Kategorie Innovation & Technologie - 27. November 2015
Ein kleiner Plattenspieler für Nano-Strukturen
Wien – Es ist wie bei einem Plattenspieler: Ein Tonarm bewegt dort eine Nadel durch die Rillen einer Platte. Die resultierenden Schwingungen werden in elektrische Signale umgewandelt und als Töne ausgegeben. Bei einem sogenannten Rasterkraftmikroskop ist das Pendant des Tonarms ein Cantilever, eine winzige Messnadel, die mit ihrer Spitze Nano-Strukturen – im Größenbereich von Milliardstelmetern – einer Oberfläche abtastet. Anstelle der Töne werden dreidimensionale Abbildungen der untersuchten Bereiche ausgegeben.
Auch der Cantilever selbst ist hauchdünn: „Wenn man 1000 davon zusammenbindet, kommt man auf die Dicke eines Haares“, sagt Ernest Fantner, der mit dem Plattenspielervergleich sein Betätigungsfeld erklärt. Mit seinem Unternehmen SCL Sensortech Fabrication hat er sich seit knapp einem Jahrzehnt der Entwicklung neuer Arten dieser hochspezialisierten Messnadeln verschrieben. Eines der neuesten Analysegeräte, die aus der Forschungsarbeit von SCL und dem Schwesterunternehmen Getec Microscopy resultieren, werde seit kurzem sogar an der University of California in Berkley verwendet, freut sich Fantner. Dort will man damit kleinsten Materialdefekten in Atomreaktoren auf die Spur kommen, die von der nuklearen Strahlung herrühren.
SCL, das heuer in Österreichs erste Industrie-4.0-Pilotfabrik in die Wiener Seestadt Aspern gezogen war, erhielt kürzlich den Kooperationspreis des Forschungsnetzwerks Austrian Cooperative Research (ACR). Zudem wurde es im Rahmen des Science-to-Products-Programms der Wirtschaftsagentur Wien und mit dem Merkur-Innovationspreis der Wirtschaftskammer ausgezeichnet.
Die Bewegungen der Messnadel beim Abtasten einer Oberfläche werden in Rasterkraftmikroskopen üblicherweise optisch abgenommen. Der Cantilever wird dabei mit einem Laser bestrahlt, der durch das Auf und Ab unterschiedlich abgelenkt wird. Aus dieser Ablenkung des Lichtstrahls wird auf die Verbiegung der Messnadel geschlossen, aus der sich letztendlich das 3-D-Bild ergibt.
Fantner und sein Team sind einen anderen Weg gegangen. „Wir nützen Technologien, die von Halbleiterherstellern wie Intel entwickelt wurden, für unseren Spezialfall“, sagt Fantner, „und integrieren auf dem Cantilever Dehnungssensoren, die elektronisch messen, wie sich die Messnadel verbiegt.“
Kombinierte Mikroskope
Der Wegfall des Lasers hat einen großen Vorteil: „Wir können das Rasterkraftmikroskop so klein machen wie ein Smartphone“, so der Unternehmer. Auf diese Weise könne man es sogar in ein Elektronenmikroskop einbauen und so die Stärken beider Analysemethoden in einem Gerät kombinieren – die hohe Auflösung und den Bildbereich des Elektronenmikroskops und die Tiefenabtastung durch ein Rasterkraftmikroskop.
Die Spitze der Nadel, die das Material abtastet, kann aus verschiedenen Materialien wie Silicium oder Platin hergestellt werden, um unterschiedliche Aspekte der Materialbeschaffenheiten einer Probe zu messen: Härte, Leitfähigkeit, magnetische Eigenschaften oder Temperatur. „Man kann mit dieser Nano-Toolbox sogar die Nadel auf eine Zelle eines Gewebes drücken lassen und schauen, wie steif sie ist – also ihre mechanischen Eigenschaften messen“, erklärt Fantner das Analysewerkzeug, das gemeinsam mit dem Institut für Elektronenmikroskopie und Nanoanalytik der TU Graz entwickelt wird.
Gemeinsam mit dem Institut für Sensor- und Aktuatorsysteme der TU Wien wurde hingegen ein Cantilever aus noch einem weiteren Material entwickelt: Aluminiumnitrid. Diese Variante erlaubt es, eine Oberfläche im Vakuum schneller abzutasten. Fantner ist zudem auf die vielen internationalen Forschungspartner seines Unternehmens stolz, neben Berkeley etwa die EPF Lausanne oder die Chinesische Akademie der Wissenschaften.
Vielfältige Anwendung
Auch wenn man keine Atomreaktoren prüft, sind die Einsatzgebiete der Nano-Analysegeräte vielfältig. Sie helfen, die Miniaturisierung der Halbleitertechnik voranzutreiben. In den Materialwissenschaften werden etwa strukturelle Auswirkungen von Verformungen geprüft. Man könne sogar ganze DNA-Stränge in 3-D abbilden. Eine Untersuchung der Oberflächenveränderungen von Bakterien bei Einfluss von Antibiotika sei aber das bisher prominenteste Beispiel für den Nutzen des neuen Messinstruments, so Fantner. Die Arbeit hat es bis ins renommierte Fachjournal Nature geschafft. (Alois Pumhösel, 27.11.2015)