Kategorie Klima- & Umweltschutz - 20. März 2024
Bericht zum Zustand des Klimas: WMO spricht von »Alarmstufe Rot«
2014 bis 2023 laut WMO bisher heißestes Jahrzehnt – besorgniserregende Meerestemperaturen – fast alle Ozeanregionen haben 2023 eine Hitzewelle erlebt
Dass 2023 das wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen werden würde, war schon klar, bevor das Jahr überhaupt vorbei war. Nachdem der menschengemachte Klimawandel im vergangenen Jahr mit alarmierenden Negativ-Rekorden deutlicher denn je sichtbar geworden ist, fasst ein aktueller Bericht der Weltwetterorganisation (WMO) zum Zustand des Klimas im vergangenen Jahr nun alle Daten nochmal zusammen. Diese zeigen, was sich an Land, in den Ozeanen und in der Atmosphäre verändert.
Es sei gut möglich, dass 2024 den Temperaturrekord von 2023 übertreffe, sagte der Leiter der Abteilung für Klimaüberwachung bei der WMO, Omar Baddour, anlässlich der Veröffentlichung des WMO-Berichts zum Zustand des Weltklimas 2023.
Der Jänner 2024 sei bereits der heißeste seit Beginn der Industrialisierung gewesen. WMO-Chefin Celeste Saulo sprach von einer „Alarmstufe Rot“. „Beim Klimawandel geht es um viel mehr als um Temperaturen. Was wir im Jahr 2023 erlebt haben, insbesondere die beispiellose Erwärmung der Ozeane, den Rückzug der Gletscher und den Verlust des antarktischen Meereises, gibt Anlass zu besonderer Sorge“, sagte sie.
The #StateOfClimate in 2023 gave new meaning to the phrase “off the charts” by marking the warmest year and decade on record. Check out the full report: https://t.co/5NVxGLLjL9 pic.twitter.com/3pQpCN2krT
— World Meteorological Organization (@WMO) March 19, 2024
Die WMO bestätigte ihre vorläufigen Schätzungen: Die global gemittelte Durchschnittstemperatur lag 2023 rund 1,45 Grad über dem Niveau vor der Industrialisierung (1850-1900). Davor war 2016 das wärmste Jahr, mit rund plus 1,3 Grad. Der europäische Erdbeobachtungs- und Klimawandeldienst Copernicus hatte die Erwärmung 2023 mit plus 1,48 Grad angegeben. Die WMO betrachtet jeweils Datensätze von Copernicus und mehrerer anderer renommierter Institute zusammen. Deshalb ist ihr Bericht über Klimaveränderungen besonders breit abgestützt und gilt als globale Richtschnur.
Dabei verzeichnen vor allem die Weltmeere außergewöhnliche Wärmerekorde. Im Laufe des Jahres hätten 90 Prozent der Ozeanregionen eine Hitzewelle erlebt, so die WMO. Das sei besonders alarmierend, weil Meere die Temperatur länger speicherten als die Atmosphäre, sagte Saulo. Nach Angaben von Baddour hat die Wissenschaft noch keine Erklärung für die Entwicklung gefunden. Das Wetterphänomen El Niño reiche dafür nicht.
Bereits rund ein Jahr lang liegt die mittlere Oberflächentemperatur des Nordatlantiks an jedem einzelnen Tag auf dem höchsten Tagesstand seit Messbeginn vor rund 40 Jahren – meistens sogar mit einem großen Abstand zum bisherigen Tagesrekord.
Am 7. März vergangenen Jahres startete die durchgehende Kurve der Tagesrekordtemperaturen des Nordatlantiks. Bei den Weltmeeren insgesamt begann sie am 14. März. „Wenn man sich anguckt, wie die Temperaturentwicklung in den Ozeanen der anderen 40 Jahre war, kann man sehen, dass die derzeitige Erwärmung wirklich weit außerhalb der natürlichen Schwankungen liegt“, so Anders Levermann vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK).
Ozeane seien „ein verdammt guter Indikator für die Klimaerwärmung“. Die Ozeane nähmen über 90 Prozent der Wärme auf, die durch den Anstieg der Treibhausgase in der Atmosphäre verbleibe. „Es ist völlig klar, dass sich die Meere erwärmen, wenn sich die Erde weiter erwärmt.“ Das Klimaphänomene El Niño, welches Wärme aus den Meerestiefen im Pazifik nach oben pumpt, verstärke die außergewöhnliche Erwärmung und potenziere zudem den Effekt des menschengemachten Klimawandels. Einige Forschende sehen auch neue Emissionsregeln in der Schifffahrt als Faktor.
