Kategorie Innovation & Technologie - 5. September 2015
Die Rückkehr des Wasserstoffs
Angesagte Revolutionen finden oft nicht statt. Vor etwas mehr als zehn Jahren wurde Wasserstoff als Energieträger der Zukunft gefeiert, Island mit seinen großen Ressourcen an erneuerbarer Energie träumte gar von einem Komplettausstieg aus fossilen Brennstoffen und einer kompletten Umstellung auf Wasserstoffmobilität. Hier habe die Zukunft schon begonnen, gaben sich internationale Medien euphorisch.
Dann kam die Krise, und es wurde ruhig um den Wasserstoff, und während Elektroautos und Hybridfahrzeuge eine wachsende Verbreitung erleben, sucht man Wasserstoffautos auf den Straßen bislang vergeblich. BMW, wo man 2005 die größte Limousine mit Wasserstoffantrieb ausgestattet hatte, zwölf Zylinder im Dienst der Energiewende, stellte das Projekt, das von Kritikern als Beispiel für Greenwashing bezeichnet wurde, wieder ein. Übrig blieb nur saubere, heiße Luft.
Nun bekommt das Thema neuen Auftrieb, Grund ist die Suche nach Speichertechnologien für einen zu erwartenden Ausbau von Windkraft und Fotovoltaik. Vor zwei Wochen wurde im niederösterreichischen Auersthal eine Pilotanlage eröffnet, die aus Windstrom Wasserstoffgas erzeugt, Stichwort: Power to Gas.
Wasser spalten: Hoher Druck
Dort wird mittels Elektrolyse Wasser zu Wasserstoff und Sauerstoff aufgespaltet, unter sehr hohem Druck (siehe Grafik „H2-Gewinnung“). 163 bar sind derzeit möglich, ein Ausbau auf 350 bar ist geplant. Der hohe Druck ist eine Besonderheit der Anlage, er erspart ein späteres, energieintensives Verdichten. Das Elektrolysemodul wurde von der Firma Fronius speziell für das Projekt Wind2Hydrogen entwickelt, das vom Klima- und Energiefonds des Technologie- und Lebensministeriums gefördert wird. Nun wird getestet.
„Wir können hier verschiedene Geschäftsmodelle durchspielen“, sagt Helga Prazak-Reisinger, Innovationsmanagerin bei der OMV. „Wie sieht es aus, wenn wir Wind und Wasserstrom kaufen und Volllast fahren? Das ist ein Modell. Was, wenn wir mit 50 Prozent fahren und als Systemdienstleister am Regelmarkt teilnehmen?“ Damit ist gemeint, bei Überproduktion Strom zu speichern und bei Bedarf wieder ins Netz einzuspeisen. „Und schließlich: Was, wenn die Anlage einen eigenen Windpark hat? Das können wir ebenfalls simulieren.“
Die Situation sei paradox, so Prazak-Reisinger: „Normalerweise wird produziert, wenn Bedarf besteht. Solche Anlagen sollen sofort produzieren können, wenn das Angebot da ist.“ Die Elektrolysemodule müssen also sehr flexibel sein. Es sind zwölf Module mit einer gesamten Anschlussleistung von 150 Kilowatt, die einzeln an- und abgeschaltet werden können und bei 85 Grad Celsius arbeiten.
Eine Nutzung der Abwärme wäre wirtschaftlich sinnvoll und ist angedacht. „Diese Modularität ist so einzigartig“, sagt Prazak-Reisinger. Projektpartner sind, neben der OMV und Fronius außerdem EVN, HyCentA Research und das Energieinstitut der Uni Linz.
An Wasserstoff hat man bei der OMV besonderes Interesse, weil Know-how und Infrastruktur aus dem Erdgasbereich genutzt werden können. In Auersthal speist man auch Wasserstoff ins Erdgasnetz ein. Treibende Kraft für das neu entdeckte Interesse an Wasserstoff ist aber die offene Frage nach Speicherkapazitäten für erneuerbare Energie.
Wasserstoffgas als Speicher
Windkraft und Sonnenergie fallen unregelmäßig an, an manchen Tagen gibt es Überkapazitäten, zu anderen Zeiten müssen kalorische Kraftwerke die Versorgung sicherstellen. Pumpspeicher sind seit jeher eine Lösung des Problems, aber nicht in ausreichender Menge vorhanden. „Hier kam die Idee auf, mit überschüssigem Strom Wasserstoffgas zu erzeugen“, so Prazak-Reisinger. Wasserstoff kann also nicht, wie oft fälschlich behauptet, als praktisch unbegrenzt vorhandene Energiequelle verstanden werden, sondern als Speichermedium: Wasserstoffgas enthält genau die Menge an Energie, die durch Elektrolyse aufgewendet wurde, um es zu erzeugen, abzüglich der Verluste.
Stichwort Verluste: Wer elektrische Energie in Form von Wasserstoff speichert und dann wieder Strom daraus gewinnt, kann mit Wirkungsgraden zwischen 34 und 44 Prozent rechnen, laut einer Studie des Fraunhofer Instituts für Windenergie und Energiesystemtechnik. Dieser Wert lasse sich durch Abwärmenutzung noch steigern, heißt es. Zum Vergleich: Pumpspeicher, etwa Stauseen, haben Wirkungsgrade um 80 Prozent.
Mehr als 50 Prozent Verlust, das mag nicht besonders vielversprechend klingen. Hier ist ein Blick auf die CO2-Bilanz interessant: Wasserstoffgas aus Windkraft schlägt mit 20 bis 80 Gramm CO2pro Kilowattstunde zu Buche, dazu kommen noch Verluste beim Verstromen. Die Alternative: Lücken in der Versorgung mit erneuerbarer Energie müssen mit kalorischen Kraftwerken überbrückt werden. Kohlekraftwerke liegen bei fast 1000 Gramm CO2 pro Kilowattstunde Strom, Gaskraftwerke immer noch bei über 400 Gramm.
Die Anlage in Auersthal ist auch in der Lage, Gas für Wasserstoffautos abzufüllen. Heutige Wasserstoffautos erzeugen mit einer Brennstoffzelle Strom, sind also quasi Elektroautos mit Wasserstofftank und technologisch mit dem BMW H7 nicht mehr vergleichbar. Auch der ineffektive Flüssiggastank ist Schnee von gestern, heute sind Drucktanks üblich. Ein offenes Problem ist, wie beim Elektroauto, der Preis: Brennstoffzellen enthalten teures Platin. Der neue Toyota FCV, das erste wasserstoffgetriebene Serienfahrzeug, kostet über 50.000 Euro, wie sehr sich dieser Preis noch drücken lässt, wird man sehen.
Bisher: Wasserstoff aus Erdgas
Heute wird der größte Teil des gehandelten Wasserstoffs aus Erdgas hergestellt. Solange das so ist, wird Wasserstoff noch keine Rolle im Ringen um einen Ausstieg aus fossilen Energieträgern spielen. Wer diesen Ausstieg ernst nimmt, muss sich aber Gedanken über große Speicherkapazitäten machen.
In Deutschland etwa können Pumpspeicher, laut Studien, nicht einmal ein Fünfhundertstel des Bedarfs abdecken, der bei einem Ausbau von erneuerbarer Energie bis auf 50 Prozent des Gesamtenergiebedarfs zu erwarten wäre. Hier wird ein einzelner Ansatz nicht reichen. Wasserstoff aus erneuerbaren Energiequellen wird vermutlich eine Rolle spielen. (Von Reinhard Kleindl, Die Presse)