Kategorie Mobilität - 29. August 2015

Ein Lift für Schiffe

Stellen Sie sich vor, Sie drehen den Hahn der Badewanne auf und lassen ihn zweieinhalb Jahre laufen… So viel Wasser wird in eine Schleuse gelassen, damit ein Schiff auf der Donau Höhenunterschiede bis zu 15 Meter überwinden kann. In einer Schleuse werden diese 75.000 bis 96.000 Kubikmeter Wasser in nur 20 Minuten zu- oder abgeführt. Weitere 20 Minuten braucht in etwa der Kapitän des Schiffes für das Rein- und Rausfahren, veranschaulicht Kapitän Heinz Mühlböck, stellvertretender Leiter der Schleusengruppe Ost von viadonau, den Schleusenvorgang.

Rund 350 km fließt die Donau durch Österreich und sie überwindet dabei einen Höhenunterschied von mehr als 150 Metern. Durch Stau des Wassers an Flusskraftwerken erzeugen neun Donaukraftwerke Energie aus Wasserkraft. Zur Überwindung des dadurch entstehenden Höhenunterschieds müssen Schiffe an jedem dieser Kraftwerke eine Schleuse passieren und bergsteigen oder talfahren. Bergfahrt und Talfahrt so heißt die Richtungsangabe auf Wasserstraßen – gemäß dem Höhenunterschied und somit der Fließrichtung des Flusses.

Beim Kraftwerk Freudenau befindet sich eine solche Schleusenanlage. Am rechten Donauufer der Kraftwerkanlage (Ende der Staumauer) liegen die beiden Schiffsschleusen mit jeweils einer nutzbaren Länge von 275 Metern und einer Breite von 24 Metern. Schleusenmeister Harald Kramer ist seit vier Jahren bei der Schleusenaufsicht und hat heute Tagdienst – von 07-19 Uhr überwacht und koordiniert er den Schiffsverkehr bei der Schleuse Freudenau. Die Schleusenaufsicht ist rund um die Uhr im 12-Stunden-Schichtdienst im Einsatz. Auf drei Bildschirmen beobachtet er das Geschehen: „Hier sehe ich, welche Schiffe auf welcher Position mit welcher Geschwindigkeit unterwegs sind. Das ist für die Planung eine enorme Erleichterung.“ Kramer spricht von DoRIS – dem Donau River Information Services, das viadonau mitentwickelt hat. Eine der Hauptaufgaben ist die elektronische Erfassung der Positionen der Schiffe und deren Darstellung auf einer elektronischen Binnenschifffahrtskarte.

Schleusenmeister Kramer in der Schleusenaufsicht Freudenau © viadonau

Schleusenmeister Harald Kramer überwacht und kontrolliert auf drei Bildschirmen das Geschehen auf der Wasserstraße © viadonau

„Tatyana“ ist noch fünf Kilometer entfernt, das heißt, bei der Geschwindigkeit von 4,3 km/h wird dieses Güterschiff in rund einer Stunde hier ankommen. So kann ich die einzelnen Schiffe koordinieren: Welche Schiffe kommen wann an, sind wie groß, wie viele passen in eine Schleusenkammer, lohnt es sich zu warten, um mehrere Schiffe zusammen zu schleusen,“ erklärt Krammer.

Über Funk melden sich die einzelnen Schiffe bei der Schleusenaufsicht und wollen natürlich schnellstmöglich ihren Weg auf der anderen Seite fortsetzen. Mühlböck: „In Österreich ist gesetzlich festgelegt, welche Schiffe Vorrang haben. Und manchmal kommt es aufgrund des Verkehrsaufkommens oder bei Reparaturarbeiten eben zu Wartezeiten. Das verstehen die Schiffskapitäne selten und die Ungeduld ist groß. Natürlich: Wie soll man seinen Passagieren erklären, dass sie zu spät ankommen für ihren geplanten Opernbesuch in Wien oder einer Mannschaft auf einem Güterschiff, dass sie noch auf ein Folgeschiff warten müssen und sich ihr Liefertermin verzögert.“

Der geregelte Ablauf der Schleusung wird vom Turm, auf dem sich die Schleusenbefehlsstelle befindet, aus überwacht, Kameras und ein Fernglas helfen dabei. Denn immer wieder passieren auch Unfälle bei einem Schleusenvorgang, erzählt Mühlböck: „In Freudenau sind es fünf bis sieben im Jahr, 2014 waren es in Österreich 24 Havarien (das ist der Fachausdruck für einen Unfall von Wasserfahrzeugen) letztes Jahr. Neben der laufenden Überwachung der Schleusenanlage und der Einleitung von Maßnahmen bei technischen Unfällen sind wir auch Anlaufstelle bei medizinischen Notfällen. Uns erreichen Funksprüche von Schiffen, die medizinische Hilfe brauchen. Ein Matrose erleidet einen Arbeitsunfall oder ein Passagier auf einer Schifffahrt einen Herzinfarkt, dann leiten wir die nötigen nächsten Schritte ein. Wir leiten den Notruf an die Rettungsleitstelle weiter, koordinieren die Einsatzkräfte und sorgen für die Schleusung des Schiffes, damit die Rettungskräfte Zutritt erhalten.“

 

Die Schleusenaufsicht von viadonau ist der Schifffahrtsaufsicht im Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie (bmvit) unterstellt. Heute erreicht Schleusenwärter Kramer die Meldung, dass ein Kapitän, der bald in Freudenau einfahren wird, im Auftrag der Schifffahrtsaufsicht die Schiffspapiere und seine Daten vorweisen muss. Warum? Im Naturschutzgebiet kam es zu einer Rechtsverletzung. „Das kann alles Mögliche sein: Der Kapitän hält sich nicht an Vorgaben, fährt zu schnell, überholt trotz Überholverbot oder lässt beispielsweise Fäkalien ins Wasser. Und – wie auch auf der Straße – werden solche Rechtsverletzungen bestraft,“ bleibt Kramer ruhig. Der Kapitän geht während der Schleusung von Bord und betritt das Schleusenaufsichtsgebäude. Erfreut ist er über die Aussicht, einer Schuld ist er sich keiner bewusst. Dem Vergehen nachzugehen und es zu ahnden, das ist Aufgabe der Schifffahrtsaufsicht. Diese „Schiffspolizei“ überwacht die Einhaltung der Schifffahrtsvorschriften.

Die Daten sind aufgenommen, das Protokoll geschrieben. Der Kapitän lenkt sein Passagierschiff weiter nach Greifenstein und Schleusenmeister Kramer beobachtet mit dem Fernglas die Ausfahrt der Schiffe aus der Schleuse.

INFObox: viadonau ist ein Unternehmen des Bundesministeriums für Verkehr, Innovation und Technologie (bmvit). Mehr als 250 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter betreuen an vier Servicecentern und zehn Schleusen entlang der 378 Flusskilometer in Österreich die Naturlandschaft und die Wasserstraße Donau.