14. März 2025

Gletscher laut Alpenverein in »massiver Phase des Zerfalls«

Die größten Längenverluste mussten 2023/2024 die Gletscher in den Ötztaler Alpen hinnehmen: Minus 227,5 Meter beim Sexegertenferner, gefolgt vom Taschachferner mit -176,0 Metern und dem Gepatschferner mit -104 Metern.

Einst als „Ewige Eis“ benannt, neigen sich in Österreich die Gletscher langsam, aber sicher dem Ende zu: Der Gletscherbericht des Österreichischen Alpenvereins (ÖAV) für 2023/24 zeigte erneut extreme Rückgänge. Der Sexegertenferner in den Ötztaler Alpen lag mit einem Minus von 227,5 Metern an der traurigen Spitze des Rankings. Besonders in den vergangenen Jahren wurden laufend Negativ-Rekorde gebrochen. Gerhard Lieb vom ÖAV-Gletschermessdienst spricht deshalb von einer „massiven Phase des Zerfalls“.

Auch Österreichs größter Gletscher, die Pasterze, bleibt vom Trend nicht ausgespart © apa

Mit einem durchschnittlichen Rückzug von 24,1 Metern wurde nun der „drittgrößte Rückzugswert“ in der 134-jährigen Geschichte des Gletschermessdienstes gemessen. Damit befanden sich die Jahre 2023/24 knapp hinter den „Rekordjahren“ 2021/22 mit 28,7 Metern und 2016/2017 mit 25,2 Metern.

Laut den Experten wird es auch so weitergehen: „In 40 bis 50 Jahren werden die meisten Gletscher in Österreich Geschichte sein“, hielt Andreas Kellerer-Pirklbauer, wie Lieb Leiter des Alpenverein-Gletschermessdienstes und ebenso für den Gletscherbericht verantwortlich, bei einer Pressekonferenz in Innsbruck fest. „Alle Gletscher, die jetzt noch existieren, zehren nur mehr von den Eisreserven, die im Gebirge liegen“, beschrieb er die Situation.

Zu hohe Temperaturen mit zu wenigen Niederschlägen

Für die Ergebnisse verantwortlich waren im „Gletscherhaushaltsjahr“ erneut zu hohe Temperaturen verbunden mit zu wenig Niederschlägen. Auch wenn es im November 2023 auf den Bergen viel geschneit habe, sei dies für den Sommer – und damit für die wichtige Periode für die Gletscher – nicht mehr von Bedeutung. „Auf das ganze Jahr betrachtet war es ein ganz mieses Jahr für die Gletscher“, fasste Kellerer-Pirklbauer zusammen. Auch war das betroffene Jahr mit 1,9 Grad über der normalen Temperatur deutlich zu warm.

Die Pasterze ist mit rund acht Kilometern der längste Gletscher der Ostalpen und der größte in Österreich. Sie befindet sich am Fuße des Großglockners im Nationalpark Hohe Tauern. Nach Angaben der österreichischen Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) verlor der Gletscher zwischen 1969 und 2012 über die gesamte Fläche 37 Meter an Eisdicke. Inzwischen geht der Pasterzengletscher jährlich um etwa fünfzig Meter zurück.

Reaktion mit Verzögerung

Experten sind sich einig: Die Gletscher werden weiterhin Eis verlieren, selbst wenn die Erderhitzung nicht weiter fortschreitet: Denn sie reagieren mit Verzögerung auf den Temperaturanstieg. Die Gletscherschmelze hat direkte Auswirkungen auf uns Menschen und unsere Umwelt. Mit den Gletschern verschwindet die Artenvielfalt. Ehemalige Gletschertäler verwandeln sich in öde Gesteinswüsten, in denen sich nur wenige Lebewesen wohlfühlen.

Die Aufnahmen zeigen den Brandner Gletscher in den Jahren 2003 und 2015 (links: Alpenverein/Kaufmann, rechts: Alpenverein/Gross).

Zudem fiel die Prognose auch für das laufende Jahr nicht rosig aus. „Aktuell ist es furchtbar für die Gletscher“, sagte Kellerer-Pirklbauer, der am Institut für Geographie und Raumforschung an der Uni Graz forscht, zu dem niederschlagsarmen Februar. Der nun ins Land ziehende Saharastaub werde sich im Gebirge ablegen und die Gletscherschmelze begünstigen.

