Kategorie Klima- & Umweltschutz - 10. Juni 2024

Das sind die Fakten zum EU-Renaturierungsgesetz

Mit der EU-Verordnung zur Wiederherstellung degradierter Ökosysteme sollen in der EU bis zum Jahr 2050 geschädigte Ökosysteme und Lebensräume in einen guten Zustand versetzt werden

Intakte Ökosysteme sind die Lebensgrundlage für unsere Gesellschaft. Sie sind für den Erhalt unseres Wohlstands und unseres Wohlbefindens essenziell. Sie tragen zum Erhalt der biologischen Vielfalt bei, sind für den Klimaschutz wichtig, da sie in der Regel Kohlenstoffsenken darstellen, regulieren den Wasserhaushalt und sind Basis für nachhaltige Lebensmittel und Rohstoffe. Darüber hinaus bieten sie Schutz vor Naturgefahren und Extremereignisse, die durch den Klimawandel verursacht immer intensiver und häufiger werden. Intakte Lebensräume stellen auch wertvolle Erholungsräume dar, die für die nächsten Generationen erhalten werden sollen.

© lena adelmann/unsplash

Die Lebensräume in Europa sind allerdings gefährdet, mehr als 80 Prozent der geschützten Lebensräume sind in schlechtem Zustand. Nicht nachhaltiges Wirtschaften und Konsumieren und damit verbunden ein massiver Ressourcenverbrauch und Schadstoffeinträge setzen unsere Lebensgrundlage zunehmend unter Druck und bringen damit unseren Wohlstand in Gefahr. Ohne intakte Lebensräume ist keine Anpassung an den Klimawandel möglich, Klimaschutz wird erheblich schwieriger und das Artensterben kann nicht eingedämmt werden.

Die geplante EU-Verordnung zur Wiederherstellung degradierter Ökosysteme sieht deshalb vor, dass künftig mehr Wälder aufgeforstet, Moore wiedervernässt und Flüsse in ihren natürlichen Zustand versetzt werden. Damit sollen gleichzeitig die Leistungen, die eine intakte Natur für die Menschen erbringt, erhalten werden – fruchtbare Böden, Trinkwasserversorgung, Bestäubung, Schutz vor Naturgefahren sowie Freizeit und Erholung. Letztendlich geht es darum, die vom Menschen versursachten Schäden an der Natur zu reparieren und damit unsere Lebensrundlage zu bewahren.

Das ist der aktuelle Stand zur EU-Verordnung

Die EU-Kommission hat im Jahr 2022 einen Vorschlag für eine Verordnung zur Wiederherstellung geschädigter bzw. degradierter oder zerstörter Ökosysteme vorgelegt. Die Verordnung verpflichtet die EU-Mitgliedsstaaten, diese Ökosysteme schrittweise wieder in einen guten ökologischen Zustand zu bringen. Die geplanten Maßnahmen sollen zum Schutz und zur Erhaltung der biologischen Vielfalt beitragen, den Klimaschutz positiv beeinflussen und die Resilienz der Ökosysteme gegenüber Naturkatastrophen erhöhen.

Die Grundlage für die Verordnung bildet eine Reihe bereits existierender Konzepte und Regelungen wie der EU-Green Deal, die EU-Biodiversitätsstrategie 2030, die Fauna-Flora-Habitat- und Vogelschutz-Richtlinie, die Wasserrahmen-Richtlinie und die Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie. Die Verordnung umfasst aber auch jene Ökosysteme, die bisher von keiner Regelung erfasst waren, wie Wirtschaftswälder, städtische Grünräume und landwirtschaftliche Ökosysteme.

Der EU-Umweltrat hat am 20. Juni 2023 einen ersten Kompromiss erzielt. Nach einer Reihe von weiteren Änderungsvorschlägen hat das Europäische Parlament am 27. Februar 2024 für das Gesetz zur Wiederherstellung degradierter Ökosysteme gestimmt. Im Rahmen des europäischen Gesetzgebungsverfahrens muss nun der Rat der EU dem Standpunkt des EU-Parlaments zustimmen. Derzeit laufen diesbezügliche Verhandlungen.

