Kategorie Innovation & Technologie - 17. Juli 2019

Herr Aschbacher, wann schauen Sie gelegentlich noch zum Mond?

Schon als Kind immer den Blick gen Himmel gerichtet: Der Österreicher Josef Aschbacher leitet bei der Europäischen Weltraumagentur ESA die Erdbeobachtungsprogramme. Der Vermesser der Welt über seine Mondaffinität und den sorgenvollen Blick auf unseren Planeten:

Herr Aschbacher, wann schauen Sie gelegentlich noch zum Mond?

Jeden Tag, natürlich wenn es wolkenfrei und der Mond sichtbar ist!

 

ESA-Direktor Jan Wörner meinte, er sei seit dem Start von Sputnik, dem ersten Satelliten, „raumfahrtaffin“. Sie sind etwas jünger, war es bei Ihnen die Mondlandung, die im Jungen aus Tirol eine Faszination für Raumfahrt und All weckte?

Absolut! Die Mondlandung hat mich mit einem Weltraumvirus infiziert, der dauerhafte Veränderungen in meinem Gehirn verursacht hat. Als damals 7-Jähriger konnte ich mir nicht vorstellen, wie jemand auf dem Mond spazieren geht. Derselbe Mond, den ich allabendlich vorm Einschlafen gegrüßt habe.

Ich wollte mehr darüber herausfinden, was mich schlussendlich über Schule und Studium zur ESA brachte. Ich erinnere mich noch genau an meinen ersten Besuch bei der ESA in Frascati, als ich mich damals auf eine Young Graduate Trainee Position bewarb.  Als ich nach dem Interview bei der ESA aufgenommen wurde, ist mein Kindheitstraum in Erfüllung gegangen.

Sie sind einer der wichtigsten Manager der ESA, mit dem größten Etat der Organisation vermessen Sie mit stetig wachsenden Satellitenflotten die Welt. Was ist wichtiger: Der immer präzisere Scharfblick auf die Erde oder ein Blick nach Außen, über den Mond immer weiter hinaus ins All?

Ich fürchte, da bin ich als ESA-Direktor für Erdbeobachtung voreingenommen… Wir brauchen die Erdbeobachtung, um den Zustand unseres Planeten zu kennen, seine Funktionsweise zu verstehen, globale Herausforderungen wie den Klimawandel zu bewältigen und so die Zukunft der Menschheit zu sichern. Die Erdbeobachtung hat einige der wichtigsten Fakten zum Verständnis der Klimaänderung beigetragen und erlaubt heute, globale Änderungen präzise zu beobachten und mit Hilfe von Modellen, sogar vorherzusagen.

Aber wir brauchen auch den Blick hinaus ins All, um unsere menschliche Neugier zu befriedigen und unsere Rolle im Universum zu hinterfragen. Vor allem brauchen wir die Faszination des Weltraums, um die junge Generation zu begeistern und sie zu ermutigen, sich mit Wissenschaft und Technik zu beschäftigen, eigene Projekte voranzutreiben und neue Vorhaben umzusetzen.

© ESA

© ESA

Der Mond scheint als Prestigeobjekt nach wie vor von großer Bedeutung. Nicht nur bei den Weltraumagenturen, auch im privaten Sektor, wird fleißig an einer Rückkehr zum Mond getüftelt. Wer wird das Rennen gewinnen?

Wahrscheinlich die Weltraumagenturen die erste Etappe und der private Sektor die zweite. Der Weltraum ist bereits ein attraktiver kommerzieller Wachstumssektor. In Zukunft werden private Investitionen zunehmen, allerdings immer auf F&E Investitionen der Weltraumagenturen aufbauen, um neue Domänen zu eröffnen.  

Wann werden wieder Astronauten am Mond landen?

Das erklärte Ziel der US Regierung unter Präsident Trump ist, vor Ende 2024 zurück zum Mond zu kehren. Das ist ambitioniert!

Abseits des 50-Jahr-Jubiläums: Warum ist der Mond plötzlich wieder so populär?

