Kategorie Innovation & Technologie - 18. August 2016
Nie mehr vom Auto geblendet
„Jetzt arbeite ich schon seit 30 Jahren zum Thema Licht, und immer noch blenden die Scheinwerfer der entgegenkommenden Autos: Es muss doch möglich sein, Autoscheinwerfer sinnvoller zu gestalten.“ Das dachte sich Günther Conzatti vor einigen Jahren und begann zu basteln und tüfteln. Der Tiroler hat in Innsbruck bei Christian Bartenbach gelernt, dem Innsbrucker Beleuchtungstechniker mit Weltruf und Gründer der Lichtakademie Bartenbach in Tirol. „Das Thema Licht ist so komplex, dass man es nicht in einer einzigen Studienrichtung erfassen kann: Ursprünglich bin ich Elektroingenieur. Doch wir beschäftigen uns immer mit Mathematik, Physik, Architektur, Psychologie und Medizin, um Licht und die visuelle Wahrnehmung des Menschen besser zu verstehen“, sagt Conzatti.
Den Gegenverkehr nicht stören
Nach einiger Tüftelei fand er tatsächlich eine physikalische Lösung, wie man das Licht der Autoscheinwerfer so bündeln kann, dass es 200 Meter weit die Straße ausleuchtet, aber trotzdem die entgegenkommenden Autofahrer nicht blendet. Die Technologie beruht auf LED-Leuchtmitteln und einem System aus optischen Einheiten und Reflektoren. Genaue Details kann der Erfinder nicht preisgeben, da seine junge Firma bereits in Verhandlungen mit der Automobilindustrie ist und er das Betriebsgeheimnis wahren muss.
Conzatti gründete gemeinsam mit dem Maschinenbauer und Wirtschaftsingenieur Marco Tscherner 2015 die Firma SL Technology mit Hauptsitz in Innsbruck und einem Office in Linz. Eine PreSeed-Finanzierung der Austria Wirtschaftsservice, AWS, half bei der Umsetzung des Unternehmens. „Innsbruck wird der Produktionsstandort für den blendfreien Autoscheinwerfer sein. Das Produktionsverfahren haben wir selbst entwickelt“, sagt Tscherner.
Als Testfahrer war Conzatti selbst im Einsatz: Seine Erfindung hatte er im Labormaßstab bald getestet und rüstete dann sein eigenes Fahrzeug um. „Meine Beifahrer warnten mich jedes Mal nach wenigen Minuten Fahrt auf der Straße, dass ich doch das Abblendlicht einschalten sollte und nicht durchgehend das Aufblendlicht anlassen darf“, erzählt Conzatti. Doch er wies die Mitfahrer darauf hin, dass die entgegenkommenden Fahrer durch sein Lichtsystem nicht geblendet werden: „Kein Einziger von der Gegenfahrbahn hat je aufgeblendet, wie man es doch macht, um jemandem zu verstehen zu geben, dass er das Aufblendlicht eingeschaltet hat.“
Über 6000 Kilometer ist Conzatti mit den neuen Scheinwerfern gefahren, die kein Licht über die Horizontalebene abstrahlen. Das bedeutet, dass alles Licht unterhalb der Motorhaube bleibt und somit die Straße schön gleichmäßig ausgeleuchtet wird.
„Damals wurde der Flughafen Stuttgart ausgebaut, und ich war als Lichtplaner beschäftigt. Da viele meiner Arbeiten wie etwa Kontrollen des Lichtsystems in der Nacht zu erledigen waren, bin ich regelmäßig in der Dunkelheit auf der Autobahn wieder nach Tirol heimgefahren“, erzählt Conzatti. „Bei späteren Fahrten auf derselben Strecke habe ich gemerkt, dass die Ermüdung mit meinem System viel geringer war. Die einheitliche, stabil ausgeleuchtete Straße hilft der Aufmerksamkeit enorm.“
Hin- und Herschalten ermüdet
Das ewige Hin- und Herschalten zwischen Auf- und Abblendlicht ist auch als Tätigkeit ermüdend, wie Autofahrer von Nachtfahrten wissen. „Am schlimmsten ist es für Berufsfahrer: Wer Tag und Nacht stundenlang unterwegs ist, würde profitieren, wenn die Ausleuchtung der Straße stabil ist und man nicht ständig umschalten muss“, sagt Conzatti. Daher konzentriert man sich für den Markteintritt in spätestens zwei Jahren auf den Nutzfahrzeugsektor für Berufskraftfahrer, also Scheinwerfer für Lkw, Kleintransporter und Bus.
Die Patente für die blendfreien Scheinwerfer gelten weltweit, SL Technology will von Österreich aus dann auch den großen Pkw-Markt angehen. Denn die Pkw-Tests hat Conzatti als Testpilot ohnehin selbst absolviert: „Eine Situation werde ich nie vergessen. Ich war auf der deutschen Autobahn mit über 170 km/h unterwegs. Da lag in der Nacht ein Reh auf der Fahrbahn: Mit einem herkömmlichen Abblendlicht hätte ich es zu spät gesehen, aber mit meinem Lichtsystem konnte ich rechtzeitig ausweichen.“ (von Veronika Schmidt, Die Presse)