Kategorie Innovation & Technologie - 11. April 2019

Die Entwicklung des Fernwärmenetzes von morgen

Wie setzt man neue Maßstäbe für die Energiezukunft? Bis zum Jahr 2050 könnten Wind, Sonne und andere regenarative Quellen bis zu 86 Prozent des weltweiten Bedarfs decken – selbst wenn im gleichen Zeitraum die Stromnachfrage deutlich steigt, etwa durch eine höhere Verbreitung von Elektroautos. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der International Renewable Energy Agency (IRENA), die jüngst in Berlin präsentiert wurde.

In Österreich sollen schon bis 2030 100 Prozent des Stroms aus erneuerbarer Energie gewonnen werden – die Klima- und Energiestrategie #mission2030 stellt dafür die Grundlage. Bereits jetzt steigt auch der Anteil erneuerbarer Energien in Fernwärmenetzen stetig an. Mit den unregelmäßig auftretenden Energieformen wird aber auch das Management der Netze komplizierter. Die eigentliche Herausforderung für den Umbau solch großer Fernwärmesysteme besteht jedoch darin, eine auf die örtlichen Gegebenheiten abgestimmte Strategie zu entwickeln.

© greenenergylab.at

Entlang der Netze schlummert viel Potential

Schon heute wird jedes vierte Haus in Österreich über Wärmenetze versorgt. Ein gehöriges Potential für eine nachhaltigere Energieversorgung und die konsequente Nutzung jeglicher Energiequellen entlang dieser. Entscheidend ist es, zu wissen, welche erneuerbaren Energieträger für diese Art Fernnetze geeignet sind, welches Potenzial sie aufweisen und welchen Einfluss ihre Einbindung auf die Effizienz der Netze hat. Eine konsequente Integration von erneuerbaren Energien und Abwärme in die Wärmenetze der Zukunft würde nicht nur die Luft in den Städten verbessern, sondern auch beträchtliche Anteile an CO2-Emissionen vermeiden, die Versorgungssicherheit erhöhen und die Verbraucher langfristig vor steigenden Öl- und Gaspreisen schützen.

Rund 5.400 Kilometer kostbare Wärmeleitungsinfrastruktur sind in Österreich derzeit verlegt. Sie führen vorbei an Kläranlagen sowie Industrie- und Gewerbebetrieben, deren Rest- und Abwärme vielfach genutzt werden könnte, und auf ihrem Weg liegen Freiflächen, auf denen Solarwärmeanlagen und Wärmespeicher installiert werden könnten. Diese Geflecht zu flexibilisieren ist nun das Ziel von ThermaFLEX.

ThermaFLEX wurde Anfang des Jahres über den Klima- und Energiefonds und finanziert aus Mitteln des Bundesministeriums für Verkehr, Innovation und Technologie (BMVIT) gestartet, um solche alternativen Energiequellen zukünftig für die Wärmenetze zu erschließen. In den nächsten vier Jahren sollen darin Strategien für die Flexibilisierung von Wärmenetzen entwickelt werden, um den Anteil CO2-freier Wärme zu erhöhen und die konventionellen Erzeugungsanlagen auf Basis fossiler Energieträger hinter sich zu lassen.

Neugeschmiedete Allianzen

Als Leitprojekt ist es Teil der Green Energy Labs und den drei Vorzeigeregionen Energie mit denen Österreich in den Bundesländern Wien, Niederösterreich, Burgenland und Steiermark die Markteinführung neuer Technologien, Produkte und Services im Energiesektor erforscht und beschleunigt. Ziel ist, die bereits vorhandenen Technologien zu bündeln, sie mit neuen, innovativen Ideen anzureichern und Lösungen für die Herausforderungen am Weg zwischen Energieerzeugern und Endkunden zu realisieren.

„Mit Projekten wie diesem, das in der Vorzeigeregion Green Energy Lab umgesetzt wird, schlagen wir einen zukunftsorientierten Weg in Richtung innovativer, sicherer und leistbarer Energie ein. Nur starke Allianzen aus Wirtschaft und Wissenschaft ermöglichen es, diesen Weg erfolgreich zu gehen und damit unsere nationale Klima- und Energiestrategie #mission2030 umzusetzen“, so Bundesminister Norbert Hofer.

© AEE INTEC

„Wärmenetze eignen sich hervorragend zur Einbindung von erneuerbaren Energien sowie Abwärme und ermöglichen die Kopplung mit anderen Energiesektoren bzw. Energieinfrastrukturen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang das Abfedern der Unterschiede zwischen Erzeugung und Verbrauch durch flexible Speicherkapazitäten und intelligente Regelstrategien“, erklärt Theresia Vogel, Geschäftsführerin des Klima- und Energiefonds.

Und genau hier setzt ThermaFLEX an, das von dem österreichischen Forschungsinstitut AEE – Institut für Nachhaltige Technologien (AEE INTEC) geleitet wird. 27 Projektpartner aus Energiewirtschaft und Forschung sowie Technologieanbieter werden in den kommenden vier Jahren die Umsetzung von sieben Demonstrationsanlagen zur Flexibilisierung von Wärmenetzen unterstützen.

