Kategorie Innovation & Technologie - 23. Oktober 2015
Ein Neuanfang für die Fernwärme
Wer im vergangenen Juli und August in Räumen ohne Klimaanlage schmoren musste, wird es zu schätzen wissen. Die österreichischen Energieversorger wollen ihr Angebot an Fernkälte ausbauen. Was schon im Allgemeinen Krankenhaus in Wien und an weiteren kleinen Fernkältesystemen in der Stadt möglich ist, soll irgendwann auch breiter zur Verfügung stehen. Zwar wird aus Wien nicht gleich Manhattan werden, wo man sich im Sommer leicht eine klimaanlagenbedingte Erkältung einfängt. Doch die heimische Nachfrage wächst. Bis 2020 sollen jährlich 20 bis 25 Millionen Euro in Fernkältesysteme investiert werden.
Bei der Fernkälte erhalten Verbraucher kaltes Wasser für ihre Klimaanlagen. Während der Klimatisierung wird es erwärmt, wieder zurück zur Fernwärmezentrale gepumpt und abgekühlt. In Wien geschieht das mithilfe der Donau und Kältemaschinen.
Doch nicht nur die Wünsche der Bevölkerung motivieren die Energiebranche, nach einem Ausbau ihres Angebots zu suchen. Durch die schwankenden Strom- und fossilen Brennstoffpreise ist die Wirtschaftlichkeit der Fernwärmeversorgung ernsthaft gefährdet.
Besonders Kraftwerke mit Kraftwärme-Kopplung produzieren Fernwärme unter den gegenwärtigen Strom- und Gaspreisen viel zu teuer. Dort wird neben Biomasse und Abfall hauptsächlich Erdgas mit sehr hoher Temperatur verbrannt und so gleichzeitig Strom und Wärme erzeugt. Im Vergleich zu anderen fossilen Energiequellen wie Öl und Kohle ist Erdgas zwar sauberer, aber wesentlich teurer. 2013 wurden 24 Prozent der österreichischen Wohnungen, insgesamt rund 900.000, mit Nah- oder Fernwärme beheizt. In der Peripherie geschieht dies am Rand der Wirtschaftlichkeit. Alternative Energien und technologische Innovationen sind nötig, wenn das gut ausgebaute österreichische Fernwärmenetz weiterhin auch abgelegenere Gegenden mit Heizung und Wasser beliefern soll.
Studien der Internationalen Energie Agentur zeigen, dass der Klimatisierungsbedarf in den kommenden Jahren in ganz Europa steil ansteigen wird. „Der Wärmebedarf fällt dagegen leicht oder stagniert“, erklärt der Ingenieur Ralf-Roman Schmidt. Einer der Gründe ist, dass Neubauten energieeffizient geplant werden. Schmidt befasst sich seit sechs Jahren beim Austrian Institute of Technology, AIT, mit thermischen Systemen. Er ist für den „F&E Fahrplan Fernwärme und Fernkälte“ zuständig, den der Österreichische Klima- und Energiefonds (finanziert vom Lebens- und Technologieministerium) in Auftrag gegeben hat. Vertreter der Fernwärmebranche, Industrie, Technologieanbieter, Gebietskörperschaften, Wohnbauträger und Verbraucherorganisationen haben Bausteine für eine umweltfreundliche künftige Versorgung erarbeitet.
Flußwasserwärmepumpen, solar- oder geothermische Energie und industrielle Abwärme gehören dazu. Während beispielsweise Schweden seit Langem Meer- und Flußwärme mithilfe von Wärmepumpen in großem Stil nutzt, geschieht dies in Österreich zurzeit nur punktuell; denn die alternativen Energien erzeugen oft ein niedriges Temperaturniveau.
