Kategorie Innovation & Technologie - 12. Juni 2016
In luftiger Höhe durch die Smart Megacity
Graz – Täglich grüßt der Verkehrskollaps: Die vielspurigen Straßen der Megacitys weltweit sind geprägt von Staus und Smog, verursacht von meist noch fossil betriebenem Individualverkehr. Der teure Bau von Bahnsystemen, ober- und unterhalb der Erde, reicht oft nicht aus, die voller werdenden Straßen nachhaltig zu entlasten. Wäre es da nicht besser, Fahrbahnen nicht nur mehrspurig, sondern auch mehrstufig zu machen und über der Fahrbahn sozusagen einen ersten und zweiten Straßenstock einzuziehen?
Im Projekt Quickway, einem in Graz erdachten Verkehrskonzept für Megastädte, wird diese Frage mit Ja beantwortet. Nicht aber, um den Benzinkarossen noch mehr Platz zu geben. Der Stadtverkehr wird in dem System grundsätzlich neu gedacht und das Ineinandergreifen von Individual- und öffentlichem Verkehr forciert. Dem noch andauernden Übergang von fossilen zu elektrischen Antrieben wird Rechnung getragen. Neue Technologien koordinieren die Verkehrsströme der autonomen Fahrzeuge und machen eine Millionenstadt zur Smart Megacity.
Das grundlegende Arrangement: Auf den bisherigen Straßen, Ebene 0, fahren auf separaten Fahrbahnen nur noch Schwerverkehr und einspurige Verkehrsmittel. Kleintransporter und öffentlicher wie privater Personentransport werden in die oberen Stockwerke verbannt. Auf den Hochfahrwegen, Ebene 1 und 2, bringen selbstfahrende, zentral koordinierte Autos und Busse alle Passagiere schnellstmöglich an ihr jeweiliges Ziel.
Die Voraussetzung für die schlanken Fahrwege in luftiger Höhe schafft dabei ein spezieller Beton. „Der Bau der Hochfahrwege wird durch die Nutzung von Ultrahochfestem Beton (UHPC) möglich“, erklärt Bernhard Freytag vom Labor für Konstruktiven Ingenieurbau der TU Graz. Das von der Förderagentur FFG unterstützte Projekt wurde gemeinsam mit weiteren Instituten der TU sowie Wirtschaftspartnern erarbeitet. Die Idee geht auf den mittlerweile emeritierten Professor Lutz Sparowitz vom Institut für Betonbau zurück.
Der Baustoff, der durch einen geringeren Wasser- und Porenanteil und eine neuartige Struktur der Feinstpartikel im Beton eine viel höhere Dauerhaftigkeit und Druckfestigkeit erreicht, lässt viel schlankere und dennoch stabile Konstruktionen zu, was in Österreich bereits mit einer Straßenbrücke in Völkermarkt in Kärnten demonstriert wurde, erläutert Freytag. Im Rahmen von Quickway entwickelten die Betonforscher an die 70 unterschiedliche Elemente für die Hochfahrwege, die jede Trassenführung möglich machen.
Alternative zur U-Bahn
Mithilfe von Stahlseilen werden die Module ohne Mörtel oder Steckverbindungen zusammengespannt. Nur alle 40 Meter sei eine Stütze notwendig. „Gerade im Vergleich zum U-Bahn-Bau kann dieses System viel schneller gebaut und erweitert werden. Bis zu einem Kilometer täglich sind möglich“, sagt Freytag. Die einspurigen Einbahnen, die die Straßenzüge überspannen, teilen sich an den Kreuzungen, um mittels Über- und Unterführungen das Abbiegen zu ermöglichen. Die Richtung der Einbahnen ändert sich von Straßenzug zu Straßenzug.
„Das Konzept ist für Elektrofahrzeuge entwickelt, der Übergang kann aber fließend sein“, so der Wissenschafter. Energie sollen Solarpaneele sammeln, die in die Fahrbahnüberdachungen integriert und lichtdurchlässig sind, um die Straßenzüge nicht zu verdunkeln. Zur Zwischenspeicherung soll die Energie in Wasserstoff umgewandelt werden.
Die selbstfahrenden Autos der Zukunft werden auf den neuen Fahrbahnen unterfordert sein – bei maximal 80 km/h müssen sie lediglich zu den Seitenrändern und zu den Verkehrsteilnehmern vorn und hinten Abstand halten. „Es gibt viel weniger Ereignisse, auf die sie reagieren müssen, auch keine Fußgänger“, sagt Freytag. Konventionelle Autos müssten mit Sensorik und Steuerungstechnik nachgerüstet werden.
Vor der Fahrt loggen sich die Fahrer dann in ein zentrales Navigationssystem ein, das laufend die beste Route für alle Teilnehmer berechnet. „Für den einzelnen Teilnehmer kann sich während der Fahrt auch die Route ändern“, so der Forscher. Benutzer öffentlicher Verkehrsmittel teilen per App ihren Zielort mit und werden je nach Ziel auf kleinere, busartige Gefährte aufgeteilt, die sie an ihrem Bestimmungsort absetzen, ohne eine gleichbleibende Route abzufahren. Freytag: „Die Navigationsserver optimieren den Verkehrsfluss der ganzen Stadt. Das heißt auch, dass die Passagiere schon einem idealen Fahrzeug zugewiesen werden.“
Machbarkeit bewiesen
Das dreijährige Projekt geht im laufenden Jahr zu Ende. „Dann ist alles so weit gediehen, dass man sich über ein Pilotprojekt drübertrauen kann“, so der Forscher. Die gesamte technische Machbarkeit ist bewiesen und ein Fertigungskonzept getestet, bei dem mit Stahlfasern versetzter UHPC in kostengünstigen Schalungen zum Einsatz kommt. Ein Nachfolgeprojekt könnte sich mit Verkehrsflussoptimierung beschäftigen.
Was noch fehlt, ist eine Stadt, in der sich ein Pilotprojekt umsetzen ließe. Das Problem dabei: „Um die Leistungsfähigkeit erproben zu können, braucht es tatsächlich eine ganze Stadt. Eine kurze Teststrecke reicht da nicht“, betont Freytag. Als Teststadt für die Simulationen diente Singapur. Dort laufen zudem Studien, ob diese Verkehrsrevolution auch in der Bevölkerung auf Akzeptanz stoßen würde. (Alois Pumhösel, der Standard)