1. Dezember 2015

Ideen ohne Grenzen


APA/APA (dpa)

Neue Ideen und Innovationen sind gefragter denn je, und die Impulse dazu kommen immer öfter von „außen“: Innovationsmanagement, Entwicklungsabteilungen und Laboratorien öffnen ihre Tore für „Open Innovation“. Nach Meinung der meisten Experten führt daran, obwohl oft unter „Hype“-Verdacht, langfristig kein Weg mehr vorbei. Das neue APA-Science Dossier beleuchtet, worin Potenziale, aber auch Limitierungen des Konzepts liegen und wo es bereits zur Anwendung kommt.

„Der große Start von Open Innovation war eigentlich in den Großunternehmen, die haben ihre Innovationsprozesse am meisten geöffnet“, erklärte Oliver Gassmann, Professor für Innovationsmanagement an der Universität St. Gallen, kürzlich am Rande des Innovationskongresses in Villach im Gespräch mit APA-Science. Gassmann ortet hier auch ein „Paradoxon der KMU“. „KMU haben kaum Ressourcen, müssten sich deshalb öffnen, sind aber jene Unternehmen- die sich am wenigsten öffnen“, sagte Gassmann, meint damit aber ausdrücklich „etablierte“ KMU, nicht etwa Hightech-Start-ups.

Ob und wieweit Open Innovation (OI) in die Unternehmensstrategie implementiert wird, liegt für Gassmann in den seltensten Fällen an den Innovationsmanagern selbst. „Beim Innovationsmanagement ist das Thema mittlerweile völlig unumstößlich, das ist wie das Periodensystem in der Chemie. Die Forscher und Entwickler sind aber sehr wohl ein Problem. Die operativen Einheiten öffnen sich noch nicht hinreichend, da gibt es noch Riesenchancen“, so der Experte (siehe dazu auch „OI: Von Einzelfällen zur Systematik„).

Zwei Drittel wenden Open Innovation an

Wie verbreitet Open Innovation in der österreichischen Wirtschaft ist, hat erstmals eine gemeinsame Studie des Austrian Institute of Technology (AIT) und des Austria Wirtschaftsservice (aws) eruiert. Die Erhebung hat gezeigt, dass bereits zwei Drittel der untersuchten 95 Unternehmen des Produktions- und Dienstleistungssektors mit Kunden, Lieferanten und Forschungseinrichtungen interagieren, um neue Ideen zu entwickeln (siehe Open Innovation: Status Quo und Chancen). Neuere und internetbasierte Formen von Open Innovation, wie Crowdsourcing, die Entwicklung von Open Source-Software, oder neue Wege zur Kommerzialisierung von Innovation, etwa durch „Corporate Venturing“, werden demnach jedoch erst von fünf bis zehn Prozent der Unternehmen genutzt.

Als wichtigste Motive für die Öffnung des Innovationsprozesses wurden dabei die „Identifikation von Kundenbedürfnissen und Technologietrends“ identifiziert. Weiters würden sich Unternehmen davon „kürzere Produktentwicklungszeiten, den Zugang zu neuen Märkten und die Reduktion des Risikos für das Scheitern eines Innovationsprojekts“ versprechen.

Gleichberechtigung vs. Ausbeutung

Ganz allgemein setzt der erfolgreiche Einsatz von Open Innovation den richtigen „Mindset“ voraus, ist sich Oliver Gassmann sicher, und verweist auf eine häufig anzutreffende Fehleinschätzung, durch diese Methoden interne Innovation einsparen zu können: „Man muss trotzdem intern innovieren, um bewerten zu können, was extern läuft und überhaupt Potenziale identifizieren zu können. Es ist ein weit verbreitetes Missverständnis, im nicht-technischen Innovationsbereich ein Einsparpotenzial zu sehen. Das ist es definitiv nicht.“

Auf der anderen Seite muss auch darauf geachtet werden, dass externe Ideengeber – etwa bei Fragestellungen, die an eine „Crowd“ ausgelagert werden – ausgewogen auf ihre Kosten kommen. „Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Man spricht hier von der Absorptive Capacity, der Fähigkeit, Dinge von außen aufzunehmen. Diese Fähigkeit nimmt umso mehr zu, je mehr ich in der Lage bin, etwas zu geben. Und ein echt offener Innovationsprozess ist auf Gleichberechtigung ausgelegt“, sagt Gassmann. Es gehe nicht darum, das Wissen und die Einschätzung von Usern einfach nur abzusaugen. Begreift man diesen Prozess als Einbahnstraße, könne man sich heutzutage schnell im Auge des gefürchteten „Shitstorms“ wiederfinden.

