Kategorie Innovation & Technologie - 7. Juni 2019
Fahrerlose E-Busse starten in der Wiener Seestadt den Passagierbetrieb
Großer Bahnhof für kleine Busse in der Wiener Seestadt: Seit dem gestrigen Donnerstag, 6. Juni 2019, rollen zwei autonome Elektrobusse durch Aspern in Wien. Bis zu zehn Fahrgäste können die Mini-Gefährte jeweils kostenlos rund um die U2-Station transportieren. Der einjährige Testbetrieb wurde unter großen Medieninteresse eröffnetet.
Ein Jahr lang wurden die zwei autonomen E-Busse in der Wiener-Linien-Garage Leopoldau auf Herz und Nieren getestet. Letztes Jahr wurden die Busse darüber hinaus in der Seestadt unter Realbedingungen auf einer öffentlichen Straße gestestet.
Auf der einen halben Kilometer langen Teststrecke von der U2-Station Seestadt bis zum Technologiezentrum der Aspern Smart City Research (ASCR) und wieder retour gelang es österreichweit erstmals, zwischen den autonomen Bussen und der dortigen Ampel erfolgreiche zu kommunizieren.
Eine Runde in der Seestadt
In den vergangenen Wochen wurde schließlich die erweiterte Strecke mit zehn Haltestellen rund um die U2-Station Seestadt in das Bussystem eingespielt.
Das vom Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie (BMVIT) im Rahmen des Programms Mobilität der Zukunft zur Hälfte geförderte Projekt auto.Bus – Seestadt sah von Anfang an einen regelmäßigen Fahrgast-Testbetrieb mit fixer Linienführung und Haltestellen vor.
Für das gesamte Projektkonsortium, zu dem neben den Wiener Linien und dem AIT auch das Kuratorium für Verkehrssicherheit (KFV), der TÜV AUSTRIA, SIEMENS AG Österreich sowie der französische Bushersteller NAVYA gehören, ist das der nächste mit Spannung erwartete Meilenstein.
Unsere zwei autonomen E-Busse sind seit heute ganz offiziell in der Seestadt unterwegs und können von euch kostenlos getestet werden! 🤗 🚌 Schaut werktags in den Vormittagstunden doch einfach mal vorbei! https://t.co/6WzmJk1G8P pic.twitter.com/i5FaO976NE
— Wiener Linien (@wienerlinien) June 6, 2019
Ganz ohne Begleitperson geht es für die selbstfahrenden Elektrobusse dann aber doch nicht. Immer mit dabei ist ein geschulter Operator, der bei Fahrbehinderungen, wie zum Beispiel Falschparkern, eingreifen kann. Die Betriebszeiten der Busse sind werktags in den Vormittags- und Mittagsstunden ab 8.00 Uhr. Von fixen Fahrplänen hat man abgesehen, um regelmäßige Intervalle ist man bemüht. Aus Sicherheitsgründen gibt es keine Stehplätze, Kinderwägen dürfen aber mitgenommen werden.
Getestet werden außerdem auch zwei digitale Fahrplanmonitore. Durch scannen des QR-Codes erfahren Fahrgäste ob beziehungsweise wo die Busse aktuell unterwegs sind. Einen Ersatzverkehr gibt es bei wetterbedingten oder technischen Ausfällen nicht. Maximal neun Stunden können die elektrischen Kleinbusse verkehren. Verkürzt wird die Laufzeit etwa durch den Einsatz der Klimaanlage.
Das 1,5 Mio. Euro schwere Forschungsprojekt auto.Bus-Seestadt läuft bis Juni 2020. Ein Jahr lang wurden die E-Busse vorbereitet und mussten jeden Meter der zwei Kilometer langen Strecken erlernen. Wird der Dienst von den Anrainern gut angenommen, möchte man den Betrieb weiterführen oder durch ein anderes Projekt zumindest ersetzen.
Zukunftsvision ist es, mit den autonomen Bussen die sogenannte letzte Meile bis zur Haustür zu bewältigen. Ein On-Demand-Service schwebt auch Wiener Linien Geschäftsführer Günter Steinbauer vor: „Wir wollen das Projekt so weiterentwickeln, dass es irgendwann in Serie gehen kann“. Wie nah oder fern diese Zukunft ist, wisse man aber noch nicht.
