Kategorie Innovation & Technologie - 9. Oktober 2024

Nationalpark Gesäuse wird zum Freiluftlabor für Klimaforschung

Wie geht es Quellen, Wald und Insekten unter neuen klimatischen Bedingungen? Eine neue Kooperation im Nationalpark Gesäuse soll Daten und Erkenntnisse liefern

Seit seiner Gründung im Jahr 2002 dient der Nationalpark Gesäuse als Refugium für bedrohte Arten. Außerdem wird in dem Schutzgebiet in der Steiermark seit seiner Errichtung 2002 naturwissenschaftlich geforscht, sowohl von dessen eigenen Forscherinnen und Forschern als auch von der Universität Graz. Nun wurde eine Vereinbarung zur Zusammenarbeit in den Bereichen Forschung, Lehre und Wissenstransfer unterzeichnet, die das Gesäuse und die Uni Graz auch offiziell miteinander verbindet. Die Forschungsergebnisse zielen vor allem darauf ab, besser zu verstehen, wie alpine Lebensräume auf Umweltveränderungen reagieren, allem voran auf den Klimawandel.

Die Etzbachquelle im Nationalpark Gesäuse ist, wie alle Quellen in diesem Gebiet, ein einzigartiger Lebensraum. © Uni Graz/Vilgut

Bereits seit langem werden die Quellen im Nationalpark Gesäuse – der unter anderem vom Klimaschutzministerium unterstützt wird – untersucht, allen voran die Etzbachquelle im Johnsbachtal. Sie zeichnet sich einerseits durch ein sehr überschaubares Einzugsgebiet und andererseits durch eine hochvariable Schüttung aus. Darunter versteht man jene Wassermenge, die innerhalb einer bestimmten Zeit austritt. Je nach Niederschlag kann sich diese bei der Etzbachquelle auf zwischen 40 und 800 Liter pro Sekunde belaufen.

Jede Quelle ein Ökosystem

Wie Forschende des Instituts für Erdwissenschaften der Universität Graz schon früher herausgefunden haben, liegt das daran, dass die Quelle aus zwei unterirdischen Reservoirs gespeist wird. Diese geben je nach Niederschlagsverhältnissen unterschiedlich viel Wasser frei. Die Nationalpark-Wissenschafter beschäftigen sich ihrerseits mit den tierischen Bewohnern der Quellen im Schutzgebiet. Die bisherigen Ergebnisse lassen vermuten, dass jede Quelle ihre eigene spezielle Lebensgemeinschaft hat und daher ein eigener Lebensraum ist, der mit dem Trockenfallen einer Quelle unwiderruflich verloren geht.

 

Die Messdaten fließen auch in ein seit 2007 bestehendes Projekt der Universität Graz ein – das vom Wegener-Center für Klima und Globalen Wandel betriebene WegenerNet. In der Südoststeiermark und im Johnsbachtal des Gesäuses werden dabei engmaschig Wetter- und Klimadaten erhoben. Im Gesäuse senden 17 Stationen alle zehn Minuten Daten zu Temperatur, Luftfeuchte, Niederschlag, Schneebedeckung, Wind, Strahlung und Luftdruck. An zwei weiteren Stellen werden Pegel und Wasserzustand des Johnsbachs aufgezeichnet.

Das Projekt, das bis zum Jahr 2100 ausgelegt ist, soll die nötigen Daten liefern, um Prognosen über die Entwicklung des alpinen Klimas zu ermöglichen. Dafür braucht es allerdings Messreihen von mindestens 20 bis 30 Jahren. Aus Daten älterer Stationen lässt sich aber schon jetzt sagen, dass die mittlere Sommertemperatur in den letzten 50 Jahren um rund drei Grad gestiegen ist.

KI erkennt Landschaftstypen

Die Zusammenarbeit im Rahmen der neuen Vereinbarung erfolgt mit zwei weiteren Instituten der Universität Graz, nämlich dem Institut für Geographie und Raumforschung und dem Institut für Biologie. Die ersten beiden Projekte spannen einen denkbar weiten Bogen: von Satelliten bis zu Blumenwiesen. In dem von der FFG finanzierten Projekt „Habitat Alp 2.0“, das von Manuela Hirschmugl vom Institut für Geographie und Raumforschung geleitet wird und mit nächstem Jahr startet, sollen Fernerkundungsdaten zum Einsatz kommen, um Veränderungen auf naturschutzrelevanten Flächen besser und schneller erkennen zu können.

Alexander Maringer vom Nationalpark Gesäuse und Christian Sturmbauer vom Institut für Biologie der Uni Graz filtern DNA aus einer Lösung. Diese gibt etwa Aufschluss darüber, welche Insekten sich in einem Gebiet tummeln. © Uni Graz/Vilgut

Dafür wird eine Künstliche Intelligenz darauf trainiert, einen bestimmten Landschaftstyp – etwa einen Buchen-Mischwald – auf Satellitenbildern zu erkennen. Diese stammen von einem Satelliten, der das Gesäuse alle zwei Wochen überfliegt. „Da das Gesäuse relativ klein ist und die Verhältnisse hier sehr gut dokumentiert sind, eignen sich die Flächen gut als Trainingsdatensätze für die KI“, erklärt Alexander Maringer, Kooperationsleiter auf Nationalparkseite. Hat die KI einmal die nötige Menge an Input, kann sie genauso gut auf viel größeren Flächen eingesetzt werden. So lassen sich rasch und mit verhältnismäßig geringem Aufwand Veränderungen – etwa durch den Klimawandel – auch auf sehr ausgedehnten Arealen feststellen.

Welche Insekten Blüten besuchen

Um die Artenvielfalt der Insekten geht es bei dem Projekt GeMonA+, das vom Biodiversitätsfonds des Klimaschutzministeriums gefördert wird. An dem Projekt sind Wissenschafterinnen und Wissenschafter von fünf österreichischen Universitäten und dem Naturhistorischen Museum Wien unter der Leitung von Christian Sturmbauer vom Institut für Biologie der Uni Graz beteiligt.

Um herauszufinden, welche Insektenarten auf den lokalen Wiesen Blüten besuchen, bedienen sich die Forschenden einer Doppelmethode: Einerseits werden die Insekten ganz klassisch in und um die Blumen herum gefangen und bestimmt. Andererseits werden die besuchten Blüten in destilliertem Wasser gewaschen und so diverse Rückstände gewonnen, die alle Lebewesen ständig hinterlassen, wie Haut- oder Flügelschuppen oder auch Ausscheidungen. Das darin enthaltene Erbgut nennt man Umwelt- oder eDNA.

Ökologische Abläufe besser verstehen

Umwelt-DNA kann mithilfe von molekularbiologischen Methoden und durch den Vergleich mit Referenzdatenbanken auch Aufschluss darüber geben, wer die Blüten besucht hat. Gegenüber herkömmlichen Methoden ist dieses Verfahren nicht nur deutlich weniger zeit- und kostenintensiv, sondern kommt auch ohne den Einsatz hochspezialisierter Expertinnen und Experten aus, deren Zahl ebenso wie die der Insekten im Rückgang begriffen ist.

Die Daten aus allen Projekten fließen auch in das EU-weit im Aufbau begriffene Monitoring-Netzwerk eLTER (Long Term Ecological Research) ein. Dabei werden ökologische Abläufe anhand langer Zeitreihen untersucht, um diese besser zu verstehen.

Susanne Strnadl / DerStandard