Kategorie Innovation & Technologie - 18. Dezember 2015
Die richtige Dosis Licht
Zuerst haben die Menschen einen Wahnsinnsstress. Dann sind sie mit dem Kopf schon in den Ferien“, sagt Günther Sejkora. Der Physiker und Lichtexperte sucht nach Erklärungen, warum Daten, die Forscher im von ihm koordinierten Projekt „K-Licht“ sammelten, ausgerechnet zu Weihnachten nicht aussagekräftig waren. Ein Jahr lang testeten sie in Büros verschiedene Lichtsituationen, bei denen Leuchtdioden, kurz LED, mit unterschiedlicher Lichtstärke und -farbe, angesteuert wurden. Ausgerechnet die Weihnachtsstimmung brachte unstimmige Ergebnisse. Und so gelangten letztlich Beobachtungen aus elf Monaten in die Auswertung.
Das reichte, um am Ende jahreszeitlich bedingte Schwankungen ausgleichen zu können. Denn insgesamt ging es im von Dornbirn aus geleiteten Projekt darum, zu zeigen, wie LED-Leuchten den Tag- und Nachtrhythmus des Menschen beeinflussen – unabhängig davon, ob Sommer oder Winter.
Licht hat viele Facetten
Die Ergebnisse könnten mehr Wohlbefinden bei der Arbeit bringen, jedenfalls wenn sich Firmen darauf einstellen. Und für die beteiligten Unternehmen bessere Argumente für den Verkauf ihrer Produkte – das Projekt wurde als Teil des Comet-Programms von Technologie- und Wissenschaftsministerium unterstützt und in Kooperation von Wissenschaft und Wirtschaft durchgeführt. Techniker, Mediziner und Psychologen arbeiteten darin zusammen. „Ich befasse mich seit 20 Jahren in interdisziplinären Teams mit Licht, weil man dem Thema mit einer Disziplin nicht gerecht werden kann“, sagt Sejkora.
Zu beobachten, wie Licht auf den Menschen wirkt, braucht Zeit: Der Organismus gewöhnt sich erst nach ein bis zwei Wochen an eine neue Lichtsituation. Und so wurden drei Szenarien je viermal für einen Monat (mit Ausnahme des Dezember) im Büro, also quasi zwischen Bildschirmarbeit und Besprechung, getestet: erstens die bisherige, normale Beleuchtung. Zweitens konstante, aber hellere Beleuchtung. Und drittens eine Beleuchtung, die sich dynamisch den Bedürfnissen des Tages anpasst: die es erlaubt, in der Früh nicht zu grell in den Tag zu starten, tagsüber mit hellerem und kälterem Licht aktiviert, aber ein Mittagstief zulässt und abends den Arbeitstag sanft ausklingen lässt.
Dass Licht nicht nur der Psyche, sondern auch dem Körper guttut, je nach Farbe und Intensität aktiviert oder beruhigt, war bereits bekannt. Bisher habe man aber primär versucht, die Menschen mit der „richtigen Dosis Licht“ zu aktivieren. „Wir können nicht ständig leistungsbereit sein. Das Licht muss zum menschlichen Rhythmus passen, darf ihn nicht stören“, so Sejkora. Weil das nicht nur für Gesunde gilt, gab es ergänzend auch eine Studie mit Demenzkranken: Wie Büroangestellte verbringen auch sie besonders viel Zeit in Innenräumen. Schlafen sie besser, weil der Tag- und Nachtrhythmus nicht irritiert ist, hebt das tagsüber ihre Lebensqualität. Zugleich brauchen sie in der Nacht weniger intensive Pflege. „Das entlastet wiederum das Umfeld“, so Sejkora weiter.
Gegen Licht-Einheitsbrei
Bei beiden Personengruppen zeigten sich kaum Unterschiede zwischen normaler LED-Beleuchtung und konstantem, aber stärkerem Licht. Die dynamische Beleuchtung, die sich in Intensität und Lichtfarbe an den Tag anpasst, zeigte aber – bei Büroangestellten wie auch bei Dementen – deutlich positive Effekte. Die Menschen schliefen ruhiger, fühlten sich tagsüber aktiver. Bei den Büroangestellten entsprach das nicht nur der Selbsteinschätzung – die Wissenschaftler erhoben diese zusätzlich in Fragebögen; auch Herzfrequenz und Atem waren ruhiger.
Was bedeuten die Erkenntnisse nun etwa für Großraumbüros, wo alle unter denselben Bedingungen arbeiten? „Die Menschen lassen sich natürlich nicht über einen Kamm scheren“, so Sejkora. Grob eingeteilt gäbe es die frühaktiven „Lerchen“ und die spätaktiven „Eulen“. Auch wenn man wohl nicht auf jeden Einzelnen Rücksicht nehmen könne, ließe sich doch ändern, was für alle unangenehm ist: Reduziert man das Licht in der Früh und am Abend profitieren alle für ihren Tagesrhythmus. „Alles besser als lichtmäßiger Einheitsbrei“, sagt Sejkora. (Von Alice Grancy, Die Presse)