Kategorie Innovation & Technologie - 13. März 2017
Reagieren, bevor ein Unfall passiert
Wird das Fluchen der Autofahrer auch über Audiosensoren gemessen? Nein, so detailliert wird nicht aufgezeichnet. Doch es gibt genug akustische Hinweise, wenn fast ein Unfall passiert: Hupen, Reifenquietschen, Motorheulen.
Ein Projekt der Joanneum Forschungsgesellschaft will Hinweise auf Beinahe-Unfälle wissenschaftlich nutzen. Auch Videokameras werden eingesetzt, um an kritischen Kreuzungen zu bewerten, in welchen Situationen das Gefährdungspotenzial steigt. Bei vier Kreuzungen im Raum Graz und Kärnten werden in diesem Projekt Testmessungen durchgeführt, um Konflikte greifbar zu machen.
„Derzeit werden Inspektionen zur Straßensicherheit bei bestehenden Verkehrsbereichen erst dann gemacht, wenn Unfälle bereits passiert sind“, berichtet Helmut Neuschmied, Informatiker an der Joanneum Research in Graz. Gemeinsam mit Forschern der slowakischen Universität Žilina und Verkehrsexperten der Unternehmen Siemens und Planum entwickelt er Ansätze, wie man die Sicherheit an Verkehrsknotenpunkten und Straßenabschnitten erhöhen kann – noch bevor es zu Personenschäden kommt.
Heute müssen Straßensicherheitsinspektoren noch Unfallberichte studieren, in Zukunft könnten sie auf statistisch ausgewertete Daten zugreifen, die klarmachen, welche Verkehrsteilnehmer wann besonders gefährdet sind. „Das Ziel ist, mit Hilfe von Audio- und Videosensoren Kategorien für das Gefährdungspotenzial zu finden“, so Neuschmied. Als Beispiel für den erfolgreichen Einsatz von automatisierten Audiosensoren nennt er die Tunnelüberwachung, die ebenfalls von der steirischen Forschungsgesellschaft entwickelt wurde und in Autobahntunnels in Österreich bereits im Einsatz ist.
Unfälle und Beinahe-Unfälle im Tunnel können durch Geräusche von zufallenden Autotüren erkannt werden oder durch einen erhöhten Lärmpegel von sprechenden Personen. An einer Kreuzung ist dies schwieriger zu messen, da die Umgebungsgeräusche vielfältiger sind: Die Herausforderung ist jetzt, Geräusche, die auf Unfälle und brenzlige Situationen hinweisen, herauszufiltern und sie statistisch erfassbar zu machen.
Audio- und Videosysteme
„Für die Videokameras muss man erhöhte Positionen wählen, um einen großen Bereich abdecken zu können. Hier ist die Herausforderung, aus verschiedenen Perspektiven und Entfernungen die unterschiedlichen Verkehrsteilnehmer und Bewegungsgeschwindigkeiten automatisch auszuwerten, um Häufungen von Konfliktsituationen und Konfliktorten zu erkennen“, sagt Neuschmied.
Beschleunigungen und Bremsvorgänge werden ebenso auswertbar gemacht wie Abstände und Bewegungspfade, sei es von Autos, Straßenbahnen, Radfahrern oder Fußgängern.
Auch in dem Bereich gibt es Erfahrung im Team, etwa aus Videosensoren, die Geisterfahrer auf Autobahnen automatisch erkennen oder Videosystemen, die auf Großveranstaltungen Personenströme überwachen. Sie melden, wenn etwa Fluchtwege versperrt sind oder es zu anderen Gefahren in einer Menschenmasse kommt.
Das aktuelle Projekt ist im Oktober 2016 gestartet, unterstützt vom Programm „Mobilität der Zukunft“ des Technologieministeriums, und läuft für zwei Jahre. Ein Augenmerk liegt bei der Sicherheitsfrage natürlich auch auf den „Vulnerable Road Users“, also den Leuten, die ungeschützt am Verkehr teilnehmen wie Fußgänger oder meist auch Radfahrer.
Begegnungszone oder Ampel?
Die Testgebiete konzentrieren sich auf ganz unterschiedliche Szenarien: eine Begegnungszone, Kreuzungen mit Ampeln und ungeregelte Kreuzungen.
Werden alle Bewegungen und gefährlichen Situationen automatisch erfasst, kommt man zu viel mehr Daten als durch bisherige manuelle Methoden, wenn einzelne Beobachter das Geschehen analysieren. So könnten die neu entwickelten Algorithmen in Verbindung mit Informationen zur Ampelschaltungen und zur Wetterlage in Zukunft selbst erkennen, wenn eine Situation gefährlich wird. Diese Daten bilden Entscheidungsgrundlagen, ob Verkehrsplaner dann Grünphasen für Autos verkürzen oder verlängern, für Fußgänger eine Überführung errichten oder durch andere bauliche Maßnahmen eine neue Wegführung vorgeben. (Von Veronika Schmidt, Die Presse)