Kategorie Innovation & Technologie - 29. November 2015
Die Physik der leichten Metalle
Das Leichtmetall Aluminium ist aufgrund seiner Materialeigenschaften in der Automobil- und Luftfahrtindustrie sehr gefragt. Es ist leicht und gut formbar, aber dennoch widerstandsfähig. Die Herstellung der Aluminiumhalbzeuge – so heißen die für die Industrie benötigten Halbfertigprodukte wie Bleche und Platten – umfasst einen mehrstufigen Prozess: Gießen, Umformen, Wärmebehandlung, erneutes Umformen – bis zum fertigen, dem Bedarf des Kunden entsprechenden Produkt vergeht einige Zeit. In jeder Phase dieser Herstellungskette können sich die Mikrostruktur und somit auch die mechanischen Eigenschaften der Halbzeuge ändern.
Da industrielle Untersuchungen der Materialentwicklung einen hohen zeitlichen und finanziellen Aufwand bedeuten, nutzen Evgeniya Kabliman und ihre Kollegen vom LKR Leichtmetallkompetenzzentrum Ranshofen GmbH eine andere Methode: Sie entwerfen computerbasierte Simulationen, um die Materialentwicklung vorherzusagen. „Die Basis bildet immer das Wissen um die physikalischen Mechanismen, denen das Material während des Herstellungsprozesses unterliegt“, sagt die Wissenschafterin. Auf diesem Wissen aufbauend, kann dann ein numerisches Modell konstruiert und die Änderungen der Mikrostruktur simuliert werden. Erst danach werden die Ergebnisse durch Laborexperimente überprüft.
Kabliman wurde zur Femtech-Expertin des Monats November gewählt. Mit der Auszeichnung möchte das Verkehrsministerium die Sichtbarkeit von Frauen in Forschung und Technologie erhöhen. Für die 1985 in Russland geborene Wissenschafterin sind Frauen in der Technik von klein auf nicht ungewöhnlich, waren doch ihre Mutter, wie davor auch schon ihre Großmutter, in technischen Bereichen tätig.
Auch bei der Vorbereitung auf das Physikstudium stand ihr eine Frau zur Seite: „Eine Freundin meiner Großmutter war Physiklehrerin, sie hat mir vieles geduldig erklärt und mir dadurch sehr geholfen.“
Kabliman studierte angewandte Physik und Mathematik an der staatlichen Universität Südural, von wo sie 2008 an die Technischen Universität Wien ging und im Jahr 2011 in der Fachrichtung Technische Wissenschaften an der Fakultät für Technische Chemie promovierte. Im Anschluss wechselte sie an das LKR, eine Tochter des Austrian Institute of Technology: „Ich hatte fünf Jahre in der Grundlagenforschung gearbeitet, mich interessierte aber auch die praktische Anwendung unserer Erkenntnisse.“ Das Spannendste an ihrer jetzigen Stelle: „Meine Arbeit liegt an einer Schnittstelle zwischen Universität und Industrie, zwischen Theorie und Anwendung.“
Die Entwicklung und Anwendung numerischer Simulationen ist übrigens ein Bereich, der zurzeit am Arbeitsmarkt sehr gefragt ist. „Für die Hersteller ist es eine große Herausforderung, ein homogenes Materialgefüge mit genau definierten mechanischen Eigenschaften zu liefern“, sagt Kabliman. Die Industrie sei daher sehr an den Modellen und den damit verbundenen Möglichkeiten interessiert. Ihre Zukunft sieht die junge Wissenschafterin folglich weiterhin im Bereich der numerischen Simulation und der Leichtmetallwerkstoffe: „Da gibt es noch viel zu erforschen.“ (Renate Degen, 29.11.2015)