Stärkste Rückgänge in Tirol beobachtet

Die zahlreichen Freiwilligen des Alpenvereins beobachteten direkt am Berg – und nicht etwa anhand von Satellitenbildern – 90 Gletscher in Österreich. „87 davon sind kürzer geworden“, berichtete Lieb. Die „Top 3“ der stärksten Gletscherrückgänge befanden sich allesamt in den Ötztaler Alpen in Tirol.

Hinter dem Sexegertenferner belegte der Taschachferner mit einem Rückgang von 176 Metern Platz zwei, der Gepatschferner folgte mit einem Minus von 104 Metern. Das Bundesland mit dem zweitstärksten Rückgang war indes Oberösterreich mit dem Hallstättergletscher (-73,3), gefolgt von Kärnten mit der Hauptzunge der Pasterze (-66,6). Jene drei Gletscher, die keinen Rückgang verzeichneten, seien von „Zufallssituationen“ geprägt gewesen.

„Wir sehen eine komplette Veränderung der Landschaft“, erklärte Kellerer-Pirklbauer zu den Folgen der Schmelze. Bestehende Seen werden etwa vergrößert. Jener bei der Pasterze messe mittlerweile fast 50 Hektar. Der Rückzug der Gletscher bringe zudem mit dem Abtauen von Permafrosteis gefährliche Felsstürze mit sich.

Für Lieb zeige die Veränderung die Bedeutung von naturbelassenen Flächen und der dort herrschenden Ökosysteme auf. Damit einher gehe die „Verpflichtung der Ausweisung von Schutzgebieten“, wie in den Alpenkonvention festgelegt. Die Landschaften seien nämlich mit einem extremen Nutzungsdruck konfrontiert – vor allem durch Gletscherskigebiete.

Kein weiterer Ausbau von Gletscherskigebieten gefordert

„Es ist wirklich an der Zeit, Gletscherskigebiete nicht weiter auszubauen“, verdeutlichte Nicole Slupetzky, Vizepräsidentin des ÖAV, die Position des Vereins. Der Druck auf den alpinen Raum sei enorm – auch außerhalb Österreichs. Nun gehe es „um das Gesamtklima“, wo „jeder einzelne einen Beitrag leisten kann“. Die Politik müsse sich an die „Green Deals“ halten und damit den „CO2-Ausstoß reduzieren“. „Wir müssen Gletschervorfelder schützen, das sind Rückzugsgebiete für viele Pflanzen und Tieren“, appellierte auch sie an die Einhaltung der Alpenkonvention.

Das Jahr 2025 wurde indes von den Vereinten Nationen (UNO) zum „Internationalen Jahr zum Schutz der Gletscher“ ausgerufen. Damit soll unter anderem auf die Bedeutung für die Bereitstellung von Süßwasser bzw. Trinkwasser aufmerksam gemacht werden. „In Österreich sind die Gletscher übrigens nicht für die Trinkwasserversorgung entscheidend“, sagte Lieb. Berge sowie Grundwasser seien dafür verantwortlich. Pünktlich zum Gletscher-Jahr veröffentlichte der Alpenverein übrigens einen Gletschermonitor. Auf einer interaktiven Homepage kann die Veränderung einzelner Gletscher beobachtet werden. Zum Teil reichen die Daten bis ins 19. Jahrhundert zurück.


Statistik: Der Gletscherrückgang in Zahlen (Messperiode 2023/2024)

10 größte Rückgänge – Längenverluste in Metern:



  1. Sexegertenferner (Ötztaler Alpen, Tirol) – 227,5

  2. Taschachferner (Ötztaler Alpen, Tirol) – 176,0

  3. Gepatschferner (Ötztaler Alpen, Tirol) – 104,0

  4. Hallstätter Gletscher (Dachstein, Oberösterreich) – 73,3

  5. Wildgerloskees (Zillertaler Alpen, Tirol) – 68,7

  6. Pasterze Hauptzunge (Glocknergruppe, Kärnten) – 66,3

  7. Ödenwinkelkees (Glocknergruppe, Salzburg) – 59,1

  8. Diemferner (Ötztaler Alpen, Tirol) – 58,9

  9. Fernauferner (Stubaier Alpen, Tirol) – 58,9

  10. Seekarlesferner (Ötztaler Alpen, Tirol) – 56,0