Kategorie Innovation & Technologie - 29. Januar 2016
Mit der Mittagssonne abends fernschauen
Wien – Auf dem Dach des Green House befinden sich 738 Photovoltaikpaneele mit einer Gesamtfläche von mehr als 1200 Quadratmetern und einer Maximalleistung von 222 Kilowatt. Jährlich sollen sie 218.000 Kilowattstunden an Strom erzeugen, was etwa dem Verbrauch von 87 Haushalten entspricht. Tief unter der Erde in einem Raum hinter der Sammelgarage befinden sich mehrere kleiderkastengroße Batteriespeicher, die die Anlage ergänzen. Ihr verfügbarer Speicherinhalt beträgt 137 Kilowattstunden und könnte so einen Normalhaushalt zweieinhalb Wochen versorgen.
Zum Vergleich: Die günstigen Hausspeicher, mit deren Ankündigung der US-Hersteller Tesla Aufsehen erregt hat, sollen über eine Kapazität von sieben und zehn Kilowattstunden verfügen. Bei Sonne soll der Green-House-Speicher in nur einer Stunde aufgeladen sein.
In den Stockwerken zwischen der Solaranlage auf dem Dach und Batteriespeicher im zweiten Untergeschoß befindet sich ein Studentenheim mit 313 Wohneinheiten. Es ist seit knapp einem Jahr in Betrieb und längst „bummvoll“, wie die Betreiber sagen. Solarkraftwerk und Speicher, die von den Heimbetreibern (WBV-GPA, ÖJAB und ÖAD) von der Wien Energie gepachtet wurden, tragen dazu bei, den Energiebedarf des Gebäudes zu minimieren.
Bei entsprechendem Wetter soll der Netzbezug des Gebäudes bei null liegen oder sogar Überschüsse produzieren. Für die Betreiber ist es das „weltweit energieeffizienteste Wohnheim für Studierende“. Rechnerisch liege das Haus über das Jahr bei 20 Prozent unter der Nullenergie.
Das Green House ist eines von drei Gebäuden, über das im Rahmen eines mehrjährigen Forschungsprojekts der Aspern Smart City Research (ASCR) Daten gesammelt werden. Begonnen haben die Untersuchungen mit Jänner 2016. In 15 der Zimmer werden hier – mit Einverständnis der Bewohner – detaillierte Daten über Stromverbrauch, Wärmebedarf und Luftqualität im Zimmer aufgezeichnet. Das soll darüber Aufschluss geben, ob das tatsächliche Nutzerverhalten den Annahmen bei der Planung des Hauses mit seiner speziellen Ökotechnik entspricht.
Die Gesellschafter der ASCR sind neben der Wien Energie die Wiener Netze, Siemens, die Wien 3420 Aspern Development AG und die Wirtschaftsagentur Wien. Bis 2018 stehen der Forschungsgesellschaft insgesamt 38,5 Millionen Euro zur Verfügung. 3,7 Millionen kommen vom Klima- und Energiefonds.
Energiespartechnik
Die besondere Technik des Passivhauses besteht unter anderem aus CO2-Sensoren in den Zimmern, die mit der Lüftung gekoppelt sind, um immer die richtige Menge Frischluft zuzuführen. Wärmetauscher gewinnen einen Großteil der Wärme zurück. Mikrowellenherde, Dunstabzugshauben, Lüftungsventilatoren und andere Geräte wurden vor der Anschaffung auf ihren tatsächlichen Verbrauch getestet. Alle Standardgeräte sind verfügbar, bei mitgebrachten Geräten wollen die Betreiber die Bewohner aber „nicht bevormunden“. Mittlerweile würden Studierende ohnehin nicht mehr den „Fernseher von der Oma“ mitbringen, sondern allesamt am Notebook fernschauen.
Nicht nur die Nutzungsgewohnheiten der Studierenden, auch das „Verhalten“ des Wohnheims selbst soll evaluiert werden, so ASCR-Geschäftsführer Reinhard Brehmer. Die Solarmodule sind ost- und westseitig so angeordnet, dass über eine möglichst lange Zeitspanne am Tag Strom generiert wird. An wärmeren Tagen soll der tagsüber aufgeladene Batteriespeicher reichen, um trotz der hohen Dichte an Küchen (eine pro Wohneinheit) über die Nacht zu kommen. Das Zusammenspiel aus Erzeugung, Verbrauch und Speicherung wird beobachtet, um für künftige Smart-City-Projekte zu lernen. (pum, Der Standard, 29.1.2016)