Kategorie Innovation & Technologie - 23. November 2021
Zwei-Grad-Ziel wackelt auch bei erreichten aktuellen Klimazielen
Wenn die Länder der Welt ihre Ziele beim Einsparen von Treibhausgasen bis zum Jahr 2030 einhalten, ist das alles andere als eine Garantie dafür, dass die Erderwärmung bis zum Ende des Jahrhunderts unter zwei Grad Celsius bleibt. Ein Team von Forschenden mit österreichischer Beteiligung hat eine Reihe von Klimamodellen etwa unter der Annahme durchgespielt, dass die Staaten ihre Bekenntnisse tatsächlich umsetzen. Demnach bliebe ein wahrscheinliches Temperaturplus von rund 2,4 Grad.
Die Wissenschaftler:innen – unter ihnen auch Joeri Rogelj vom Internationalen Institut für angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg bei Wien und vom Imperial College London – haben verschiedene Szenarien in sieben unterschiedlichen Klimamodellen berechnet. Dabei ging man nicht wie üblich derart vor, beispielsweise möglichst kosteneffektive Wege zum Erreichen des im Pariser Klimaabkommen formulierten Zieles einer Erwärmung von unter zwei Grad Celsius gegenüber den vorindustriellen Niveau zu identifizieren. Die Forscher gingen in der Untersuchung davon aus, dass die Länder ihre klimapolitischen Vorhaben bis zum Jahr 2030 tatsächlich umsetzen. Auf Basis dessen ließen sie die mögliche Entwicklung bis zum Jahr 2100 unter zwei verschiedenen Annahmen weiterlaufen.
„Sogar unsere optimistischen Szenarien gehen nicht mit der Pariser Klimaeinigung einher, die weltweite Erwärmung deutlich unter einem Plus von zwei Grad zu begrenzen“, schreiben sie in der Arbeit im Fachmagazin Nature Climate Change. Die wahrscheinlichsten Ergebnisse der vielfältigen Berechnungen liegen demnach zwischen einem Plus von rund 2,2 bis 2,7 Grad Celsius bis zum Ende des Jahrhunderts. Knapp unter der Grenze von zwei Grad lande man laut mehreren in den vergangenen Wochen veröffentlichten Berechnungen nur, wenn in den vergangenen Jahren von einigen Ländern gemachte ambitionierte Pläne zur Klimaneutralität in etwa bis Mitte des Jahrhunderts auch tatsächlich umgesetzt würden. Diese Ansagen sind jedoch in den meisten Fällen äußerst vage.
Berechnungen lagen weit auseinander
Erstaunlich war für die Forscher, dass die Ergebnisse ihrer Berechnungen relativ weit auseinanderlagen, je nachdem, welches Modell ihnen zugrunde lag. Diese Erkenntnis sollte künftig in Aussagen über weiter in der Zukunft liegende Temperaturzunahmen einfließen. Letztlich zeige sich, dass man beim Treffen politischer Entscheidungen mit nicht leicht zu eliminierenden Unsicherheiten leben muss und das ganze Spektrum der Szenarien im Auge behalten sollte, meinen die Wissenschafter. Die Analyse zeige aber, dass – um das Zwei-Grad-Ziel noch zu erreichen – neue Zusagen zu Eindämmungsmaßnahmen von der Politik aber konkret umgesetzt werden müssen.
Dass in der neuen Studie die Beschlüsse der jüngsten Klimakonferenz in Glasgow (Großbritannien) noch nicht berücksichtigt wurden, fällt laut vom deutschen Science Media Center (SMC) befragten Experten nicht ins Gewicht. Letztlich zeigten die Analysen, dass noch sehr viele Szenarien möglich sind. „In Anbetracht der Entscheidungen, die wir aktuell treffen – zum Beispiel fossile Brennstoffe weiter zu subventionieren und in Infrastruktur und Förderung von fossilen Brennstoffen zu investieren – scheinen wir uns auf das obere Ende der Modellszenarien zuzubewegen“, so der aus Österreich stammende Ökonom Klaus Hubacek von der Universität Groningen (Niederlande).
Neun globale Bewertungsmodelle
In zwei aktuellen Studien wurden die wahrscheinlichen physikalischen und wirtschaftlichen Auswirkungen für verschiedene Erwärmungsziele und Überschreitungsgrade auf der Grundlage von neun globalen Bewertungsmodellen berechnet. Die Untersuchungen erfolgten im Rahmen des vom Internationalen Institut für angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg bei Wien geleiteten Projekts „Exploring National and Global Actions to reduce Greenhouse gas Emissions“ (ENGAGE).
Das Überschreiten der angepeilten Temperaturwerte hätte demnach massivste Auswirkungen. Diese würden sich bei den Hitzewellen zeigen, deren Dauer und Frequenz zunehmen würde, aber auch bei Ernteverlusten und Dürren. Zudem würde eine Überschreitung in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts sowohl zu höheren Kosten für den Klimaschutz als auch zu wirtschaftlichen Verlusten aufgrund weiterer Auswirkungen führen.
Viel besser wäre es, sich erst gar nicht auf das „gefährliche Terrain“ zu begeben, das mit einer vorübergehenden Überschreitung der Ziel-Temperaturen verbunden wäre. Denn die dann erforderlichen negativen Emissionen könnten sich als nicht durchführbar erweisen. Zudem würde selbst eine vorübergehende Überschreitung Gefahren wie Überschwemmungen und Waldbrände verstärken und könnte dem Klima und empfindlichen Ökosystemen dauerhaften Schaden zufügen.
Dagegen wäre es bei raschen Emissionssenkungen in den nächsten Jahrzehnten nicht notwendig, netto-negativ zu werden: Stattdessen würden sich die globalen Temperaturen auf einem bestimmten Niveau einpendeln, etwa zu dem Zeitpunkt, an dem Netto-Null-Emissionen erreicht werden. Dies wäre nicht nur sicherer für den Planeten, sondern hätte auch langfristige wirtschaftliche Vorteile. Prognostiziert wird, dass das globale BIP im Jahr 2100 um bis zu zwei Prozent höher sein wird, wenn eine Überschreitung der Grenzwerte vermieden wird.