Kategorie Innovation & Technologie - 31. März 2020

Von AI & Antikörpern: Corona-Forschung läuft in Österreich auf Hochtouren

Die Coronavirus-Infektionskrankheit, die sich seit einigen Monaten verbreitet, trägt den Namen Covid-19. Das Virus, das sie hervorruft, heißt SARS-CoV-2. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat die Ausbreitung inzwischen als Pandemie deklariert, international wird intensiv an Mitteln und Wegen zum Verstehen und Eindämmen des Virus geforscht. Auch in Österreich gibt es verschiedene Forschungsansätze von Unternehmen und Instituten, um dem Virus Herr zu werden.

Um den SARS-CoV-2-Erreger unschädlich zu machen, haben Grazer Forscher mithilfe von künstlicher Intelligenz und Supercomputern weltweit Datenbanken nach potenziell wirksamen, bereits bekannten Stoffen durchforstet. Nun kooperieren das Grazer Start-up Innophore, das Grazer acib und die Uni Graz in einem Projekt mit der Harvard University, in dem rund zwei Milliarden Wirkstoffe gescreent werden.

© innophore

Die Suche nach notwendigen Molekülfunktionen für die Pharmaindustrie war bisher extrem aufwendig. Die Grazer Forscher haben bereits in den vergangenen Jahren eine Plattform entwickelt, die computerbasiert mittels Algorithmen – und damit schneller als in herkömmlichen Labors – etwa gesuchte Enzyme und Wirkstoffe für Arzneimittel aus Tausenden bzw. sogar Millionen von Strukturdaten aus Datenbanken herausfiltern kann.

Das steirische Start-up Innophore hat damit auch schon außerhalb der europäischen Grenzen Aufmerksamkeit erregt. Zuletzt Ende Jänner, als es sein Wissen dem Chinese Center for Disease Control and Prevention zur Verfügung gestellt hat und daraufhin als Forschungspartner bei der Bekämpfung des Coronavirus miteinbezogen wurde. „Mittlerweile haben wir eine Unzahl von Proteinen gefunden, die eine Rolle spielen können, einen Großteil davon haben wir schon simuliert. Insgesamt gibt es an die zwei Milliarden Verbindungen, die man am PC ausprobieren kann“, schilderte Christian Gruber, Geschäftsführer von Innophore, der APA.

© innophore

Innophore ist ein Spin-off der Uni Graz sowie des Austrian Centre of Industrial Biotechnoloy (acib), welches wiederum über das COMET-Kompetenzzentren-Programm auch vom Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK) gefördert wird.

Unlimitierte Rechenleistung für Forschung freigegeben

Für das neueste Forschungsprojekt gibt die Google-Mutter Alphabet den Forschern unlimitierte Rechenleistung ihrer Google-Cloud frei, teilte das Grazer Acib per Aussendung mit. Damit werde es möglich, eine bisher unerreichte Menge an Wirkstoffen zu simulieren. Weitere Unterstützung kommt vom Vienna Scientific Cluster: Die Zusammenarbeit mehrerer österreichischer Universitäten stellt die Ressourcen ihrer Supercomputer zur Verfügung.

Neu an dem aktuellen Projekt ist laut dem Grazer acib das computerbasierte Verfahren, mit dem die einzelnen Wirkstoffe gescreent werden. Das Verfahren Virtual Flow wurde an der Harvard Medical School entwickelt und kürzlich im Fachmagazin „Nature“ vorgestellt. Innophore unterstützt den Virtual Flow-Prozess von Harvard, indem das Start-up mit seiner patentierten 3D-Punktwolken-Technologie unzählige Ansatzpunkte simuliert und diese mit Hilfe von künstlicher Intelligenz filtert.

© apa

„Obwohl bereits einige vielversprechende Medikamente identifiziert wurden, hat das Projekt großes Potenzial, weitere geeignete Kandidaten zu finden. Die Kombination der 3D-Punktwolken-Technologie mit großflächigem, virtuellem Screening und enormer Rechenleistung ist sehr vielversprechend. Wir sind gespannt, welche Ergebnisse wir in den kommenden Wochen erzielen werden“, erklärte dazu Haribabu Arthanari von der Harvard Medical School.