Der Mond ist wieder populär, zum einen weil er ein erreichbares Ziel ist, auf dem Menschen außerhalb unseres eigenen Planeten Erde wieder einen großen Schritt für die Menschheit setzen können, aber vielmehr als Zwischenstation zum Mars, der das eigentliche Ziel der NASA, ESA und anderer Weltraumagenturen ist.

Was halten Sie als Erdbeobachter von den Moon Village Plänen der ESA? Großartige Vision oder futuristische Träumerei, um neben Elon Musk in den Schlagzeilen zu sein?

Das Moon Village ist ein Konzept, an dem sich jeder beteiligen kann, egal ob Weltraumagentur oder privater Investor. Das Konzept ist offen, es gibt keinen Masterplan. Ähnlich wie in der Besiedlung eines neuen Kontinents vor 500 Jahren.  Verschiedene Interessen ergeben zu neuen Gebäude, neuen Fabriken und neuen Lebensraum. Ein Moon Village. Das macht durchaus Sinn, auch wenn es futuristisch klingt und vielleicht nicht morgen gebaut wird. Aber übermorgen ganz sicher.

 

Zurück zur Erde: Ihre Satelliten liefern regelmäßig schöne Bilder unseres Planeten. Können sie helfen, mehr Sensibilität für die großen globalen Probleme zu schaffen?

In der Tat, unsere Satelliten liefern fantastische Bilder, jeden Tag, von jedem Ort unseres Heimplaneten. Ich sehe immer wieder, wie schön, aber auch wie zerbrechlich unser Planet ist. Nahezu alle Astronauten berichten nach ihrer Rückkehr auf die Erde, dass der Blick auf die dünne Atmosphäre die Verletzlichkeit unseres Planeten anschaulich macht.

Wir können sicher eine gewisse Sensibilität erzeugen, aber ehrlich gesagt, bin ich oft enttäuscht, dass diese Information, die sehr faktisch ist, nicht schneller in politische Entscheidungen übergeführt wird.

Mit präzisen Aufnahmen und riesigen Mengen an Messdaten haben Sie den Planeten wie kaum eine andere Institution im Blick. Was erkennen Sie aus dem Orbit und wie, glauben Sie, geht es derzeit der Erde?

Die Erde leidet an einer heimtückischen Krankheit namens Homo Sapiens. Die wird zwar nicht ewig dauern, aber sie hat bereits Schaden angerichtet. Nein, im Ernst – wir sehen viele Entwicklungen, die uns mit Sorge erfüllen, beispielsweise das Abschmelzen der Eiskappen, der Anstieg der Meeresspiegel, die Zunahme an Treibhausgaskonzentrationen, der globale Temperaturanstieg, usw.

Wir haben unser Raumschiff Erde nicht immer pfleglich behandelt. Aber es bleibt noch etwas Zeit, das Ruder herumzureißen und unser Raumschiff in sichere Zonen zu navigieren.

Klimawandel, Naturkatastrophen, Ressourcenknappheit: Gibt es von der ESA Rezepte dagegen oder sehen Sie sich als reiner Provider der Daten für andere, die an der Lösung solcher Probleme arbeiten?

Die politischen Entscheidungen basierend auf von uns bereitgestellten Daten gehört in der Tat nicht zum Aufgabenbereich der ESA. Trotzdem bauen wir eigene Expertise auf, stehen im engen Kontakt zur Wissenschaft und unterstützen die einschlägige Forschung. Schließlich müssen wir sicher sein, dass unsere Daten genau auf die Bedürfnisse der Nutzer abgestimmt sind. Darauf achten wir schon bei der Vorbereitung von Missionen.

Allerdings, und hier muss ich eine Schwäche anerkennen, sollte mehr getan werden, damit die Information aus unseren Satellitendaten besser in den Entscheidungsprozess einfließt.

Was hat sich aus Ihrer Sicht heute durch die Datenlage der Erdbeobachtungssatelliten verändert und was wird das nächste große Ding auf diesem Gebiet?

