Kategorie Innovation & Technologie - 11. März 2016
Entsorgung und Lagerung: Die gelben Fässer von Seibersdorf
Wien – Auch wenn Österreich keine Atomkraftwerke hat, deren Brennstäbe zu entsorgen wären, kommen doch pro Jahr einige Tonnen an zumindest schwach radioaktiven Abfällen zusammen. In Spitälern sind das etwa die Reststoffe von nuklearmedizinischen Bildgebungsverfahren, von Strahlungstherapien gegen Krebs oder Schilddrüsenuntersuchungen. In der Industrie werden radioaktive Stoffe eingesetzt, um Schweißnähte, die hohen Belastungen standhalten müssen, zu durchleuchten. Und in Forschungseinrichtungen kommen da und dort auch Methoden zum Einsatz, bei denen radioaktive Materialien verwendet werden.
Im Auftrag der Republik sammelt das Unternehmen Nuclear Engineering Seibersdorf (NES) – eine Tochtergesellschaft des Austrian Institute of Technology AIT – die strahlenden Abfälle. Gut 15 Tonnen kommen durch derartige Gefahrguttransporte, die teilweise auch vom NES selbst übernommen werden, aus dem ganzen Land zusammen, erklärt Geschäftsführer Roman Beyerknecht. „Das sind Abfälle, wie sie in jedem Industrieland vorkommen. Wir bringen sie in eine chemisch und physikalisch stabile Form und verstauen sie in einem entsprechenden Gebinde.“
Rückbau
Eine zweite Quelle radioaktiver Abfälle stellen zudem Dekommissionierungsprojekte dar, also wenn Altanlagen in Forschung oder Industrie rückgebaut werden. Je nach Auftragslage können so jährlich weitere 80 Tonnen radioaktiver Müll zusammenkommen, erläutert Beyerknecht. Das größte Projekt in diesem Zusammenhang war in Seibersdorf selbst. Der Forschungsreaktor mit einer Leistung von zehn Megawatt, der dort 40 Jahre lang in Einsatz war, wurde 1999 heruntergefahren. Im Jahr 2000 startete der in Österreich einzigartige Reaktorrückbau, der insgesamt bis 2006 dauerte. Der einzige verbleibende Forschungsreaktor ist somit jener am Atominstitut der TU Wien im Wiener Prater.
Bei einem Reaktorrückbau kommen zuerst die Brennelemente, die die höchste radioaktive Aktivität aufweisen, heraus – im Fall von Seibersdorf wurden sie aufgrund einer vertraglichen Regelung in die USA gebracht, woher sie auch stammten. Der Reaktorkern, der unter Wasser steht, wird teilweise fernbedient rückgebaut, diverse Einbauten noch im Wasser zerschnitten.
Dann arbeitet man sich schrittweise von innen nach außen. „Wenn eine Pumpe innen kontaminiert ist, kommt nicht der ganze Bauteil zum radioaktiven Abfall“, erklärt der NES-Geschäftsführer. „Das Material wird durch verschiedene Reinigungsverfahren so weit wie möglich dekontaminiert.“ Zum Schluss wird die meterdicke Spezialbetonabschirmung zerschnitten. Auch hier kommen nur jene Teile zum radioaktiven Abfall, die tatsächlich kontaminiert sind. „Am Ende wird in der Umgebung eine Messung durchgeführt, um auch gegenüber Behörden nachzuweisen, dass keine Radioaktivität mehr da ist.“
Lagerzeiten bis 500 Jahre
Fast alle der Abfälle, die nach Seibersdorf gelangen, sind sogenannte niederaktive Abfälle. Sie werden für die langfristige Lagerung vorbereitet und typischerweise in gelben Fässern mit entsprechender Abschirmung im Zwischenlager untergebracht, das die NES selbst betreibt. Ein sehr kleiner Teil mittelaktiver Abfälle, etwa aus dem Reaktorkern in Seibersdorf, wird in dafür vorgesehene, dickwandigere Behälter untergebracht. Insgesamt 11.200 Fässer lagern derzeit auf dem Gelände.
Von hochaktiven Abfällen, unter die etwa AKW-Brennstäbe fallen und die in Österreich nicht vorkommen, unterscheidet sie, dass sie selbst keine Wärme entwickeln, die bei der Lagerung berücksichtigt werden müsste, erklärt Beyerknecht. Zudem bewegen sich die Lagerzeiten in anderen Dimensionen. „Unsere Lagerzeiten liegen bei 300 bis 500 Jahren, bis keine Strahlungsgefährdung mehr vorhanden ist. Bei hochaktiven Stoffen geht es um hunderttausende Jahre.“
Zwischenlösung
Seit Anfang der 1970er-Jahre werden radioaktive Abfälle in Seibersdorf gesammelt. Auch wenn sie „nur“ wenige hundert Jahre strahlen, ist die Lagerung hier keine endgültige Lösung. Laut vertraglicher Vereinbarung muss die NES das Zwischenlager bis 2045 betreiben. „Bis dahin muss die Republik ein Endlager gefunden haben“, sagt der Geschäftsführer. Der Lagerplatz sei so ausgelegt, dass er bis dahin ausreicht.
Um für Zwischenfälle mit radioaktiven Stoffen stets Spezialisten vor Ort zu haben, wurde eine mobile Einsatzgruppe ins Leben gerufen. Mittlerweile werden sie auch für externe Einsätze gerufen, erzählt Beyerknecht: „Ein typischer Fall ist, wenn einem Werkstoffprüfer, der per Durchstrahlungsprüfung die Schweißnähte an einer Gasleitung kontrolliert, Material im Rohr abhanden kommt. Dann kommen wir und bergen die Strahlungsquelle.“ (Alois Pumhösel, 11.3.2016)