Der Einsatz neuer Technologien bringt auch immer neue Berufsfelder mit sich. In den vergangenen Monaten wurde deshalb einerseits das „Innenleben“ der E-Busse weiterentwickelt, andererseits fünf Wiener-Linien-Mitarbeiter zu Operatoren ausgebildet. Wie bei einem klassischen Busbetrieb schreibt das Gesetz in den autonomen Bussen nach wie vor die Anwesenheit einer entsprechend ausgebildeten Fachkraft vor.
Sie greift etwa ein, wenn ein nicht vorgesehenes Hindernis – wie bspw. falsch geparkte Autos oder ähnliche Barrieren – die Route des Busses behindert. Der Bus wird dann mittels Controller um das Hindernis herum wieder auf seine ursprüngliche Strecke gebracht. Operatoren machen das automatisierte Fahren im öffentlichen Verkehr also überhaupt erst möglich.
Tüfteln an der optimalen Integration
In die Rechner der autonomen Busse wurden während der vergangenen Tage nicht nur der exakte Streckenverlauf, sondern auch markante Stellen, wie Haltestellen-Stangen, Häuserecken oder Gehsteigkanten eingespeist.
Für die dafür nötigen optischen Abstandsmessungen mittels 3D-LiDAR-Aufzeichnungen wurden mit einem speziellen Messfahrzeug entlang der Strecke mehrere Scan-Fahrten unternommen. Nicht im System erfasste Hindernisse, egal ob bewegliche wie FalschparkerInnen oder unbewegliche wie Baustellengerüste, erkennen die Busse stets als nicht umfahrbares Hindernis.
„Im Rahmen der wissenschaftlichen Leitung des Projekts arbeiten wir an der optimalen Integration des automatisierten Busses in das Gesamtverkehrssystem. Im Fokus stehen insbesondere die robuste Erfassung der Umgebung sowie die Interaktion zwischen dem Bus und den Fahrgästen bzw. den Verkehrsteilnehmerinnen und –teilnehmer im Straßenraum„, so Arno Klamminger, Head of Center for Mobility Systems des AIT Austrian Institute of Technology. Vor diesem Hintergrund unterstützt das AIT auch die optimale Auslegung des Fahrzeugs, der Haltestellen und der Linienführung.“
Auch Jean-Michel Boëz, Vertriebsleiter von NAVYA zeigt sich angesicht der Wiener Erfolgsgeschichte erfreut: „Dieser Tag stellt einen Meilenstein für NAVYA dar. Obwohl wir weltweit schon große Erfolge mit dem Einsatz unseres Systems erzielen konnten, handelt es sich hierbei um den ersten autonomen Shuttle in Österreich, der im realen Straßenverkehr sowie im Netz eines Verkehrsbetreibers integriert unterwegs sein wird.“ Wien böte perfekte Rahmenbedingungen für den Einsatz der Busse und NAVYA plane eine weitreichende Expansion in Österreich in den kommenden Monaten.
Weitere Infos zum auto.Bus – Seestadt
- Anzahl Fahrzeuge: 2 Stück
- Projektvolumen: Rund 1,5 Millionen Euro
- Länge / Breite / Höhe: 4,75 Meter / 2,11 Meter / 2,65 Meter
- Kapazität: 11 Fahrgäste (inkl. 1 Operator)
- Erlaubte Höchstgeschwindigkeit: 20 km/h (im automatisierten Betrieb)
- Maximale Laufzeit: 9 Stunden
- Durchschnittliche Ladezeit: 4 bis 8 Stunden
- Geplante Teststrecke ab Frühjahr 2019: 2 Kilometer rund um die U2-Station Seestadt
Service: 2016 wurde der erste Aktionsplan zum automatisierten Fahren in Österreich vom BMVIT veröffentlicht. Vieles aus dem bisherigen Aktionsplan konnte in den letzten zwei Jahren bereits umgesetzt werden. Es wurden erste rechtliche Rahmenbedingungen für das Testen von automatisierten Fahrzeugen auf öffentlichen Straßen in Österreich geschaffen, Testumgebungen etabliert und Leitprojekte initiiert.
Im Herbst 2018 wurde das neue Aktionspaket automatisierte Mobilität – „AUTOMATISIERT – VERNETZT – ELEKTRISCH – MOBIL“ vorgestellt. Es wird weitere mittel- bis langfristigen Maßnahmen im Bereich des automatisierten Fahrens in Österreich definieren und legt dabei einen besonderen Wert auf einen verkehrlich sinnvollen Einsatz dieser Technologie.
Die wichtigsten Fragen & Antworten zum Automatisierten Fahren.