Kategorie Klima- & Umweltschutz - 13. August 2024

Mehr als 47.000 Hitze-Tote 2023 in Europa

Mehr als 47.000 Menschen sind nach Expertenschätzungen 2023 in Europa an den Folgen hoher Temperaturen gestorben, dem weltweit wärmsten Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen. Die entsprechende Modellierungsstudie unter Leitung des „Barcelona Institute for Global Health“ wurde im Fachblatt „Nature Medicine“ veröffentlicht. Darin berichtet die internationale Forschungsgruppe aber auch, dass anscheinend eine Anpassung an die Hitze stattgefunden hat.

Das Team verwendete Mortalitätsdaten des Europäischen Statistikamtes (Eurostat) von über 96 Millionen Todesfällen, um die hitzebedingte Sterblichkeitslast im Jahr 2023 für 823 Regionen in 35 europäischen Ländern, darunter auch Österreich, zu schätzen. Diesen Schätzungen zufolge gab es im vergangenen Jahr 47.690 hitzebedingte Todesfälle in Europa. Dies sei die zweithöchste Sterblichkeitsrate seit Beginn solcher Berechnungen 2015, wobei die höchste Rate 2022 verzeichnet wurde.

Unter Berücksichtigung der Bevölkerungszahl stellte die Forschungsgruppe fest, dass die Länder mit den höchsten hitzebedingten Sterberaten in Südeuropa liegen: So belegen Griechenland (393 Todesfälle pro eine Million Einwohner), Bulgarien (229), Italien (209) und Spanien (175) die ersten vier Plätze der Schätzung. In Deutschland lag diese Rate 2023 bei 76 Todesfällen und in Österreich bei 54 Todesfällen pro eine Million Einwohner.

486 Hitzetote in Österreich

In absoluten Zahlen schätzt die Forschungsgruppe die Zahl der Hitzetoten für 2023 auf knapp 12.750 in Italien, gefolgt von 8.352 in Spanien und 6.376 in Deutschland. In Österreich lag die Zahl bei 486 Hitzetoten. Es starben dabei hierzulande – wie in fast allen untersuchten Ländern – mehr Frauen als Männer an den Hitzefolgen, für die insgesamt zudem vor allem ältere Menschen anfällig waren.

Genauer gesagt war die Mortalitätsrate bei Frauen um 55 Prozent höher. Das Sterberisiko lag bei den über 80-Jährigen um 768 Prozent höher als in der Altersgruppe der 65- bis 79-Jährigen. Dabei versterben die wenigsten Menschen direkt an einem Hitzschlag. Meist sind die hohen Temperaturen ein erschwerender Faktor, der insbesondere für vulnerable Gruppen mit Vorerkrankungen gefährlich wird. Wie andere Studien gezeigt haben, ist das Risiko in Städten um ein Vielfaches höher.

Dass Frauen übermäßig betroffen sind, liegt einerseits daran, dass sie stärker in der älteren Bevölkerungsgruppe vertreten sind. Andererseits gibt es physiologische und soziale Unterschiede: Frauen schwitzen weniger und verlieren weniger Wärme, außerdem kommt es zu einer zusätzlichen Belastung des Herz-Kreislauf-Systems durch Hitze, auch bedingt durch Größen- und Gewichtsunterschiede, die mit einer anderen Verteilung der Wärme im Körper zusammenhängen, wie eine umfassende niederländische Studie nahelegt. Hinzu komme, dass Frauen im höheren Alter zunehmend allein leben und niemanden haben, der sie daran erinnert, ausreichend zu trinken. Frauen seien außerdem aktiver im Alter und würden mehr Zeit im Freien verbringen als Männer, führen Schweizer Forscherinnen an.

Durch „unsere Definition von heiße Wochen“ – Wochen mit heißen Nächten und Verwendung der Temperatur (Tagesminimum) der heißesten Nacht dieser Woche als Referenzwert, sobald diese über 18 °C liegt – ließe sich die All-Ursachen-Mortalität am besten erklären, so Werner Windhager vom Fachbereich Risikokommunikation der AGES. In der Methode des zitierten Papers hingegen sei keine eigene Definition für Hitze eingegangen. Die Unterschiede in den Zahlen zur Übersterblichkeit ergeben sich kurzgefasst aus unterschiedlichen Definitionen von Hitze.

