5. Juni 2018
Der schnellste Weg zum Notfall
Von Daniel Pohselt
Schlägt Robert Fritzes Pager Alarm, muss es schnell gehen. Nur zwei Minuten – nachts drei – bleiben dem Notfallmediziner, um ins Auto zu springen. 18 Minuten später soll er zur Stelle sein. Dann steht er Unfallopfern im Straßenverkehr zur Seite oder hilft als Erstversorger bei akuten medizinischen Notfällen. Insgesamt 32 Notarztstützpunkte gibt es in Niederösterreich. Dienstlich unterwegs ist Fritze in Krems. Nicht bei jedem Einsatz, weiß der gebürtige Wiener, im Hauptberuf Anästhesist am Uni-Klinikum Krems, ist die zeitliche Vorgabe zu halten. Schwer wird es in entlegenen Gemeinden wie Lunz am See oder Schwarzau im Gebirge. Dorthin bricht mitunter gleich der Helikopter auf. An der Verteilung der Notarztstationen gibt es dennoch wenig zu kritisieren.
In seinem berufsbegleitenden Informatikstudium errechnete Fritze, dass rund 90 Prozent der 1,7 Millionen Niederösterreicher innerhalb von 20 Minuten erreicht werden. Vorlesungen zu mathematischen Optimierungsverfahren machten ihn aber neugierig: Ist eine noch effizientere Abdeckung durch eine andere Verteilung der Notarztstandorte denkbar?
Schon in den Achtzigern untersuchten Forscher in der texanischen Metropole Austin, an welchen geografischen Koordinaten eine medizinische Erstversorgung Sinn macht – und fütterten dazu ihre Computer mit Daten. Mangels detaillierter elektronischer Straßenkarte blieb vieles vage. In Fritzes Projekt – beteiligt waren das Forschungsinstitut AIT und die Uni Wien – fehlte es dagegen nicht an technischen Möglichkeiten.
Drei zusätzliche Stützpunkte
Von der Verkehrsdatenplattform GIP.at erhielt man einen vollständigen digitalen Straßengrafen. Die Geoinformatikerin Anita Graser vom AIT errechnete innerhalb eines über ganz Niederösterreich gelegten Rasters aus exakt 11.641 Zellen – jede einen Quadratkilometer groß – die jeweils kürzesten Straßenverbindungen. Verfeinert wurde das Modell durch die Zahl der Hauptwohnsitzgemeldeten und Details zum Pendlerverkehr. All dies floss in einen Algorithmus ein. „Er liefert ein Maß dafür, wie weit das Ergebnis von der besten Lösung entfernt ist“, erklärt Fritze. Hilfe beim Aufsetzen und Optimieren der Funktion kam vom Statistiker Markus Sinnl, 2016 Forschungsassistent an der Uni Wien.
Dann wurde gerechnet. Fritze mietete dafür einen Computer mit 64 Parallelprozessoren. Am Ende stand fest: Eine zeitgerechte Versorgung von mehr als 95 Prozent aller Niederösterreicher ist relativ leicht erreichbar. Es müssten dafür die 32 Notarztstationen neu auf Landeskrankenhäuser und Rettungsstützpunkte, etwa die des Roten Kreuzes, verteilt werden. Und es brauchte drei zusätzliche Stationen an Rettungsstützpunkten. Auch in anderen Ländern hätte der Algorithmus Potenzial. Die einzigen Voraussetzungen: „Eine digitale Straßenkarte und Zugriff auf Bevölkerungszahlen“, so Fritze.