Eine mögliche negative Entwicklung der Auslagerung der Ideenfindung betrifft auch den Arbeitsmarkt, so der Experte. Wenn die Wissensarbeit zunehmend von nicht mehr eng an das Unternehmen gebundenen Freelancern geleistet werde, bestehe die Gefahr, dass eine Art „intellektuelles Proletariat“ entsteht: „Mit Crowdsourcing ist der Wettbewerb nicht mehr auf den heimischen Markt ausgerichtet. Ich schreibe das auf Englisch aus und habe damit billigere Lösungsanbieter aus Indien oder Russland, die lokale Freelancer verdrängen, die es sich als Softwareentwickler oder Ideengeber eingerichtet haben.“

OI in der Wissenschaft

War Open Innovation ursprünglich hauptsächlich mit der Öffnung von Unternehmen für Unternehmensimpulse von außen assoziiert, wird das Konzept heute zumeist freier interpretiert. Mittlerweile ist damit die freie Zirkulation von Ideen und Wissen über institutionelle Grenzen hinaus gemeint und umfasst konzeptionell in diesem Sinne auch Bereiche wie „Crowdsourcing„, „Citizen Science“ (siehe etwa das Projekt „Sparkling Science„) oder „Open Science“.

So hat etwa die Ludwig Boltzmann Gesellschaft das zweiteilige Projekt „Open Innovation in Science“ initiiert, bei dem einerseits Bürger in die Erforschung psychischer Erkrankungen eingebunden werden und andererseits Wissenschafter Open Innovation-Methoden erlernen und im Forschungsalltag trainieren. Der „Ö1 Hörsaal“ wiederum wurde ins Leben gerufen, um an Österreichs Universitäten „zusätzliche Impulse zu setzen, die von gesellschaftlicher Relevanz sind“. Gerade erst hat dazu eine breit angelegte Abschlussrunde der beteiligten zwölf Universitäten und Projektpartner stattgefunden – mit einem positiven Resümee (siehe „Crowdsourcing ist an den Unis angekommen).

Aber es sind nicht nur der Unternehmenssektor und öffentliche Initiativen, die auf Öffnung setzen. „Ich glaube, dass Open Innovation bei den sozialen Innovationen noch einen viel höheren Stellenwert hat als im Businessbereich“, erklärte Klaus Schuch, wissenschaftlicher Direktor des Zentrums für Soziale Innovation (ZSI), gegenüber APA-Science. „Im Businessbereich ist Open Innovation als Paradigma total gehypt. Weil da gibt es Proprietäts- und Exklusivansprüche, die man haben muss, um am Markt zu bestehen, und bei sozialen Innovationen sehe ich das nicht.“ Im sozialen Bereich gehe es viel mehr um den Ansatz des (Aus-)Tauschens, der nicht als kompetitiv gesehen werde. „Crowdsourcing und -funding sind Dinge, die in der sozialen Innovation deutlich wichtiger werden.“

Strategie der Bundesregierung

Auch die Bundesregierung hat auf den Trend reagiert und bei den diesjährigen Alpbacher Technologiegesprächen die Erarbeitung einer „Open Innovation-Strategie“ ausgerufen (siehe auch „Am Anfang war Open Innovation„). Mit der Durchführung wurden Infrastrukturminister Alois Stöger und der Staatssekretär im Wissenschafts- und Wirtschaftsministerium, Harald Mahrer, betraut. „Vier Aktionsfelder sollen für Österreich durch Open Innovation weiterentwickelt werden: Wissenschaft und Forschung, Wirtschaft, Soziale Innovation und Verwaltung“, erklärte Mahrer zum Auftakt.