„Dabei war uns bei der Festlegung der Pilotprojekte eine große Bandbreite an unterschiedlichen technischen Maßnahmen und Wärmequellen wichtig, um hier bestmöglich Lerneffekte für die Übertragung der Erkenntnisse auf andere Städte generieren zu können“, berichtet Christian Fink, zuständiger Bereichsleiter bei AEE INTEC.

Wärmequellen Solar- & Abwärme, Abwasser & Biogas

Eines dieser Vorhaben ist die Kopplung der Biogas-Produktion in der Kläranlage in Gleisdorf, Steiermark, mit der Energieversorgung der Stadt. In einem ersten Schritt optimiert das Projektteam die Biogasproduktion im Faulturm, um das überschüssige Biogas zur städtischen Energieversorgung zu nutzen. Es soll also in einer Kraft-Wärme-Kopplungsanlage verbrannt werden, um Energie für das wachsende Wärmenetz der Stadt zu erzeugen.

Diese neue Wärmequelle ergänzt in Verbindung mit einem Großwasserwärmespeicher ein bereits dezentralisiertes Heizwerk, das aus Wärmeerzeugern wie Biomassekessel, Solarwärmeanlagen und Gasspitzenlastkessel sowie Wasserspeichern besteht. Das Projektteam von ThermaFLEX wird dieses komplexe System als „virtuelles Heizwerk“ simulieren und dazu intelligente Regelungsstrategien entwickeln.

© Michael Cerveny/Energy Center Wien

Ein weiteres Projekt beabsichtigt, in der Stadt Salzburg zusätzliche industrielle Abwärme zu nutzen. Dafür muss zunächst die Temperatur im Rücklauf des Wärmenetzes Salzburg-Hallein gesenkt werden. Dies erfolgt über eine thermisch angetriebene Wärmepumpe im MW-Bereich, die über eine Kraft-Wärme-Kopplungsanlage auf Basis von Biomasse angetrieben wird. Damit könne eine zusätzliche Leistung von 30 MWth auf Basis von Erneuerbaren und Abwärme für das Salzburger Wärmenetz bereitgestellt werden.

Im Wiener Bezirk Liesing soll die im Kanalabwasser enthaltene Restwärme angezapft werden. Dabei werden Temperaturniveaus im Abwasser von rund 10 bis 14°C durch eine elektrisch angetriebene Wärmepumpe auf rund 70°C angehoben und in das Wärmenetz des Stadtteils eingespeist. Die übrigen vier Demonstrationsanlagen im Projekt ThermaFLEX leisten allesamt weitere wichtige Beiträge zur CO2-Freiheit in der Forschungspartner und betreffen die steirischen Bezirksstädte Leibnitz und Weiz sowie die Städte Salzburg und Wien. Als alternative großtechnische Wärmequellen sollen hier Industrieabwärme, Wärme aus Wärmerückgewinnung sowie Solarwärmeanlagen und Biomasse die Wärmenetze stützen und fossile Energieträger ersetzen.

Musterlösungen aus Österreich

Insgesamt stellt der Klima- und Energiefonds für das Forschungsprojekt ThermaFLEX und die Demonstrationsprojekte rund 8 Millionen Euro an Fördermitteln bereit, davon etwa 5 Millionen Euro als Investitionsförderung und knapp 3 Millionen Euro für die begleitenden Forschungsarbeiten.

Die Forschungspartner unterstützen die Wärmenetzbetreiber gezielt bei der detaillierten Ausarbeitung der Demonstrationsanlagen und der systemischen Integration. Mit der Umsetzung erster Maßnahmen ist Ende 2019 zu rechnen.

ThermaFLEX ist das größte Projekt innerhalb des vom Klima- und Energiefonds initiierten Programms Vorzeigeregion Energie. Dieses Programm soll mit innovativen Energietechnologien aus Österreich Musterlösungen für intelligente, sichere und leistbare Energie- und Versorgungssysteme entwickeln und demonstrieren. ThermaFLEX gehört zum Green Energy Lab, eine von drei Vorzeigeregionen. Die anderen beiden sind New Energy for Industry (NEFI) und Wasserstoffinitiative Vorzeigeregion Austria Power & Gas (WIVA P&G).

Bei einer Gesamtlaufzeit bis 2025 werden drei thematisch unterschiedliche Vorzeigeregionen gefördert – in Summe werden 120 Mio. Euro zur Verfügung gestellt, zwei weitere Ausschreibungen für Umsetzungsprojekte in diesen drei Regionen folgen. Die FTI-Initiative Vorzeigeregion Energie wird mit Instrumenten der Forschungs- und Umweltförderung durchgeführt.

Der Klima- und Energiefonds fördert die drei Regionen aus Mitteln des Bundesministeriums für Verkehr, Innovation und Technologie (BMVIT). Sie wird durch Investitionen der Wirtschaft und der Bundesländer ergänzt. Insgesamt werden so über 90 Millionen Euro investiert.

INFObox: Die Energiewende ist der Weg in eine Zukunft mit nachhaltigen Energiequellen hin zu einer kohlenstoffarmen Industriegesellschaft. Der Ausbau der Energieeffizienz, der erneuerbaren Energien, der intelligenten Netze sowie der Energiespeicher sind dabei die zentralen Handlungsfelder der Energiewende, Das BMVIT untertsützt diese Transformation auch durch die geförderten Projekte des Klima- und Energiefonds mit den Vorzeigeregion Energie.