Anpassung rettet Leben

Das Team um Elisa Gallo aus Barcelona modellierte nun auch die Auswirkungen der hitzebedingten Sterblichkeit ohne Klimaanpassungsmaßnahmen. Dazu gehören zum Beispiel Verbesserungen in den Bereichen Gesundheitsversorgung, sozialer Schutz und Lebensstil, Fortschritte bei der Gesundheit am Arbeitsplatz und bei den baulichen Gegebenheiten, ein stärkeres Risikobewusstsein und wirksamere Kommunikations- und Frühwarnstrategien.

Wie das Forschungsteam schätzt, könnte die hitzebedingte Sterblichkeit 2023 in der Allgemeinbevölkerung ohne diese Maßnahmen wahrscheinlich um 80 Prozent und in der Bevölkerungsgruppe ab 80 Jahren um über 100 Prozent höher liegen. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass es in diesem Jahrhundert gesellschaftliche Anpassungsprozesse an die hohen Temperaturen gegeben hat, die die hitzebedingte Anfälligkeit und die Sterblichkeitslast der letzten Sommer drastisch reduziert haben, insbesondere bei älteren Menschen“, wird Erstautorin Gallo in einer Mitteilung dazu zitiert.

Die Forschenden betonen auch, dass die tatsächlichen Zahlen der hitzebezogenen Todesfälle womöglich um einiges höher liegen, als die Ergebnisse der Studie suggerieren. Da es keine täglichen, homogenen Aufzeichnungen zu Todesfällen in Europa gibt, seien keine exakten Analysen möglich. Unterschiede bei der Berechnung sind auch dafür verantwortlich, dass die Zahlen zu Hitzetoten zum Teil stark differieren – auch wenn sich die Auswirkungen von Hitzewellen prinzipiell gut in Zahlen fassen lassen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) etwa, die Anfang August vor einer steigenden Zahl an Hitzetoten in Europa warnte, geht davon aus, dass es in den Jahren 2000 bis 2019 jährlich etwa 489.000 hitzebedingte Todesfälle gegeben habe, darunter im Durchschnitt rund 176.000 pro Jahr in Europa. Im Laufe der vergangenen 20 Jahre habe die hitzebedingte Sterblichkeit um 30 Prozent zugenommen, hieß es.

Auch in Österreich weichen die Zahlen des Hitzemortalitäts-Monitoring der Ages (53 Fälle von hitzeassoziierter Übersterblichkeit im Jahr 2023, 231 Fälle im Jahr 2022) erheblich von den Schätzungen des Gesundheitsministeriums (rund 500 jährlich) ab. Zum Vergleich: Das deutsche Robert-Koch-Institut veröffentlicht einen „Wochenbericht zur hitzebedingten Mortalität“. Eine einheitliche Berichterstattung der hitzebedingten Übersterblichkeit auf europäischer Ebene gibt es nicht.

Menschen wurden weniger hitzeanfällig

Dazu passe, dass sich die minimale Sterblichkeitstemperatur – die optimale Temperatur mit dem geringsten Sterberisiko – seit dem Jahr 2000 im Durchschnitt des Kontinents allmählich erhöht habe, so Gallo, und zwar von 15 Grad Celsius im Zeitraum 2000 bis 2004 auf 17,7 Grad Celsius im Zeitraum 2015 bis 2019. „Dies deutet darauf hin, dass wir weniger hitzeanfällig sind als zu Beginn des Jahrhunderts, was wahrscheinlich auf den allgemeinen sozioökonomischen Fortschritt, die Verbesserung des individuellen Verhaltens und Maßnahmen des öffentlichen Gesundheitswesens wie die nach dem Rekordsommer 2003 durchgeführten Pläne zur Hitzeprävention zurückzuführen ist.“

Erst kürzlich hatte die gleiche Forschungsgruppe zudem mit „Forecaster.health“ ein Online-Frühwarnsystem vorgestellt, das für 580 Regionen in 31 europäischen Ländern Prognosen zum Sterberisiko im Zusammenhang mit Kälte und Hitze nach Geschlecht und Alter liefert. Das kostenlose Tool liefert Prognosen bis zu 15 Tagen im Voraus und basiert nicht nur auf meteorologischen Daten, sondern bezieht auch epidemiologische Modelle ein.

Service: Studie online: https://www.nature.com/articles/s41591-024-03186-1 – Online-Frühwarnsystem: https://forecaster.health/

Interaktive Karte zeigt Österreichs Hitzerisiko-Bezirke