„Die größte Herausforderung bei Simulationen wie diesen ist nicht nur die Daten der Milliarden Wirkstoffe zu bekommen, sondern auch die notwendigen Rechenkapazitäten. Im Moment gehen wir davon aus, über 100 Milliarden Einzelsimulationen durchzuführen, denn jeder potenzielle Wirkstoff wird einzeln ‚gescreent‘. Wir freuen uns sehr, dass wir mit dem Vienna Scientific Cluster österreichische und mit Alphabet internationale Unterstützung bekommen“, hob Gruber hervor.

30.000 vielversprechende Moleküle

Auch Linzer AI-Forscher prüfen medizinische Wirkstoffe auf SARS-CoV-2-Wirksamkeit. 30.000 vielversprechende Moleküle wurden in frei zugänglicher Datenbank gelistet.

„Auf Basis unserer Erfahrung mit dem Einsatz von künstlichen Intelligenzen in der Entwicklung von Pharmawirkstoffen haben wir eine künstliche Intelligenz mit der Suche nach vielversprechenden Wirkstoffansätzen gegen den neuen Corona-Virus programmiert“, so Günter Klambauer vom Institut für Machine Learning der Johannes Kepler Universität Linz.

© ellis JKU

Die KI habe sich in den vergangenen Tagen durch eine Milliarde Moleküle gearbeitet. „Mit dem Auftrag, jene Moleküle zu finden, deren Wirkung möglichst viele Chancen hat, als Hemmer des SARS-CoV2-Virus zu wirken.“ Es sei gelungen, die Datenbank auf die erfolgversprechendesten 30.000 Wirkstoffe einzuschränken und diese nochmals innerhalb dieser Liste zu priorisieren. Ziel sei es, eine entsprechende Vorarbeit zu leisten, um möglichst rasch ein Medikament gegen das Corona-Virus zu erhalten.

ELLIS against Covid-19: Einen Online Workshop des Instituts ELLIS (European Laboratory for Learning and Intelligent Systems) an der JKU Linz zum Eindämmen des Coronavirus mit Methoden des Machine Learnings und der AI gibt es mit führenden internationalen Forschern per Livestream am 1. April.

„Im Kampf gegen das Corona-Virus stellen wir diese so gewonnen Daten international und frei zur Verfügung. Es ist uns ein dringendes Anliegen, mit unserem Wissen jene zu unterstützen, die an Medikamenten und Wirkstoffen arbeiten. Je klarer wir hier wissen, wo wir suchen müssen, umso schneller kann die Forschung sein“, so Klambauer.

Unis aus Österreich etablieren Antikörpertest

Testen, testen, testen: Dieses Mantra ist im Kampf gegen Sars-CoV-2 weiterhin unerlässlich, auch um gesellschaftlich relevante Maßnahmen gezielt einzusetzen. Auch ein Immuntest auf Antikörper des Virus wird dafür notwendig sein. Österreichs Universitäten starten noch in dieser Woche unter der Leitung der BOKU und der Vetmeduni mit der Herstellung der notwendigen Komponenten. So könnte Österreich wieder schneller zur Normalität zurückkehren.

© apa

Derzeit wird der Kurvenverlauf der Erkrankten in Österreich als kontrolliert eingeschätzt. Die Dunkelziffer der Infizierten ist jedoch hoch, da es in 30 bis 40 Prozent der Fälle zu einem asymptomatischen Verlauf kommt, dass heißt, Personen waren infiziert, haben aber nie Erkrankungserscheinungen gezeigt.

Mit einem Antikörpertest lasse sich nachvollziehen, wie verbreitet das SARS-CoV-2-Virus in der Bevölkerung tatsächlich ist und wer schon immun dagegen ist. Das könne auch akut Erkrankten und Entscheidungsträgern helfen.