Die wichtigste Änderung ist, dass Erdbeobachtungsdaten heute für Wissenschaftler, Entscheidungsträger und andere Nutzer ständig, verzugsarm, langfristig, in hoher Qualität und kostenfrei zur Verfügung stehen. Wir sagen, Erdbeobachtung ist operationell geworden. Damit steht eine belastbare Informationsbasis zur Verfügung und ermöglicht faktenbasiertes Handeln. Das europäische Erdbeobachtungsprogramm Copernicus – das größte seiner Art weltweit – hat dabei Maßstäbe gesetzt. Und die ESA hat großen Anteil daran, weil sie die Weltraumkomponente von Copernicus verantwortet und entwickelt.

Das nächste große Ding? Ein großes Thema ist der Einsatz künstlicher Intelligenz in der Erdbeobachtung. Durch die gewaltigen, exponentiell wachsenden Datenmengen wird es immer schwieriger, die benötigten Information zu extrahieren. Künstliche Intelligenz bietet sich für solche Zwecke geradezu an. Auf dem Erdboden laufen entsprechende Aktivitäten schon länger.

Die ESA geht aber noch einen Schritt weiter: Im September starten wir einen Satelliten mit einem Chip für künstliche Intelligenz an Bord. Ich habe ihn „Brainsat“ genannt, auch bekannt unter dem offiziellen Namen Φ-sat. Es ist ein Experiment mit hohem Risiko. Aber wenn alles gut geht, kann der KI-Chip eigenständig Wolkenbedeckung erkennen, damit der Satellit nur Daten für wolkenfreie Gebiete zur Erde funkt.

Das minimiert die gesendeten Datenmengen und erleichtert somit ihre Handhabung und Analyse. Der KI-Chip ist programmierbar und wir könnten ihn auch für die Erkennung von Schiffen mit Ölverschmutzung programmieren. Sehr spannend, und ich hoffe, das Experiment führt zum Erfolg.

Herr Aschbacher, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.


 

Josef Aschbacher ist Europas oberster Erdbeobachter und der erste Österreicher im Direktorium der ESA. Am 1. Juli 2016 trat er sein Amt als Direktor der Erdbeobachtungsprogramme an und leitet seit August 2016 das ESA-Zentrum für Erdbeobachtung in Frascati in der Nähe von Rom. Aschbacher hat somit das größte Direktorat der ESA überhaupt inne.

Der gebürtige Tiroler studierte an der Universität Innsbruck und wurde in Naturwissenschaften promoviert. Von 1985 bis 1989 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Meteorologie und Geophysik der Universität.

Josef Aschbacher begann seine Karriere in der ESA 1990 als Young Graduate bei ESRIN. Von 1991 bis 1993 wurde er als ESA-Vertreter nach Südostasien zum Asian Institute of Technology in Bangkok, Thailand, abgeordnet.

Von 1994 bis 2001 arbeitete er an der Gemeinsamen Forschungsstelle der Europäischen Kommission in Ispra, Italien, wo er zuletzt wissenschaftlicher Mitarbeiter des Direktors des Instituts für Weltraumanwendungen war. 2001 kehrte er als Programmkoordinator zum Hauptsitz der ESA nach Paris zurück, wo er in erster Linie für die Weiterentwicklung der Copernicus-Aktivitäten innerhalb der ESA verantwortlich war.

2006 wurde er Leiter des Copernicus Space Office, wo er alle Aktivitäten für Copernicus innerhalb der Agentur und mit externen Partnern, insbesondere der Europäischen Kommission, leitete.

2014 wurde er zum Leiter der Programmplanung und -koordination bei ESRIN befördert, wo er für die Planung der Erdbeobachtungsprogramme der ESA sowie für die Formulierung und Umsetzung programmatischer und strategischer Entscheidungen in der gesamten Direktion verantwortlich war.

INFObox: Das Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie (BMVIT) investiert als Weltraumministerium jährlich rund 70 Millionen Euro in den Weltraumsektor. Unter Einrechnung der EU-Flagschiffprogramme Copernicus, Galileo/EGNOS und H2020 liegt Österreichs Beitrag bei etwa 100 Millionen Euro pro Jahr. Österreich finanziert Programme der ESA mit und ermöglicht österreichischen Betrieben so, sich für Aufträge im Rahmen der ESA-Missionen zu bewerben.