Kategorie Innovation & Technologie - 16. Mai 2018
Braille-Reader eines TU Wien Spin-offs ausgezeichnet
Ein neues Konzept für die Anzeige der Braille-Blindenschrift hat das österreichische Start-up Unternehmen Tetragon, ein Spin-off der Technischen Universität (TU) Wien, unter Leitung von Wolfgang Zagler entwickelt. Das Display besteht aus einem Ring, dessen Innenseite die Buchstaben anzeigt, und passt in jede Jackentasche, so Wolfgang Zagler, der mit seinem Team, Istvan Déak und Michael Treml (Fellows des Spin-off-Programms) das neuartige Braille-Lesegerät entwickelte.
„Seit Jahrzehnten weiß man, dass die Frage nach dem optimalen Braille-Display nicht zufriedenstellend gelöst ist“, sagt Wolfgang Zagler. „Es gab immer wieder verschiedene Ansätze – mit elektromagnetisch gesteuerten beweglichen Stiften, mit Piezoelementen und anderen Technologien, aber all diese Konzepte hatten ihre Nachteile.“ Manche Displays haben einen hohen Stromverbrauch oder eine recht begrenzte Haltbarkeit, sie sind allenfalls für den Einsatz im Büro geeignet, aber nicht transportabel, sie sind technisch kompliziert und daher meist sehr teuer.
Mit „MoBraille“ wird die Blindenschrift nicht mehr auf einer unbeweglichen Zeile angezeigt. Stattdessen tastet man das Innere eines drehbaren Rings ab. Ähnlich wie eine Computermaus kann man den Ring anfassen und über die Tischoberfläche ziehen. Der Zeigefinger befindet sich dabei im Inneren des Ringes, und dort ertastet man die Buchstaben, die bei jeder Umdrehung des Rings neu gebildet werden. So entsteht beim Lesen der Eindruck einer unendlich langen Zeile.
Es basiert auf einem Ansatz, der die Drehung von kleinen Quadern nutzt: In einem ersten Schritt wurden die sechs Punkte, aus denen jeder Buchstabe der 1825 von Louis Braille entwickelten Schrift aufgebaut ist, von den Entwicklern in drei Zweiergruppen zerlegt. „Für jede Zweiergruppe gibt es vier Möglichkeiten: Zwei Punkte, ein Punkt links, ein Punkt rechts, oder gar kein Punkt“, erklärte der Wissenschafter in einer Aussendung. „Diese vier Möglichkeiten werden auf den vier Schmalseiten eines Quaders aufgebracht.“
Die Quader bewegen sich auf der Innenseite des Ringes im Kreis und können nach Belieben verdreht werden. Aus jeweils drei Quadern wird der gewünschte Buchstabe gebildet. So entstehe beim Lesen der Eindruck einer unendlich langen Zeile, berichtete Zagler. Dies sei ein Fortschritt gegenüber älteren Modellen, bei denen die Schrift von einer unbeweglichen Zeile abgetastet wurde. Bisherige Displays hatten außerdem einen hohen Stromverbrauch, seien teuer und hauptsächlich für den Einsatz im Büro geeignet.
Zugriff auf Texte überall möglich
Mit dem neuen Display möchten die Forscher einen Beitrag dazu leisten, dass die Braille-Schrift den Schritt ins Zeitalter der mobilen Computer und Smartphones schafft. „Lesen ist schließlich eine wichtige Kulturtechnik, es ist unverzichtbar, dass blinde Menschen auch in Zukunft mit der Braille-Schrift vertraut sind“, so Zagler. Sprachausgabe-Software, mit der man sich Texte vorlesen lassen kann, sei kein vollwertiger Ersatz. „Im Zeitalter des Smartphones ist es für sehende Menschen selbstverständlich, immer und überall auf Texte zugreifen zu können. Mit herkömmlichen Braille-Geräten ist das nur schwer möglich. Dadurch wird die Blindenschrift zunehmend unattraktiv und der Analphabetismus bei jungen blinden Menschen steigt“, erklärte der Forscher. Dies wolle man mit dem transportablen Braille-Reader verhindern.
Einige wichtige Fragen seien jedoch in den nächsten Monaten noch zu klären: „Etwa, welche Materialien man am besten wählt, wie man Antriebselemente mit möglichst geringem Stromverbrauch einsetzt und welche ergonomischen und haptischen Eigenschaften am angenehmsten sind“, berichtete Zagler. Zudem sei man sich bewusst, dass auch die unterschiedlichen Bedingungen in verschiedenen Weltregionen berücksichtigt werden müssen, wie zum Beispiel das Klima.
Der Endpreis des fertigen Geräts steht noch nicht fest, das Tetragon-Display solle aber kostengünstiger werden als bisher verfügbare Produkte: „Wir wollen das Display um den Preis eines guten Smartphones anbieten“, so der Experte. Für die Entwicklung des Braille-Reader wurde Tetragon bereits 2017 mit einem Social Impact Award ausgezeichnet. Nun ist das Tetragon auch Teil der „Spin-off Fellowships“, die von der österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft FFG an acht Start-up-Projekte vergeben wurde. Das Fellowship-Programm wird in den nächsten Jahren mit insgesamt 13,8 Millionen Euro unterstützt und soll die Verwertung innovativer Ideen fördern, so dass entsprechende wissenschaftliche Ideen ihren Weg in die wirtschaftliche Anwendung finden.