Kategorie Innovation & Technologie - 26. November 2017
Bioplastik aus der Zuckerrübe
Graz – Mit Zucker kann man den Frühstückskaffee süßen, Weihnachtskekse backen oder kalorienreiche Erfrischungsgetränke herstellen, um sie in kleinen Flaschen zu verkaufen. Man kann die energiereiche pflanzliche Substanz – und das ist viel weniger bekannt – auch als Rohstoff für die Herstellung von Kosmetika, Reinigungsmitteln oder Bioplastik verwenden.
Diese alternativen Nutzungsarten könnten in Zukunft stark an Bedeutung gewinnen. Denn einerseits sinkt mit zunehmendem Gesundheitsbewusstsein der Menschen der konventionelle Verbrauch. Andererseits entfallen mit der im September 2017 ausgelaufenen Zuckermarktordnung EU-Quoten und Mindestpreise. Es ist also zu erwarten, dass die Produktionsmengen ansteigen und die Preise sinken werden.
Neues Forschungsvorhaben
Ein neues EU-gefördertes Forschungsvorhaben soll die neuen Verarbeitungsmöglichkeiten, die sich künftig auch wirtschaftlich rechnen könnten, im großen Maßstab umsetzbar machen. Gemeinsam mit internationalen Wirtschaftspartnern arbeiten die TU Graz und die Universität Gent in Belgien im Projekt Carbafin an den industriellen Produktionsprozessen. Das ebenfalls in Graz ansässige Kompetenzzentrum Austrian Centre of Industrial Biotechnology (Acib), das im Rahmen des Comet-Programms der Förderagentur FFG mit Mitteln von Verkehrs- und Wissenschaftsministerium unterstützt wird, koordiniert das vierjährige Projekt, das im Jänner 2018 beginnt und insgesamt 6,1 Millionen Euro schwer ist. 2,7 Millionen Euro EU-Fördergeld gehen in die Steiermark.
Was passiert also bei der Weiterverarbeitung mit dem Zuckerrübenextrakt? Für Bernd Nidetzky, den wissenschaftlichen Leiter des Projekts am Acib, ist das nicht einfach nur Zucker: „Die gewonnene Saccharose ist eine hochwertige Chemikalie und Ausgangsstoff für eine Reihe an chemischen Prozessen.“
Süße Chemie
In der Saccharose ist jeweils ein Glucose- und ein Fructosemolekül verbunden. Die Forscher haben es zuerst auf den Glucose-Anteil im Zucker abgesehen. Bereits in Vorgängerprojekten wurden spezielle Enzyme identifiziert, die ihn auf andere Stoffe übertragen können – beispielsweise auf Glyzerin, das in vielen Bereichen als feuchtigkeitsspendende Substanz eingesetzt wird. Das so entstehende Glukosylglycerin kann etwa als Zusatzstoff in der Kosmetik dienen. Eine weitere, etwas komplexere Prozessvariante zielt auf die Herstellung von Oligosaccharide ab, die als Zusatzstoffe in Nahrungs- und Futtermitteln Verwendung finden können.
Bei den enzymatischen Prozessen werde die Saccharose nicht einfach nur aufgespalten, betont Nidetzky, sondern tatsächlich die Glucose auf ein weiteres Molekül mit einer „definierten Endstruktur“ übertragen. Bei dem enzymatischen Prozess ist es von Vorteil, dass der Zucker ein besonders energiereicher Stoff ist. „Die Energie wird im Umwandlungsvorgang freigesetzt und treibt den Prozess an“, erklärt der Forscher. Das Verfahren sei also effizienter und weniger energieaufwendig als Syntheseprozesse.
Die Verarbeitung der Glucose auf diese Art hinterlässt den zweiten Zuckeranteil: die Fructose. Aus ihr lässt sich eine Chemikalie namens Hydroxymethylfurfural (HMF) herstellen, die wiederum als Basis für Materialien wie Harze, Kleber, Kraftstoffe oder Polymere dienen kann, die üblicherweise aus petrochemischen Grundstoffen hergestellt werden.
Ziel des Projekts
Am Ende des Projekts sollen eine Testanlage und Pläne für Prozesse im industriellen Maßstab stehen. Das Problem beim Transfer von Laborerkenntnissen auf großtechnische Dimensionen sei das Abstimmen und Verbinden der einzelnen Arbeitsschritte, sagt Nidetzky. Prozesse wie Enzymherstellung, Reaktion und Reinigung müssen wirtschaftlich sinnvoll ineinandergreifen.
Auch ökologische Analysen sollen die Entwicklung begleiten, betont der Forscher: „Biotechnologie ist nicht von vornherein umweltverträglich und benötigt oft sehr viel Energie, Wasser oder chemische Lösungsmittel.“ Als sogenannte Bioraffinerie, in der Biomasse in nutzbare Chemikalien umgewandelt wird, soll die industrielle Implementierung möglichst nachhaltig sein. (Alois Pumhösel, 25.11.2017)