Der belgischen Ratsvorsitz hatte das Renaturierungsgesetz Ende März beim Rat der EU-Umweltministerinnen kurzfristig von der Agenda genommen, als sich vor der finalen Absegnung des Gesetzes keine qualifizierte Mehrheit (mindestens 55 Prozent der Mitgliedsländer, die zudem mindestens 65 Prozent der Bevölkerung der Union repräsentieren, Anm.) abzeichnete.

Österreich, das sich bisher enthalten hat, könnte eine entscheidende Rolle spielen, falls das Thema beim nächsten EU-Umweltrat am 17. Juni in Luxemburg erneut auf die Agenda gesetzt wird. Klimaschutzministerin Leonore Gewessler hat mehrfach angekündigt, alles dafür zu tun, das europäische Gesetz durchzubringen, falls sie nicht mehr durch eine „Einheitliche Länderstellungnahme“ der Bundesländer gebunden wäre. So betonte sie etwa in der ZIB2, dass sie in diesem Fall auch gegen den Willen des Koalitionspartners ÖVP im EU-Umweltrat für das Renaturierungsgesetz stimmen wird. Dabei ist es nach wie vor fraglich, ob die jüngsten Bekundungen von Wien und Kärnten, die alte Stellungnahme nicht mehr zu unterstützen, rechtlich für eine Aufhebung ausreichend sind.

Ziele und Zeitplan

Mit der EU-Verordnung zur Wiederherstellung degradierter Ökosysteme sollen in der EU bis zum Jahr 2050 geschädigte Lebensräume in einen guten Zustand versetzt werden. Den Fahrplan dafür sollen die Mitgliedstaaten in nationalen Wiederherstellungsplänen erstellen.

Die wichtigsten Inhalte

Von Agrarlandschaften, über Grünflächen, Gewässer bis Wälder – viele unterschiedliche Lebensräume werden von der geplanten EU-Verordnung erfasst.

Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustands

Für die FFH-Lebensraumtypen in schlechtem Erhaltungszustand sind Maßnahmen vorgesehen, um bis 2050 eine ausreichende Fläche in gutem Zustand für einen langfristigen Fortbestand der Lebensraumtypen und ihrer Artengesellschaften zu erreichen.

Die umzusetzenden Maßnahmen beziehen sich einerseits auf das Ziel der Verbesserung von Flächen in schlechtem Zustand (bis 2030 sind Maßnahmen auf 30 Prozent der Flächen in schlechtem Zustand zu setzten, bis 2040 auf 60 Prozent und bis 2050 auf 90 Prozent) und anderseits auf die Wiederanlage von Flächen (bis 2030 sind Maßnahmen zur Wiederanlage auf 30 Prozent der notwendigen Flächen zu setzten, bis 2040 auf 60 Prozent und bis 2050 auf 100 Prozent).

Zusätzlich sind Maßnahmen für die Wiederherstellung und Verbesserung von Habitaten von Arten der FFH- und Vogelschutz-Richtlinie zu treffen, damit für diese eine ausreichende Quantität und Qualität erreicht wird.

Die erforderlichen Maßnahmen können bis 2030 hauptsächlich in den ausgewiesenen Natura 2000-Gebiete stattfinden.

Mehr Schutz für Grünflächen, Gewässer und Insekten

  • Bis 2030 soll kein Nettoverlust der Grünflächen in Siedlungsgebieten stattfinden; danach muss eine Zunahme der städtischen Grünflächen erfolgen. Bezugsgebiet dafür ist das gesamte Bundesgebiet, das heißt es gibt Flexibilität für einzelne Siedlungsgebiete.
  • Von geschädigten Gewässern sollen bis 2030 EU-weit mindestens 25.000 Flusskilometer in frei fließende Flüsse rückgewandelt werden. Dafür sind jene Barrieren wie Staudämme und Längsverbauungen zu entfernen, die nicht für die Produktion erneuerbarer Energie, für die Binnenschifffahrt, die Wasser-Bereitstellung, oder den Hochwasserschutz benötigt werden.
  • Auch die natürliche Bestäubung durch Insekten soll verbessert werden: Bis 2030 soll der Rückgang der Bestäuber-Insekten aufgehalten werden um in weiterer Folge eine positive Entwicklung dieser Arten zu erreichen.