Antikörpertest gibt Aufschluss über Dunkelziffer

Aktuell werden in Österreich sogenannte PCR-Tests durchgeführt, bei denen nach dem Erbgut von Sars-CoV-2 gesucht wird. Das ist die sicherste Methode, um eine aktive Erkrankung festzustellen. „Der PCR-Test sagt jedoch nichts darüber aus, ob jemand die Erkrankung bereits durchgemacht hat und damit immun gegen Corona ist“, betont Reingard Grabherr, Leiterin des Department für Biotechnologie an der Universität für Bodenkultur Wien (BOKU). Ein Antikörpertest würde Aufschluss über die Dunkelziffer im Land geben.

„Diejenigen, die nicht mehr krank sind und Antikörper haben, können nicht mehr angesteckt werden und den Virus auch nicht mehr übertragen – und daher vorbehaltlos wieder in Kontakt zu anderen treten und an ihren Arbeitsplatz, in die Spitäler, Geschäfte usw. zurückkehren.

Besonders wichtig ist es, Ärzte und Pflegepersonal zu testen“, so Grabherr. Nach Wochen des Ausnahmezustandes ein Lichtblick in Richtung Normalität des Alltags. Virologe Florian Krammer, der bis 2009 Kollege von Reingard Grabherr am Department für Biotechnologie an der BOKU war und heute an der Icahn School of Medicine at Mount Sinai in New York forscht, hat unlängst im Labor den ersten nicht kommerziellen Antikörpertest entwickelt, mit dem bestimmt werden kann, ob eine Person bereits eine Immunreaktion auf das Sars-Cov-2-Virus hatte.

BOKU stellt Proteine für österreichweite Schnelltests her

Noch in dieser Woche treffen die für den Test notwendigen Werkzeuge aus den Vereinigten Staaten an der BOKU ein. „Und dann können wir loslegen: Wir beginnen mit der Herstellung relevanter Oberflächenproteine des Coronavirus, um einen sensitiven und spezifischen Antikörpertest zu entwickeln. Am Department für Biotechnologie arbeiten wir dafür mit tierischen und bakteriellen Zellsystemen, Kollegin Eva Stöger am Department für Angewandte Genetik und Zellbiologie mit Pflanzen als Produktionssystem“, so die BOKU-Virologin Grabher.

Unterstützt wird die BOKU von der Veterinärmedizinische Universität Wien, die sehr viel Erfahrung beim Aufbau sogenannter ELISA-Tests (enzyme linked immunosorbent assay) hat. Auch die Medizinische Universität Wien (MedUni) und Forscher*innen an der Universität Salzburg werden ihre Expertise einbringen. „In einem ersten Schritt arbeiten wir gemeinsam an einer schnellen, skalierbaren Produktionsplattform, um die Oberflächenproteine des Coronalvirus in ausreichender Menge und in gleichbleibender Qualität zu liefern.“

Mit Hilfe dieser Proteine können in Folge verschiedene Labors in Österreich gleichzeitig Schnelltests aufsetzen und durchführen. Für dieses Projekt hat die BOKU gemeinsam mit der Vetmeduni und der MedUni auch einen Antrag beim Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds (WWTF) eingereicht.

INFObox: Verschiedene Länder, darunter auch Österreich, laden zu Hackathons ein, bei denen es darum geht, Software oder Hardware zu entwickeln, die im Kampf gegen das Virus hilfreich sein kann. Auch bei der WHO sind daraus zahlreiche Ideen eingegangen. „Wir müssen das jetzt in Produkte umwandeln“, sagt WHO-Experte Michael Ryan. Es sei die erste Pandemie, in der Informationstechnologien, soziale Netzwerke und Künstliche Intelligenz eingesetzt werden könnten.

„Wir werden diese Tests lange brauchen und eventuell auch für das Ausland verfügbar machen. Es ist unerlässlich, mehr zu testen, sowohl mit PCR-Tests, als auch mit Antikörpertests“, so Grabherr abschließend. „Das hilft, bessere Prognosen zu haben und gezieltere Maßnahmen einzusetzen.“

Um auch die aktuell durchgeführte PCR-Testrate zu erhöhen, steht die BOKU mit vielen anderen Institutionen in Kontakt und stellt unter anderem PCR-Geräte und ihre Expertise dem Ludwig Boltzmann Institut am Lorenz Böhler Krankenhaus oder der AGES (Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit) als Unterstützung zur Verfügung.

