphase, erste Rückmeldungen von Arbeitern seien aber positiv, sagt Tobias Kogler, Projektmanager bei Doka. Man versuche mittels Exoskeletten, Arbeiten möglichst ergonomisch zu gestalten, immer funktioniere das aber nicht. Wenn etwa Schalungsplatten von unten verschraubt werden müssen, entlaste das Skelett hervorragend, der Akkuschrauber hält wie von allein. Bei Arbeiten in der Horizontalen stören die Anzüge aber noch mehr, als sie helfen.

Futuristisch

Traut man den Vorschusslorbeeren, dann könnten die Roboteranzüge der US-Firma Sarcos hier schon bald Abhilfe schaffen. Im Frühjahr 2020 will man den futuristisch wirkenden batteriebetriebenen Guardian XO auf den Markt bringen. Das Interesse soll laut Firmenmitgründer Heath Meyer schon jetzt riesengroß sein, die Liste an Vorbestellungen lang.

Weltweit wird derzeit an zahlreichen verschiedenen Exoskeletten geforscht, um das Leben der Menschen zu erleichtern. © Sarcos

Die Idee: Die Firma will den Anzug lediglich verleihen, nicht an Kunden verkaufen – und damit sämtliche Kosten für die Instandhaltung übernehmen. Wenn sich die 17 Jahre Entwicklung und die 175 Millionen Dollar an Investitionen für Sarcos rentieren sollen, dürfte die Leihgebühr aber eher kein Schnäppchen sein. Umgekehrt: Rückenverletzungen ihrer Arbeiter verursachen US-Unternehmen einen jährlichen Schaden, der sich mit rund 100 Milliarden Dollar beziffern lässt. Ein Viertel der Arbeitsunfähigkeitstage in Deutschland beruht auf Muskel-Skelett-Erkrankungen, wie sie durch passive Exoskelette wie jenes von Ottobock, oder aktive Exoskelette wie etwa den Guardian XO gemindert werden könnten. Bis aktive Exoskelette tatsächlich Einzug in den Arbeitsalltag finden, sind allerdings noch einige Regularien für deren arbeitsrechtlichen Einsatz zu klären.

Keine Mehrarbeit geplant

Wenn sich 100 Kilogramm wie fünf anfühlen, besteht dann nicht die Gefahr, dass Arbeiter zu immer schwereren Belastungen gezwungen werden und die Arbeitslast in Summe sogar steigt? Zumindest bei Doka will man das vermeiden. „Bei uns steht die Arbeitnehmergesundheit im Vordergrund“, sagt Kogler. Zwar gehe es in der Testphase noch nicht um die Kosten, natürlich sei es für Firmen und die Wirtschaft insgesamt aber positiv, wenn auf lange Sicht weniger Krankenstände anfallen.

Neben der Gesundheits- und Bauindustrie war es übrigens – einmal mehr – das Militär, das in den vergangenen Jahren die Forschung und Entwicklung von Exoskeletten vorangetrieben hat. Bis der Terminator-Soldat kommt, wird es zwar noch dauern. Einfachere Exoskelette zu kriegerischen Zwecken werden aber schon relativ erfolgreich getestet. So wartet das US-Militär etwa mit einem dritten Roboterarm auf, der eine bessere Stabilisierung schwerer Waffen gewährleisten soll.

72 statt 26 Kniebeugen

Aus dem Hause des Rüstungsgiganten Lockheed Martin kommt ein Anzug namens Onyx, der lediglich die unteren Gliedmaßen verstärkt. Er soll bald die elektro magnetischen Impulse, die das Gehirn zu den Beinmuskeln sendet, erkennen und die Muskulatur des Trägers noch effektiver unterstützen. Laut dem Unternehmen schafft ein durchschnittlicher Soldat im Anzug mit 80 Kilogramm Gewicht auf den Schultern schon heute 72 Kniebeugen – statt 26 ohne Anzug.

Er wird also nicht unbedingt stärker, wohl aber ausdauernder. Entwickler in China, Japan, Südkorea, den USA und Deutschland, die sich auf zivile Einsatzmöglichkeiten der Exoskelette konzentrieren, stehen vor allem vor drei Problemen: das Material ist schwer, teuer und schränkt die Beweglichkeit der Träger ein. Doch die ersten Erfolge sind vielversprechend – vielleicht auch, weil Firmen erkannt haben, dass es nicht gleich der absolute Hightechroboter sein muss.

Fabian Sommavilla, DerStandard