Kategorie Mobilität - 24. Mai 2022
Stadtforscherin Schechtner: »Mobilität muss neu gedacht werden«
In vielen Bereichen braucht es ein radikales Umdenken, um die Klimaziele noch zu erreichen und die Erderwärmung auf das vereinbarte Maß zu begrenzen – in der Industrie, in Landwirtschaft und Ernährung, im Reduzieren des Energieverbrauchs. „Ein Schlüsselfaktor ist aber die Mobilitätswende“, sagt die Stadtforscherin Katja Schechtner. „Bei der Mobilität braucht es eine Systemänderung, aber man kann auch schon mit individuellen Verhaltensänderungen viel bewirken.“
Bei der zweitägigen Featuring Future Conference der Universität für Bodenkultur Wien (BOKU) wird die frühere OECD-Beraterin, Angewandte-Gastprofessorin und stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende des AIT Austrian Institute of Technology am Mittwoch in der Aula der Wissenschaften zum Thema „Mobilität neu denken“ sprechen. Vier Punkte werde sie dabei besonders betonen, sagt sie im Gespräch mit der APA: Es brauche ein radikal globales Verständnis für die Thematik („We are one planet, not one country!“), ernsthafte Interdisziplinarität, eine „Entmystifizierung von Digitalisierung“ sowie das Bewusstsein: „Jede Innovation zählt!“ Gleichzeitig warnt die Forscherin: „Wir werden uns nicht rauserfinden können aus dem, was zu tun ist!“
Alleine die Anstrengungen, die durch Verkehr verursachten Emissionen zu reduzieren, werden enorm sein müssen. Dass Schechtner dennoch einen gewissen Optimismus verbreitet, liegt vor allem an zwei Dingen: Heute sei die Datenlage ungleich besser als noch vor wenigen Jahren. Man wisse bis ins kleinste Detail, wie sich die Menschen bewegen und welche Faktoren sie zu einer Verhaltensänderung veranlassen. Zudem sei das Bewusstsein um die Problematik stark gestiegen, gebe es vor allem im urbanen Bereich eine Vielzahl von Schritten in die richtige Richtung. Dazu zähle die Zurückdrängung des Autoverkehrs in den Städten, verweist sie etwa auf das Erfolgsmodell der „Begegnungszone Mariahilfer Straße“. „Ich finde auch das Klimaticket sensationell. Ich habe es sofort gekauft.“
Ländlicher Raum als Herausforderung
Doch es gebe auch Problemzonen, räumt die Mobilitäts- und Urbanitätsforscherin ein. In Österreich zähle etwa der mit öffentlichen oder alternativen Verkehrssystemen kaum erschlossene ländliche Raum dazu, aus globaler Perspektive sei es etwa das berechtigte Interesse von Menschen, denen es bisher nicht möglich war, „auch etwas von der Welt zu sehen“. Schechtner weiß, wovon sie spricht: 1972 in St. Pölten geboren, lebt sie seit ihrem Studium als „globale urbane Nomadin“, hat u.a. in Paris und an der Columbia University in New York City studiert, am MIT in Massachusetts und bei der Asian Development Bank in Manila gearbeitet. „Dort habe ich direkt neben einem Slum gewohnt. Den Menschen dort zu sagen, sie müssen auf ihre Hoffnung verzichten, ihren Lebensstandard zu verbessern, wäre purer Zynismus.“
https://youtu.be/r9U7PESmUog
Daher ist Schechtners Botschaft zweigeteilt: „Ja, insgesamt muss Mobilität radikal verringert werden. Und ja: Wir werden dazu auch ganz klare regulatorische Maßnahmen brauchen.“ Auf der anderen Seite sieht sie im Zusammenspiel von Mentalitätsänderungen und Innovationen eine große Chance. „Da können wir 100 Dinge in Bewegung bringen.“ Würde aufgrund der Erfahrungen in der Corona-Pandemie der durchschnittliche Arbeitnehmer an zwei von fünf Tagen im Home-Office arbeiten, brächte das bereits eine massive Reduktion der Verkehrswege. Würde man die Autohersteller darauf verpflichten, ebenso viel Werbebudget für aktive Mobilität wie Gehen, Radfahren etc. zu investieren wie für große, umweltschädliche SUVs, würde sich auch das Straßenbild bald ändern, ist sie überzeugt.
Apropos SUVs: Vom gegeneinander Ausspielen unterschiedlicher Verkehrsteilnehmer hält Katja Schechtner, die unlängst in einem Buch als eine von 13 „inspirierenden und wegweisenden“ Frauen gewürdigt wurde, gar nichts. Deshalb sieht sie auch das massenweise Auftauchen von Elektro-Scootern in den Städten als eine positive Entwicklung: „Sie werden nämlich überwiegend von jungen Männern benutzt. Und solange diese mit den E-Scootern fahren, kaufen sie sich kein Auto.“
Noch keine Lösung für Flugverkehr
Für eine Wende im Flugverkehr hat die Forscherin allerdings keine Lösung parat: „Das zählt zu den Dingen, auf die ich noch keine Antwort habe. Ich weiß nicht, wie man diese Dinge ethisch nachvollziehbar und klimafreundlich lösen kann. Man kann Menschen nicht das Recht nehmen zu reisen. Und unser Verständnis, dass wir auf einem Planeten leben, hat eben auch damit zu tun, dass wir viel gereist sind.“
Schechtner hat über Dynamic Transportation Systems am AIT geforscht, Smart City-Projekte in Manila oder in Pakistan betreut oder sich mit Drohnen als Transportmittel der Zukunft beschäftigt. Eines der Best-Practice-Beispiele, die ihr einfallen, hat den Gütertransport in Indien deutlich beschleunigt und für die Fahrer ungleich attraktiver gemacht: Dank ausgeklügelter digitaler Vernetzung könnten Güter von LKWs quasi im Staffel-System transportiert werden, wodurch die Fahrer nicht tagelang unterwegs seien, sondern zu Hause bei ihren Familien schlafen können. „Auch in Europa und Nordamerika werden in den kommenden Jahren rund eine Million Lkw-Fahrer fehlen. So kann man den Beruf wieder deutlich attraktiver machen!“
Ein Ideal-Beispiel für smarte Transportmittel sieht sie auch in den vor allem in Asien verbreiteten Tricycles, dreirädigen Rikschas für Personen- und Gütertransporte, wahlweise mit und ohne Fahrer, mit und ohne E-Motor-Unterstützung. „Pro Monat kommen in Indien 11.000 neue E-Trikes auf die Straße. Um das zu einem Teil der europäischen Mobilitätswende werden zu lassen, braucht es nur unsere Bereitschaft zu einer Revolution unserer Mobilitätskultur.“ Eine Revolution, die kommen muss. Je früher, desto besser.
Service: Featuring Future Conference am 24. und 25. Mai in der Aula der Wissenschaften, Wien 1, Wollzeile 27a, https://boku.ac.at/die-boku-feiert-150-jahre/zukunftskonferenz