Die Universität für Bodenkultur Wien ist eine der führenden Life-Science-Universitäten Europas. Die Verbindung von Naturwissenschaften, Technik sowie Sozial- und Wirtschaftswissenschaften charakterisiert ihre Forschung und Lehre. Wichtige Forschungsschwerpukte sind neben der Nachhaltigkeit und der Ressourcennutzung die medizinischen Biotechnologie.

Impfstoff kommt zu spät für erste Krankheitswelle

Mit einem Impfstoff gegen das Coronavirus sei realistischerweise erst in den nächsten zwölf bis 18 Monaten zu rechnen. Für die aktuell laufende erste Welle der Pandemie kommt das zu spät, zeigt sich Krammer in einem in vorläufiger Version publizieren Perspektivenartikel überzeugt.

Ein Grund dafür sei, dass es in Bezug auf die Entwicklung von Impfstoffen gegen Coronaviren, die Menschen betreffen, kaum Erfahrung gebe, so Krammer in dem gemeinsam mit der Mikrobiologin Fatima Amanat verfassten Artikel. Auch weil die Entwicklung und Weiterentwicklung von Grippeimpfstoffen langjährig gelebte Praxis ist, konnte beim Ausbruch der Schweinegrippe 2009 innerhalb von nur sechs Monaten ein Vakzin bereitgestellt werden. Jetzt habe man es aber mit einem komplett neu im Menschen auftretenden Erreger zu tun.

Aufgrund der bisherigen Erfahrungen mit dem zu rund 80 Prozent mit dem aktuell grassierenden SARS-CoV-2-Virus identen, 2020 aufgetauchten SARS-Virus seien und dem MERS-Virus, sei zumindest klar, dass die Spike-Proteine an der Außenhaut des Virus der Ansatzpunkt sind. Trotz dieses Startvorteils gebe es derzeit noch keine Produktionsanlagen, mit denen schnell ein etwaiges Vakzin massenhaft hergestellt werden kann, schreiben die Wissenschafter.

Noch keine ausreichende klinische Erprobung

Auch wenn nun „sehr innovative Entwickler“ mit guter finanzieller Unterstützung an Lösungen arbeiten, habe keines der Unternehmen einen Wirkstoff in fortgeschrittenen Stadien klinischer Erprobung. Welche der Firmen, die teils verschiedene Entwicklungsansätze verfolgen, das Rennen machen wird, könne man aktuell nicht einschätzen. Selbst wenn manche der üblichen Prozeduren beim Testen und bei der Zulassung von Impfstoffen für Menschen abgekürzt werden könnten, brauche die Entwicklung, Produktion und flächendeckende Auslieferung einfach ihre Zeit.

Neben der Sicherheit und Verträglichkeit müsse auch sorgfältig abgetestet werden, wie lange ein neuer Impfstoff tatsächlich schützt. Denn bei Infektionen mit humanen Coronaviren sei bekannt, dass die Immunität fallweise nicht sehr lange aufrecht bleibt.

Da es nur wenige Virus-Typen gebe, die neue Erkrankungen auslösen könnten, die sich rasch über die Welt ausbreiten, könnte man für diese Kandidaten proaktiv Plattformen zur Vakzinentwicklung aufbauen. „Selbst wenn es unwahrscheinlich ist, dass dann genau jene Viren anhand derer die Kandidaten entwickelt werden, auch Ausbrüche auslösen“, hätte man zumindest eng verwandte, bereits getestete Vakzine in der Schublade. „Das würde eine Reaktion in wenigen Wochen erlauben und könnte ein Virus potenziell auf lokaler Ebene stoppen, bevor eine Pandemie entsteht“, schreiben die Wissenschafter.

Die bisherige Reaktion auf die Pandemie hierzulande beurteilt Krammer als positiv: „Österreich hat gut reagiert. Es wird zwar zu vielen Fällen in den nächsten zwei Wochen kommen“, die rigorose Vorgangsweise der Regierung werde aber voraussichtlich Schlimmeres verhindern, so die Einschätzung des Experten.

apa/red

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