Traditionell wird eine Vorlauftemperatur zwischen 90 und 120 Grad Celsius, teilweise noch viel höher, ins Fernwärmenetz eingespeist. Dabei werden so hohe Temperaturen nur selten gebraucht, doch die veralteten Anlagen der Kunden sind darauf ausgerichtet. Die Rücklauftemperatur, mit der die Fernwärme zum Kraftwerk zurückfließt, liegt üblicherweise bei circa 60 Grad Celsius. In Schweden dagegen kommt man mit 45° C aus und kann so zur Lieferung der gleichen Wärmemenge viel niedrigere Vorlauftemperaturen nutzen.
Temperatur und Hygiene
Hier wäre es wichtig, so Forschungsprojektleiter Schmidt, mit den großen Bauträgern nach Änderungsmöglichkeiten zu suchen. Fußbodenheizungen oder Heizkörper, die groß genug sind, erfüllen auch bei niedrigeren Temperaturen ihren Zweck. Oftmals aber müssten auch nur Installationsfehler behoben oder das Heizsystem bei Sanierungen angepasst werden, um einen großen Effekt zu erzielen. Am Projekt des AIT sind gegenwärtig der Verband gemeinnütziger Bauträger und die Arbeiterkammer beteiligt.
Hygiene ist ein weiteres Problem, mit dem sich die Forscher schon jetzt beschäftigt haben. In Niedertemperaturnetzen besteht nämlich die Gefahr, dass sich bei der Warmwasserbereitung Legionellen vermehren. Legionellen sind Sporen bildende Bakterien, die im stehenden Süßwasser bei Temperaturen zwischen 35 und 45° C rapide zunehmen.
Wenn Menschen beispielsweise unter der Dusche legionellenhaltiges Wasser als Aerosol einatmen, könnten sie an der Legionärskrankheit erkranken, die sogar zum Tod führen kann. Ab einer Temperatur von 55 Grad sterben Legionellen ab. Trinkwasser sollte deshalb möglichst kühl oder oberhalb 55 Grad gehalten werden.
Die AIT-Forscher haben simuliert, unter welchen Bedingungen die Legionellengefahr in Niedertemperaturfernwärmesystemen verringert werden kann. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass Warmwasser mit zusätzlicher Heizung auch bei sehr niedrigen Vorlauftemperaturen hygienisch, umweltfreundlich und energieeffizient bereitgestellt werden kann. Ob dies allerdings auch billiger sein wird, lässt sich noch nicht sagen. Zunächst ist mit hohen Investitionskosten für Installationen zu rechnen, denen die Einsparungen durch geringere Temperaturen gegenübergestellt werden müssen.
Die Wien Energie hat im Rahmen des Fahrplans neue Möglichkeiten untersucht, Energie langfristig zu speichern. In Wien Simmering hat sie 2013 einen Hochdruck- und Hochtemperaturspeicher in Betrieb genommen.
Er erlaubt, Energieerzeugung und Verbrauch zu entkoppeln, sodass in Zeiten hohen Wärmeverbrauchs der Einsatz von Spitzenkesseln vermieden werden kann. Spitzenkessel werden zu Spitzenlastzeiten gebraucht. Beispielsweise am Morgen, wenn fast alle Bewohner Wiens gleichzeitig die Wohnungen heizen oder duschen. Mit dem neuen Speicher konnten CO2-Emissionen eingespart werden, im ersten Betriebsjahr immerhin in einer Größenordnung von 8800 Tonnen
Solarwärme aus der Ferne
Ein weiteres Beispiel, das der Energie- und Klimafonds präsentiert, liegt in Graz. Dort hat der Fernwärmelieferant ATP vor den hohen Kosten kapituliert, die ein Steinkohlekraftwerk von 1986 und ein Gaskraftwerk aus dem Jahr 2011 verursachen. 2020 wird er die Versorgung einstellen, sollten sich die Rahmenbedingungen nicht ändern.
Als Reaktion darauf ist das größte Solarkraftwerk Österreichs entstanden, das seit 2014 500 Haushalte mit Öko-Fernwärme versorgt. Gegenwärtig wird geprüft, ob damit bis zu 50 Prozent des Grazer Wärmebedarfs befriedigt werden könnten. (Von Mariele Schulze Berndt, Die Presse)