Kategorie Innovation & Technologie - 18. April 2016
Spielend in Schwung bleiben
Man verbindet Soziologie nicht automatisch mit Spiel und Spaß. Doch beides können Methoden sein, um unser Verhalten zu beeinflussen und Menschen zu bestimmten Aktivitäten zu motivieren. Das will Anna Wanka. Die Soziologin arbeitet im Forschungsbereich Alter und Lebenslauf am Institut für Soziologie der Uni Wien. Was interessiert eine junge Wissenschafterin am Alter?
„Das, was wir traditionell als Alter beschreiben – körperlicher und geistiger Abbau, Isolation, Krankheit, Tod – verschiebt sich durch die höhere Lebenserwartung nach hinten“, sagt Wanka. „Es entsteht ein Lebensabschnitt, der nicht mehr in die Erwerbsphase fällt, in dem man aber noch nicht alt im klassischen Sinn ist.“ Das Projekt, an dem Wanka mitarbeitet, widmet sich diesem Dazwischen.
Thema Datenmissbrauch
Es trägt den Titel EnterTrain – der Begriff verbindet „Entertainment“ und „Training“. Ziel ist es, dass Menschen ab 65 Jahren, die bereits körperlich eingeschränkt und auf Unterstützung wie mobile Pflege angewiesen sind, mithilfe neuer Technologien ihre körperlichen und kognitiven Fähigkeiten ausbauen. Das soll mithilfe einer virtuellen Spieleplattform gelingen, die Training mit digitalem Spielen verbindet.
Die Plattform passt sich automatisch und kontinuierlich den Fähigkeiten und Vorlieben der Benutzerinnen und Benutzer an, ist also lernfähig. „Das Spiel wächst in seiner Schwierigkeit mit den Benutzerinnen und Benutzern mit und wird einfacher, wenn mit der Zeit etwa die Mobilität nachlässt“, erklärt Wanka. Das funktioniert mithilfe eines 3-D-Sensors: Er erfasst die Fähigkeiten der Spielenden während des Spiels.
Birgt aber, was da recht spielerisch daherkommt, nicht die Gefahr des Datenmissbrauchs? Immerhin werden beim Spielen relevante Gesundheitsdaten erhoben und erfasst. Wanka: „Wir achten stark darauf, alle ethischen Richtlinien einzuhalten und werden dabei von der Ethikkommission geprüft.“ Der Sensor speichere beispielsweise keine Bilder, sondern nur Bewegungen; die Daten werden nicht im System gespeichert, sondern sofort verschlüsselt und vor Ort ausgewertet.
Reaktionen auf Technologie
Was hat all das nun mit Soziologie zu tun? Die Forschenden interessiert, wie ältere Menschen reagieren, wenn sie mit Neuem konfrontiert werden und sich Veränderungen in Gang setzen. Was passiert, abgesehen von mehr Gesundheit, wenn eine neue Technologie ins Haus kommt? Wie reagieren Angehörige, Pflegekräfte? Entstehen neue soziale Beziehungen oder verfestigen sich bestehende? Spielen die Senioren eher mit den Enkelkindern oder schaffen sich ein Smartphone an, weil sie die Scheu vor neuen Technologien abgelegt haben?
Die Frage, wie man ältere Menschen zu mehr Bewegung bringen kann, ist aus mehreren Gründen wichtig: In Österreich wird im Jahr 2030 ein Viertel der Bevölkerung älter als 65 sein. Diese Entwicklung beeinflusst mehrere Gesellschaftsbereiche: Immer mehr alte Menschen werden allein ohne Familienanschluss leben und auf Pflege angewiesen sein. Man weiß heute, dass Bewegung der Lebensqualität bis ins hohe Alter zuträglich ist, weil das Risiko für chronische Erkrankungen sinkt, Depressionen und Stürze seltener, Knochen und Gelenke stärker werden. Außerdem macht regelmäßige Bewegung Menschen mobiler – also unabhängiger.
Bevölkerung soll sich beteiligen
Das Projekt EnterTrain entstand im Rahmen des EU-Forschungsprogramms AAL (Active and Assisted Living) für aktives und unterstütztes Leben, das von österreichischer Seite vom Verkehrsministerium unterstützt wird, und läuft bis März 2019. „In der ersten Phase werden mittels Fragebogen und Fokusgruppen die Bedürfnisse und Wünsche der älteren Generation ermittelt und es wird analysiert, ob eine Spieleplattform akzeptiert oder abgelehnt wird – und warum“, sagt Wanka. Danach soll das Modell in Feldtests auf Benutzerfreundlichkeit geprüft und die Auswirkungen auf die Gesundheitsparameter und das allgemeine Wohlbefinden erforscht werden. Neben dem Institut für Soziologie sind u. a. Kollegen von der Technischen Universität Wien am Projekt beteiligt, die Koordination übernimmt die Firma CogVis.
Beteiligung erhofft man sich auch aus der Bevölkerung: EnterTrain versteht sich als Citizen-Science-Projekt, soll also mithilfe von Laien und Betroffenen durchgeführt werden. Wanka: „Wir kooperieren in Österreich und den Niederlanden mit Organisationen, die direkten Kontakt zu älteren Menschen haben, in Österreich ist das der Samariterbund.“ Durch ihn sollen Personen angesprochen werden, die noch zu Hause leben und mobil sind, aber bereits mobile Pflege in Anspruch nehmen. Die Mitarbeit ist ehrenamtlich. (Lisa Mayr, 18.4.2016)
Frauen und Männer ab 65 Jahren, die die Spieleplattform testen möchten und zu Hause leben, können sich bei Viktoria Quehenberger melden – entweder per Post, Telefon oder elektronisch beim: Institut für Soziologie, Rooseveltplatz 2, 1090 Wien, Tel.: 01/42 77-49240