Mehr Vielfalt in den Agrarlandschaften

Mit weiteren Maßnahmen soll die biologische Vielfalt in Agrarlandschaften verbessert werden. Dazu ist ein Aufwärtstrend bei mindestens zwei der folgenden drei Indikatoren zu erreichen: Grünland-Schmetterlingsindex, Menge an organischem Kohlenstoff in Ackerböden, Anteil der landwirtschaftlichen Flächen mit vielfältigen Landschaftselementen.

Mehr Vielfalt in den Wäldern

Auch die biologische Vielfalt in den Wäldern nimmt in der Verordnung einen hohen Stellenwert ein. Auf nationaler Ebene ist bis 2030 ein Aufwärtstrend beim Index häufiger Waldvogelarten und von mindestens sechs der nachfolgenden sieben Indikatoren bis 2030 zu erzielen:

1. stehendes, 2. liegendes Totholz, 3. Anteil der Wälder mit uneinheitlicher Altersstruktur, 4. Waldvernetzung, 5. Bestände an organischem Kohlenstoff, 6. Anteil der Wälder mit überwiegend heimischen Baumarten, 7. Vielfalt der Baumarten

Der Versuch, das EU-Renaturierungsgesetz doch noch unter der belgischen Ratspräsidentschaft zu beschließen, erhält dabei aber auch Rückenwind seitens der Wirtschaft. Über 50 Unternehmen und Unternehmensverbände, die in Belgien und in der gesamten EU tätig sind, mit einem Brief an den belgischen Premierminister Alexander de Croo und Umwelt- und Energieminister Alain Maron gewandt. Darin ersuchen sie, die endgültige Verabschiedung des Gesetzes sicherzustellen.

In ihrer Argumentation widersprechen sie dabei der gängigen Kritik der konservativen Gegner des an sich ausverhandelten Gesetzes zur Wiederherstellung der Natur, das nur noch vom Rat gebilligt werden muss: „Die großflächige Wiederherstellung von Lebensräumen, ihren Arten und den vielfältigen Ökosystemleistungen, von denen wir alle profitieren, wird letztlich dazu beitragen, die Klimakrise zu bewältigen, unsere langfristige Nahrungsmittel- und Wassersicherheit zu gewährleisten sowie Arbeitsplätze zu schützen und neue zu schaffen. Sie wird uns helfen, Arbeitsplätze, die Grundlagen der Wirtschaftstätigkeit und die Sektoren zu erhalten, die auf gesunde Ökosysteme angewiesen sind.“

„Mehr als 50 Prozent der Weltwirtschaft bzw. des globalen BIP sind in hohem oder mittlerem Maße von der Natur abhängig. Wir, die Unternehmen, brauchen die natürlichen Ressourcen und Ökosystemleistungen, die jetzt durch den Verlust der biologischen Vielfalt und den Klimawandel bedroht sind. Wenn wir nicht handeln, wird dies zu kostspieligen Unterbrechungen der Lieferketten, geringerer Produktivität und höheren Betriebskosten führen“, heißt es in dem Appell, der u.a. von Coca Cola Europe, der H&M Group, Spar oder Velux unterzeichnet wurde. „Die Wiederherstellung der Natur kann die langfristige Nachhaltigkeit der Unternehmen gewährleisten und die Ressourcen erhalten, von denen viele unserer Wirtschaftstätigkeiten abhängen.“ Eine Folgenabschätzung der Europäischen Kommission habe ergeben, „dass für jeden in die Wiederherstellung der Natur investierten Euro 8 bis 38 Euro gewonnen werden, und zwar durch den Klimaschutz, die Verhütung und Verringerung von Naturkatastrophen, die Verbesserung der Wasserqualität, sauberere Luft, gesündere Böden und die Steigerung des allgemeinen Wohlbefindens der Menschen“.

Laut der Naturschutzorganisation WWF, die diesen Brief den Medien zugänglich gemacht hat, handelt sich um eine Folgeinitiative zu der im vergangenen Jahr von über 100 großen Unternehmen unterzeichneten Erklärung, in der die Mitgliedstaaten aufgefordert werden, das lang erwartete Gesetz zu verabschieden. Vor diesem Hintergrund hat auch der WWF einen Faktencheck zu den häufigsten Vorhalten zur EU-Verordnung erarbeitet.

SERVICE: Die finale Fassung des Renaturierungsgesetzes in deutscher Sprache