Kategorie Innovation & Technologie - 19. Oktober 2015
Fabrik oder Roboterfarm? Autohersteller proben Einsatz
Ein kleiner Klaps von seinem menschlichen Kollegen, dann bewegt sich der Roboter weiter. Er drückt den Dachhimmel, die Innenverkleidung der Fahrgastzelle an die Decke des Rohbaus, seine menschlichen Kollegen übernehmen die Ränder. Es klickt – und die Verkleidung sitzt. In einem Versuch in Sindelfingen testet der Autobauer Daimler, wie Leichtbauroboter Hand in Hand mit Menschen arbeiten.
Daimler probiert schon seit einigen Jahren an mehreren Stellen aus, wie Roboter und Menschen zusammen arbeiten können. Bei der Montage von Doppelkupplungsgetrieben kommen die Leichtroboter bereits in der Serie zum Einsatz. Im Zuge der wachsenden Digitalisierung in der Produktion, die unter dem Schlagwort Industrie 4.0 diskutiert wird, feilen nicht nur die Stuttgarter an solchen Lösungen. Laut einer Umfrage des Tech-Verbands Bitkom hat Automobilbau bei der Nutzung Industrie 4.0-Anwendungen mit 53 Prozent einen Vorsprung vor anderen Branchen.
Alle großen Hersteller proben den Einsatz von Leichtbaurobotern. BMW hat 15 Maschinen in Pilotprojekten an deutschen Standorten im Einsatz und bei Audi gehört der knubbelige Roboter Adam seit Anfang des Jahres zum festen Produktionsteam in der A4-Montage. Daimler verspricht sich durch den Einsatz signifikante Einsparungen – in Zeiten am Band, an denen kein Arbeiter an die Karosse kommt, kann der Roboter weiterarbeiten.
773 meldepflichtige Unfälle mit Robotern
Roboter nutzt die Autoindustrie in der Produktion schon lange, aber hinter Sicherheitsabsperrungen. Ein Roboter nun als direkter Kollege am Band? Das weckt bei einigen Unbehagen – und nicht ohne Grund, sagt Constanze Kurz von der IG Metall. In den Jahren 2005 bis 2012 habe es in Deutschland laut Hochrechnungen der Deutschen gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) 773 meldepflichtige Unfälle mit Robotern gegeben. Davon seien drei Unfälle tödlich gewesen, 15 führten zu Erwerbsunfähigkeit.
„Das waren allerdings überwiegend Roboter der alten Schule, die nicht direkt mit den Arbeitern zusammenarbeiten“, sagt Kurz. Erst im Sommer kam ein Arbeiter in einem VW-Werk in Baunatal bei Kassel durch einen solchen Roboter hinter Schutzgittern zu Tode. Trotzdem: „Die Frage nach dem Arbeitsschutz ist von großer Relevanz“, sagt Kurz. „Sie wird noch brisanter, wenn es keine Schutzzäune mehr gibt.“
Bei den neuen kleinen Robotern ersetzen taktile Sensoren die sicht- und spürbare Barriere. Die Kuka-Leichtroboter bei Daimler haben an jeder ihrer sieben Achsen taktile Sensoren. Kommen ihnen Arbeiter in die Quere, berühren sie ihn nur sanft und stoppen dann automatisch. Die Roboter bewegten sich „sehr langsam“ und würden nicht einfach einen Menschen umfahren, beschwichtigt eine BMW-Sprecherin. „Hersteller wie Kuka sind an dieser Stelle durchaus sensibel“, bestätigt die IG Metallerin Kurz. Allerdings macht sie auch klar: Auch ein blauer Fleck sei nicht akzeptabel.
Erleichterung bei anstrengenden Tätigkeiten
Dem gegenüber steht der Nutzen, wenn zum Beispiel schwere Arbeiten oder Handgriffe überkopf vom Roboter ausgeführt werden. Bei BMW rollen die maschinellen Helfer Türdichtungen in die Karossen – eine kraftraubende Arbeit, die früher von Menschenhand verrichtet wurde. Bei Audi übernimmt der Roboter für seine menschlichen Kollegen das lästige Bücken nach Kühlmittelbehältern.
Daimlers Betriebsratschef Michael Brecht hat das Bild eines Bauernhofs vor Augen, bei dem die Roboter wie Tiere für den Menschen arbeiten. Der Leichtbauroboter übernimmt die langweiligen und anstrengenden Routinearbeiten. Der Roboter malocht, der Mensch hat die strategische Steuerung im Blick. Das werde von den Beschäftigten als Gewinn und Chance betrachtet, sagt Brecht. „Der Mensch muss aber im Mittelpunkt stehen.“ Ähnlich sieht es die IG-Metallerin Kurz: „Die Beschäftigten müssen den Takt angeben. Es muss transparent sein: Steuert der Mensch oder das System.“
Sorge um Arbeitsplätze, die Kollege Roboter übernimmt, hat Brecht nicht: Trotz des Fortschritts beim Einsatz von Robotern, seien die Beschäftigtenzahlen zumindest an den Daimler-Standorten insgesamt nicht zurückgegangen. Im Gegenteil: Mit Hilfe der Digitalisierung, so die Hoffnung von Gewerkschaftern, kann Wertschöpfung und damit auch wertvolle Arbeitsplätze in Deutschland gehalten werden. „Kollaborative Roboter können nicht nur ergonomische Hilfen leisten, sondern auch qualifizierend wirken“, sagt Kurz.
Weiterbildung wird zur „Schlüsselfrage“
Weiterbildung sei deshalb eine „Schlüsselfrage“, sagt Brecht. Die neuen Roboter sind allerdings nach den Angaben von Mercedes-Produktionschef Markus Schäfer einfach zu programmieren. Der Arbeiter kann den Roboterarm mit der Hand führen und dabei den Bewegungsablauf abspeichern.
Doch was, wenn der Roboter nicht nur mitarbeitet, sondern auch abspeichert, wie gut sich der Kollege aus Fleisch und Blut an den Takt hält? „Was den Datenschutz angeht, gibt es recht gute Mitbestimmungsmöglichkeiten“, sagt Kurz. „Der einzige Weg, das zuverlässig und transparent zu regeln, ist über Betriebsvereinbarungen.“ Daimlers Betriebsratschef Brecht geht noch weiter: Im Zuge der Digitalisierung, sagt er, brauche es eine neue gesetzliche Grundlage für die Zusammenarbeit von Menschen und Maschinen: Eine Art Beschäftigtendatenschutzgesetz.