Kategorie Klima- & Umweltschutz - 12. April 2021

Ewiges Eis? Die Gletscherschmelze setzt sich unaufhaltsam fort

Alpenverein legt in seinem Gletscherbericht aktuelle Daten vor und plädiert für ausnahmslosen Gletscherschutz – Rückzug des Eises um durchschnittlich 15 Meter

Österreichs Gletscher sind auch in der Periode 2019/20 weiter geschrumpft – im Schnitt um 15 Meter (2019 waren es 14,3 Meter). 85 von 92 Gletscher hätten sich zurückgezogen, stellt der Alpenverein in seinem Gletscherbericht für 2019/20 fest. Der Alpenverein drängt zugleich vehement auf einen besseren Schutz hochalpiner Flächen.

Sulztalferner in den Stubaier Alpen in Tirol 2019. © Alpenverein/Peter Neuner

Nur sieben der österreichischen Gletscher seien mit einer Längenänderung von weniger als einem Meter stationär geblieben. Obwohl die Winterniederschläge 2019/20 in den meisten Gebieten die langjährigen Mittel übertrafen und große Teile der Gletscher bis Juli von Schnee bedeckt waren, war im August und September mit bis zu +2° Celsius über der Durchschnittstemperatur eine starke Abschmelzung zu verzeichnen. „Das vergangene Beobachtungsjahr ist ein weiteres in einer Periode drastischen Gletscherschwundes, die wohl noch lange andauern wird“, stellen die Leiter des Alpenvereins-Gletschermessdienstes, Gerhard Lieb und Andreas Kellerer-Pirklbauer vom Institut für Geographie und Raumforschung an der Universität Graz, fest.

Der unaufhaltsame Gletscherrückgang führe vor Augen, wie dringend der Schutz der hochalpinen Flächen neu definiert werden muss, betonte Alpenvereins-Vizepräsidentin Ingrid Hayek. Im Gegensatz zur CO2-Konzentration in der Atmosphäre oder einem Virus, den der Mensch über seine Sinneswahrnehmungen nicht begreifen könne, sei der Gletscherschwund ein sichtbares Zeichen. „Der Gletscher ist ein Symbol für den Klimawandel an sich“. Angesichts des andauernden Gletscherschwundes seien die Gletscher aber wohl „als stille Mahnmale der klimatischen Veränderungen in ein paar Jahrzehnten nicht mehr wiederzuerkennen“. Umso wichtiger sei der Schutz der umliegenden hochalpinen Regionen – also auch der Gletschervorfelder.

 

92 Gletscher in bundesweit zwölf Gebirgsgruppen wurden vom Gletschermessdienst des Alpenvereins im Haushaltsjahr 2019/20 beobachtet – ein „sehr guter, repräsentativer Schnitt“, erklärte Lieb. In Österreich gibt es noch rund 900 Gletscher.

Mit einer Verkürzung von 104 Metern ist die größte Längenänderung am Hornkees in den Zillertaler Alpen (Tirol) gemessen worden. Vier weitere Gletscher zogen sich um mindestens 50 Meter zurück: Der Alpeinerferner (Stubaier Alpen) mit 67,2 Metern, die Pasterze (Glocknergruppe) mit 52,5 Metern, der Gepatschferner (Ötztaler Alpen) mit 51,5 Metern und das Schlatenkees (Venedigergruppe) mit 50,0 Metern.

Überdurchschnittlich geschrumpft sei auch Österreichs größter Gletscher, die Pasterze am Großglockner. Er habe zuletzt 52,5 Meter an Länge eingebüßt, berichtete Andreas Kellerer-Pirklbauer vom Institut für Geographie und Raumforschung an der Universität Graz, der gemeinsam mit Lieb den Alpenvereins-Gletschermessdienst leitet. Die Pasterze ist einer der Gletscher, an dem auch regelmäßig die Dicke des Eises und die Gletscherbewegung gemessen wird. Im Vergleich zum Vorjahr sei die gesamte Gletscherzunge der Pasterze um durchschnittlich 6,1 Meter eingesunken – etwas mehr als in der Messperiode 2018/2019.

 

Zusätzlich zu den bloßen Längenänderungen haben die Gletschermesser in ganz Österreich markante optische Veränderungen registriert, die zwar in Zahlen nicht erfassbar sind, aber den Gletscherschwund untrüglich belegen: Etwa eisfrei werdende Felsbereiche, die Zerteilung von Gletschern, großflächiger Eiszerfall, ausdünnendes Eis, Bildung von Einsturztrichtern, Anreicherung von Schutt an den Gletscheroberflächen und die Bildung neuer Seen.

Bereits seit 130 Jahren beobachtet der Gletschermessdienst des Alpenvereins die heimischen Gletscher und registriert akribisch deren Längenänderungen. An einigen Gletschern werden zusätzlich Messungen der Fließgeschwindigkeiten und der Oberflächenhöhe durchgeführt. Im aktuellen Berichtsjahr 2019/2020 waren für den Alpenverein 23 ehrenamtliche Gletschermesser mit rund 70 Begleitpersonen unter der Leitung von Gerhard Lieb und Andreas Kellerer-Pirklbauer vom Institut für Geographie und Raumforschung an der Universität Graz im Einsatz. Sie nahmen österreichweit 92 Gletscher in zwölf Gebirgsgruppen – vom Dachsteingebirge bis hin zur Silvretta – unter die Lupe. Die Gletscherberichte und die Fotodokumentationen aus den Alpenvereins-Archiven vermitteln ein einzigartiges Bild von der Entwicklung der Gletscher in den Ostalpen und sind wissenschaftlich von internationaler Relevanz.

Davon hätten auch die ehrenamtlichen Gletscherbeobachter berichtet, darunter 24 Gebietsverantwortliche mit über 70 Begleitern. Diese würden wesentlich zur „Stärke der Daten“ beitragen, lobte Lieb und verwies auf „sehr gute lokale und glaziologische Kompetenz“ der Freiwilligen. „Das vergangene Beobachtungsjahr ist ein weiteres in einer Periode drastischen Gletscherschwundes, die wohl noch lange andauern wird“, zogen die beiden Fachexperten Bilanz.

„Gletscherschutz bedeutet: Schutz ohne Wenn und Aber“, forderte Hayek abschließend. Jetzt habe man einen „Gletscherschutz, von dem Skigebiete ausgenommen sind“. Nachdem 1991 der absolute Schutz der Gletscher, der Gletschervorfelder und der Moränen in Tirol gesetzlich verankert und damit jede skitechnische Erschließung von Gletschern und ihren Einzugsgebieten verboten worden war, wurde der umfassende Schutzstatus 2004 wieder aufgehoben.

Hayek kritisierte das „Raumordnungsprogramm über den Schutz der Gletscher“ von 2006, das Gebiete von skitouristischem Interesse von der Regelung ausnimmt, und die geplante Skigebietserweiterung im Kaunertal, scharf. Sie hoffte auf „Unterstützung von Politik und Tourismus“ und darauf, dass man den Alpenverein nicht „als ewiger Verhinderer, sondern Bewahrer“ sehen solle. „Schließlich werben wir in Österreich auch mit den wunderbaren Bildern, wir wollen ja keine Fake-Bilder in die Welt setzen“, so Hayek.