Einfließen sollen dabei in einem öffentlichen Konsultationsprozess auch individuelle Vorschläge von Bürgern, die ihre Ideen auf openinnovation.at in den fünf Themenfeldern „Anwendungsgebiete Open Innovation“, „Share Economy“, „Gründen in Österreich“, „Arbeitswelt der Zukunft“ und „Verwaltung im Wandel“ einbringen können.

Köpfe statt Ideen

Bisher (Stand: 27. November 2015) wurden insgesamt 57 Vorschläge gepostet, von einer „24h Automaten-Apotheke-Medikamente vom Krankenbett“ über „Open Innov. für mehr Gesundheit am Arbeitsplatz“ bis „Gesetze die sich am Bedarf orientieren“ reichen die Themen. Bis Jahresende sollen die besten 100 Ideen gesammelt werden. Crowdfunding-Experte Reinhard Willfort, der die Bürgerbeteiligungsplattform mit entwickelt hat, geht es nach eigener Aussage aber per se gar nicht nur um eine große Anzahl von eingereichten Ideen, obwohl er sich zur Mobilisierung durchaus „mehr Kommunikationsintensität vom Betreiber“ gewünscht hätte: „Im Vordergrund geht es uns darum, Köpfe zu finden, für die es spannend ist, da mitzutun.“

Bei einer Stakeholder-Konferenz am 18. Jänner 2016 sollen jedenfalls solche „Köpfe“ und ihre Ideen in einen lebendigen Austausch miteinander treten. Übergeordnetes Ziel der Initiative ist es, die Ergebnisse zu bündeln und bis Mitte 2016 dem Nationalrat vorzulegen. Daraus soll dann eine nationale Open Innovation-Strategie entwickelt werden.

Strategie als „Novum“

Eine solche, staatlich forcierte Initiative sei innerhalb der EU ein „absolutes Novum“, erklärte die Innovationsexpertin Gertraud Leimüller, die die heimische Strategie konzeptionell und fachlich begleitet, gegenüber APA-Science. „Wir sind in ganz Europa das einzige Land mit einer eigenen OI-Strategie.“ Dass die verschiedenen Akteure – von der FTI-Community, über NPOs, NGOs, Stiftungen und Konsumentenschutz bis zur Zivilgesellschaft – dabei auf Augenhöhe partizipieren und interagieren, ist für Leimüller eine wesentliche Stärke des Ansatzes: „Offenheit und Kollaboration sind ganz wichtige Determinanten im internationalen Diskurs.“

Als Leiterin eines Forschungs- und Beratungsunternehmens, das sich auf Open Innovation-Methoden spezialisiert hat, sieht Leimüller bei solchen Projekten einen größeren Nutzen: „Es kommt einfach wesentlich mehr heraus. Gerade bei großen Innovationsschritten gibt es ein großes Risiko, das kann man abpuffern, wenn man schon frühzeitig mit dem Markt, mit den Usern arbeitet und deren Bedürfnisse berücksichtigt.“

Insgesamt glaubt die Expertin nicht, dass es sich bei offenen Innovationsprozessen nur um einen vorübergehenden Hype handelt. „Mir ist schon wichtig, dass das nicht nur eine Modeerscheinung ist, sondern dass da schon 25 Jahre ernsthafte Forschung dahinterstecken“, sagt Leimüller, die selbst einschlägige Studien an der Harvard Universität und am Massachusetts Institute of Technology (MIT) belegte.

Die Zukunft der Innovation ist ihrer Meinung nach „offen“: „Meine Hypothese ist, dass wir in zehn Jahren gar nicht mehr von Open Innovation reden, weil das dann für jedes Unternehmen, aber auch Vereine und öffentliche Organisationen, völlig selbstverständlich sein wird, einen Mix aus offener und geschlossener Innovation zu haben. Und das ist auch jetzt schon ganz normal, wir leben in einer digitalisierten Welt.“

Von Mario Wasserfaller / APA-Science

Service: Diese Meldung ist Teil eines Dossiers zum Thema Open Innovation, das unter http://science.apa.at/dossier/openinnovation zu finden ist.