Kategorie Innovation & Technologie - 2. März 2021
Gegen die Plastikflut in der Donau
Wissenschaftler haben untersucht, welcher Plastikmüll in der Donau zu finden ist – und erstellten einen Plan, wie man ihn nachhaltig reduzieren könnte
Ende Juni 2020 streifte eine kleine Gruppe Wissenschaftsjournalistinnen und -journalisten auf Einladung des Nationalparks Donauauen durch hüfthohe Brennnesseln, kletterte über umgefallene Bäume und watete durch Altarme, um etwas über die Dynamik der Au zu erfahren.
Plötzlich, mitten im Auwald, wo normalerweise keine Besucher hinkommen: PET-Flaschen und ein Plastikkanister zwischen den Baumwurzeln. Wie kommt das dorthin? Gudrun Obersteiner, Abfallforscherin an der Universität für Bodenkultur (BOKU) Wien, weiß es: angeschwemmt bei einem extremen Hochwasser, verloren oder entsorgt vielleicht irgendwo auf der Donauinsel.
In den vergangenen dreieinhalb Jahren hat sich Gudrun Obersteiner intensiv mit Plastikmüll in der Donau beschäftigt. Gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen des Instituts für Abfallwirtschaft und des Instituts für Wasserbau, Hydraulik und Fließgewässerforschung der BOKU sowie dem Polymer-Institut der Slowakischen Akademie der Wissenschaften hat sie im Forschungsprojekt „Plastic Free Danube“ untersucht, wie viel und welcher Plastikmüll zwischen Wien und dem slowakischen Wasserkraftwerk Gabèíkovo in und an der Donau zu finden ist.
Beteiligt waren auch der Nationalpark Donauauen, die zum Klimaschutzministerium (BMK) zählende Wasserstraßenverwaltung viadonau, die in der Abfallwirtschaft tätige slowakische NGO Repanet und zahlreiche Freiwillige. Finanziert wurde das Forschungsprojekt zum Großteil im Rahmen von Interreg, einer EU-Förderung für transnationale Projekte.
Einheitliche Erfassung
„Der Nationalpark entfernt mit Freiwilligen immer wieder Müll, vor allem an Stellen, wo sich sehr viel Müll sammelt. Wir konnten diesen Müll sortieren und auswerten, wollten aber mehr auch wissen, wo wie viel Plastik landet und welche Rolle die Uferstruktur dabei spielt“, erklärt Gudrun Obersteiner.
Außerdem sollte eine einheitliche Methode zur Erfassung von Plastikabfällen in Flüssen entwickelt werden, die Vergleiche über ganz Europa und längere Zeiträume ermöglicht. An 15 zufällig ausgewählten Testflächen wurden Uferzonen händisch von Müll befreit und dann monatlich (soweit es der Wasserstand der Donau erlaubte) überprüft, wie viele und welche Plastikabfälle nachgekommen waren.
Für das Hinterland lieferte das Institut für Wasserwirtschaft und Hydraulik hydrodynamische 3D-Modelle, die zeigen, in welche Bereiche der Auen links und rechts der Donau Hochwasser fließt. Dort wurde dann nach Plastikabfällen gesucht. Bei starkem Hochwasser, so zeigte sich, werden vor allem leichte Materialien wie Polystyrol oder PET-Flaschen ins Hinterland verfrachtet.
Weiters wurde das Material untersucht, das im Rechen des Wasserkraftwerks Freudenau hängenbleibt, sowie ein Gestell mit Netzen gebaut, mit dem man Plastikabfälle in verschiedenen Höhenschichten auffangen konnte. Das Gestell wurde von einem auf der Kraftwerksbrücke stehenden Lkw mit einem Ladekran in die Donau gehalten und zeigte schnell die Grenzen der Methode auf: In Kürze lastete ein derartiger Druck auf den Netzen, dass der Lkw fast umgekippt wäre.
Aufwendiges Tracking
Als aufwendig in der Vorbereitung stellte sich auch das Tracking heraus. Um festzustellen, wie die Donau Plastik transportiert, sollten einige PET-Flaschen, Kanister, Polystyrol, Bälle und Badeschuhe mit GPS-Trackern ausgestattet ins Wasser geworfen und über einige Kilometer verfolgt werden. Es habe mehrere Monate gedauert, die passenden Tracker zu finden, erzählt Gudrun Obersteiner.
Die Mühe lohnte sich aber: Der Versuch zeigte, dass der schwimmende Abfall zumeist an einer bestimmten Position im Querschnitt des Stroms bleibt. Somit kann man z. B. annehmen, dass eine Flasche, die rechtsufrig angeschwemmt wurde, über die Fischa oder andere Zubringer eingetragen wurde. Der Trackingversuch hat gezeigt, dass die Kunststoffe kaum über die Mitte des Stromes auf die andere Seite wechseln. Selbstverständlich wurden alle getrackten Plastikteile wieder aus der Donau gefischt.
Lange unterwegs
Wo die gesammelten Plastikabfälle in die Donau geworfen wurden oder hineingefallen waren, ließ sich leider nicht feststellen. Manche sind offenbar sehr lange unterwegs: Im Rechen des Kraftwerks fand sich ein Becher von einem Gabelbissen mit Ablaufdatum 1989.
Rückschlüsse auf die Herkunft des Plastikmülls kann man nur aufgrund seiner Art ziehen: 19 Prozent der rund 1.200 Kilogramm des sortierten Plastiks waren PET-Flaschen, sechs Prozent Lebensmittelverpackungen und 19 Prozent andere Verpackungen. Fast die Hälfte des Plastikabfalls in der Donau dürfte also durch Littering von Verpackungen verursacht werden, also achtloses oder bewusstes Wegwerfen von Müll.
Badeschuhe, Bälle, Spielzeugfiguren oder Gießkannen sind vermutlich unabsichtlich ins Wasser gefallen, Sanitärprodukte wie Binden, Wattestäbchen oder Reinigungstücher könnten ins WC geworfen und bei einem Starkniederschlag aus der Kläranlage geschwemmt worden sein.
Deshalb: Niemals Müll ins Klo werfen! Gefunden wurden weiters Baumaterial, Autoreifen, Seile, Bojen und undefinierbare Plastikteile. Erfasst wurde alles, was mindestens fünf Millimeter groß war.
Aktionsplan gegen Plastikmüll
Ein weiteres Ziel des Forschungsprojekts „Plastic Free Danube“ war, einen Aktionsplan zu erstellen, wie der Plastikmüll in der Donau reduziert werden kann. So wäre es denkbar, sagt Gudrun Obersteiner, dass man an geeigneten Stellen am Ufer Auffangstellen baut, an denen man den Müll leicht entfernen kann.
Noch wichtiger ist zu verhindern, dass Menschen Abfälle in den Fluss werfen. Da man mit der Bewusstseinsbildung am besten bei den Kindern beginnt, wurden Informationen über Plastikvermeidung und Müllentsorgung kindgerecht aufbereitet, Unterrichtsmaterial für Schulen entwickelt, ein Podcast produziert und mit Kindern Müll getrennt.
Das Projekt hat gezeigt, dass es noch viel zu tun gibt, deshalb wurde im Sommer 2020 bereits ein Nachfolgeprojekt gestartet: „Tid(y)Up“ wird sich den Plastik-Strom in Theiß und Donau bis zum Schwarzen Meer vorknöpfen.
Sonja Bettel, Der Standard