Als 2021 die Internationale Seeschifffahrts-Organisation (IMO) bestimmte, dass auf den Weltmeeren weniger Sulfat aus der Verbrennung von Rohöl ausgestoßen werden solle, ging es vornehmlich um eine Verbesserung der Luftqualität. Nun ist die Luft über den Seefahrtkorridoren mittlerweile tatsächlcih reiner, doch der teils dicht befahrene Nordatlantik plötzlich so warm wie nie zuvor. Eine viel diskutierte Hypothese in der Forschung der vergangenenen Monate ist deshalb, ob hier ein Zusammenhang besteht.
Wirkt die Freisetzung schwefelhaltiger Verbindungen, kleinster Aerosole, ähnliche wie nach Vulkanausbrüchen oder Waldbränden kurzfristig kühlend, weil sie Sonnenstrahlen reflektieren oder streuen? Möglich wäre das und weil Schwefeloxide nur relativ kurz in der Atmosphäre verweilen, wirken sie vor allem dort, wo sie entstehen.
Das Phänomen, dass Aerosole von Abgasen oder Vulkanasche einen kühlenden Effekt auf das Klima haben, ist nicht neu und wird in den Klimamodellen schon lange nicht nur mitgedacht, sondern auch mit einberechnet. Und so verursachen die durch menschliche Aktivitäten steigenden Emissionen eine sehr viel langlebigere Treibhausgaskonzentration in der Erdatmosphäre und einen entsprechend anhaltenden Erwärmung, weil diese Emissionen schlicht sehr viel länger in der Atmosphäre überdauern.
Für die Erwärmung der Meere gilt nun, dass sich das Wasser darin ausdehne. Zusammen mit der Eisschmelze lasse das den Meeresspiegel immer rascher steigen, sagt Levermann: „Am Anfang des letzten Jahrhunderts hatten wir rund einen Zentimeter pro Jahrzehnt Meeresspiegelanstieg, am Anfang dieses Jahrhunderts rund drei und jetzt mittlerweile schon etwa fünf.“
Klimaforscher Latif weist darauf hin, dass Starkregen häufiger werden könnte, weil mehr Wasser verdunstet und wärmere Luft mehr Wasserdampf halten kann, der irgendwann dann als Niederschlag herunterkommt.
Zudem hätten die Gletscher mehr Eis verloren als in jedem anderen Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen 1950, vor allem in Nordamerika und Europa. Auch die Ausdehnung des antarktischen Meereises habe einen Negativ-Rekord erreicht. Die maximale Ausdehnung sei eine Million Quadratkilometer kleiner gewesen als beim vorherigen Negativ-Rekord: Das entspricht einer Fläche etwa so groß wie Deutschland und Frankreich zusammen.
Der global durchschnittliche Meeresspiegel sei im vergangenen Jahr so hoch gewesen wie nie seit Beginn der Satellitenmessungen 1993. In den vergangenen zehn Jahren sei der Meeresspiegel doppelt so schnell gestiegen wie in den ersten zehn Jahren seit Beginn der Satellitenmessungen. Ursachen seien sowohl die Schmelze von Gletschern und Eis als auch die thermische Ausdehnung des wärmeren Wassers.
Karsten Haustein vom Institut für Meteorologie der Universität Leipzig kritisierte anlässlich des Berichts, dass in der öffentlichen Debatte hierzulande verbreitet der Eindruck dominiere, die Klimawandelfolgen seien durch Technologie schon irgendwie zu bewältigen. Es fehle an Willen, die Klimakrise ernst zu nehmen. „Tatsache ist, dass die durch Nichthandeln entstehenden Klimawandel-Folgekosten die nötigen Kosten, um den Klimawandel rechtzeitig zu stoppen, um fast den doppelten Betrag jährlich übersteigen werden.“ Je mehr jetzt investiert werde, um die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern zu beenden, desto mehr Geld werde insgesamt mittelfristig gespart. „Heutige Untätigkeit wird unsere Kinder und Enkel teuer zu stehen kommen.“
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