Kategorie Innovation & Technologie - 19. Januar 2016

„Ideale Gebäudehülle“: Die Glasfassade als Energiemanager

Wien – Eine Glasfassade holt die Außenwelt ins Büro. Die Architektur, die mit Transparenz spielt, lässt weitschweifende Blicke zu und lässt Sonne bis zum Schreibtisch vor. Der Wärmedurchgang lässt sich dabei aber schwer kontrollieren. Brennt die Sonne auf die Scheibe, kann es hinter der Fassade sehr heiß werden. Ist es draußen kalt, gehen auch die Innenflächentemperaturen nach unten. Gepaart mit Kühlgeräten und Heizungen kann es zu Fallwinden, Zugluft und anderen Turbulenzen im Raumklima kommen. Keine erfreulichen Aussichten für Mitarbeiter.

Dietrich Schwarz möchte dieses Problem beheben und eine „ideale Gebäudehülle“ aus Glas entwickeln. Der Architekt und Professor auf dem Lehrstuhl für Nachhaltiges Bauen am Institut für Architektur und Raumentwicklung der Universität Liechtenstein hatte bereits in den 1990er-Jahren eine Idee, die das Potenzial hat, Raum- und Außenklima messerscharf voneinander zu trennen. Seine Lösung: Durch die Glasfassade soll Wasser fließen.

Fassade steuert Energiefluss

Innerhalb eines multifunktionalen Fassadensystems könnte der flüssige Wärmespeicher ein Teil transparenter Sonnenkollektoren werden und helfen, den Energiefluss in der Gebäudehülle zu steuern. Aus der Idee, die auf ein Patent von 1998 zurückgeht, ist inzwischen das EU-Projekt Fluidglass geworden, für das sich Forschungs- und Unternehmenspartner aus Deutschland, Liechtenstein, der Schweiz, Frankreich, Österreich, Tschechien und Zypern zusammengefunden haben.

Das Konzept ist durchaus komplex: Der Hohlraum zwischen zwei Glasplatten wird von Wasser durchflossen. Die smarte Fassade besteht aus einer erweiterten Isolierverglasung mit zwei der wasserführenden Doppelscheiben.

Der äußere „Glaszwilling“ ist für die Solarstrahlung zuständig und kontrolliert den Energietransport von außen nach innen. „Die Infrarotstrahlung wird vom Wasser fast gänzlich absorbiert, aber im sichtbaren Bereich der Strahlung würde nach wie vor viel zu viel Energie durchgehen“, so Schwarz.

Flexible Pigmentierung

Das Konzept sieht deshalb die Möglichkeit zur Verdunklung vor. Das soll mit Pigmenten geschehen, die jederzeit beigefügt und abgeschieden werden können. Ein Raumklima, bei dem die Wirkung des Klimageräts erst zwei Meter vom Fenster entfernt spürbar ist, wird verhindert. Die Energie, die an der Fassade umgesetzt wird – ein Quadratmeter der Wasserschicht könne laut Schwarz 1000 Watt an Solarstrahlung aufnehmen -, kann in anderen Bereichen der Haustechnik verwendet werden.

Der nach innen gerichtete „Glaszwilling“ ist dafür zuständig, die Wärmeströmung von innen nach außen zu kontrollieren. Eine isolierende Schicht zwischen den wasserführenden Glasplatten bremst den Wärmeverlust im Winter. Der verbleibende Wärmeverlust wird mithilfe der wasserführenden Schicht kompensiert. „Das Wasser, das durch den inneren Glaszwilling fließt, wird vorgewärmt. Das wirkt ähnlich einem Radiator unter dem Fenster.“

Das Konzept ersetzt somit Verschattung, Heiz- und Kühlsystem. Mittels intelligenter Steuerungstechnik soll die Fassade als ganzheitliches System agieren. „Wir können zum Beispiel Solarenergie südseitig abführen und auf der Nordseite des Gebäudes verteilen“, so der Architekt.

Erhebliche Einsparungen

Die Entwickler haben das System für verschiedene Klimazonen durchgerechnet. „Wenn wir unser Glas mit Isolierglas bester Qualität vergleichen, können wir in unseren Breitengraden 20 bis 30 Prozent der Energie einsparen, in Dubai 40 bis 50 Prozent“, sagt Schwarz. Wenn man überschüssige Energie zur Kühlung verwendet, könne es noch mehr werden.

Bis die Entwicklung marktfähig ist, sind noch ein paar Hürden zu nehmen. Eine davon ist die Wahl der richtigen Pigmente für die Verdunkelung. Wasserlöslich, per Elektromagnet abscheidbar und farblich neutral sollten sie sein. „Wir können Partikel gut beifügen. Beim Abscheiden haben wir aber das Problem, dass sie verklumpen und so für das bloße Auge sichtbar und als Verschmutzung wahrgenommen werden“, erläutert der Forscher.

Bewältigt wurde bereits das Problem mit dem Wasserdruck. Auch wenn die Wasserschicht nur ein, zwei Millimeter dick ist, würde man bei einer drei Meter hohen Wassersäule „astronomisch dicke Gläser“ benötigen. Die Lösung: „Wir produzieren Unterdruck in dem zirkulierenden System. Damit werden die Scheiben nicht auseinandergepresst, sondern zusammengezogen. Es ist einfacher, das Glas auf Distanz zu halten, als es zusammenzuhalten.“

Am Ende des 2017 auslaufenden Forschungsprojekts soll ein erster begehbarer Raum verwirklicht sein, der mit der Technik ausgestattet ist. In einem weiterführenden Projekt soll dann ein erster Hausprototyp entstehen. (Alois Pumhösel, 17.1.2016)


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Fluidglass