Kategorie Innovation & Technologie - 7. August 2015
Tourenplanung für Fortgeschrittene
Verkehrsstaus, kurzfristige Aufträge, spontane Absagen: Der Transport von Patienten zu Behandlungen und wieder retour ist eine logistische Herausforderung. Als Zivildiener erlebte Karl F. Dörner, Experte für Computational Logistics an der Universität Wien, wie schwierig die Tourenplanung beim Patiententransport ist. Seine Erfahrungen im Generalsekretariat des Roten Kreuzes stießen eine Forschungsfrage an, zu der er jahrelang forschte. „Dabei fragte ich mich, ob Algorithmen dazu beitragen können, den Patiententransport effizienter zu gestalten und gleichzeitig die Zufriedenheit zu erhöhen“, erinnert sich Dörner.
Das Besondere daran war und ist die Dynamik dieser logistischen Aufgabe. Aus der Idee ging eine Reihe von Forschungsprojekten und Dissertationen hervor. Gemeinsam mit Richard F. Hartl und Michael Schilde bereitete der Grundlagenforscher den Boden und das theoretische Fundament für Forschende im In- und Ausland. Zuletzt erschienen Publikationen im „European Journal of Operational Research“ (2014) oder in „Computers & Operations Research“ (2011).
Das Dial-a-Ride-Problem stand dabei oft im Forschungsmittelpunkt. Damit ist kurz gesagt gemeint, dass bei einer Tourenplanung nicht nur die kostengünstigste Fahrtroute berechnet, sondern auch die Dienstleistungsqualität erhalten bleiben soll. Mittels mathematischer Berechnungen gelangten die Forscher schließlich zur Beschreibung eines Programms. „Mit dem Dial-a-Ride-Problem beim Patiententransport befassen sich relativ wenige Wissenschaftler. Unsere Ergebnisse zum statischen Patiententransport sind heute international State of the Art“, betont Dörner.
Doch was ist der Unterschied zwischen Statik und Dynamik im Patiententransport? Ein Erklärungsversuch: Weiß man, dass eine bestimmte Zahl an Patienten zum Zeitpunkt X von A nach B und zum Zeitpunkt Y von B nach A gebracht wird, ist es eine statische Logistikaufgabe.
Erfahrungswissen hilft bisher
Im Alltag sind Patiententransporte sehr dynamisch, da sich wegen des Faktors Mensch ständig etwas verändert. Um zu einer praxistauglichen Lösung für die Tourenplanung zu gelangen, müssen somit nicht nur die Dynamik, sondern auch Unsicherheiten mit berücksichtigt werden.
Angesichts des Umfangs der Transportanfragen und der Vielzahl an Start- und Zielorten ergibt sich eine hochkomplexe Logistikaufgabe. Diese wird in der Praxis von sogenannten „Dispatchern“, die bei Rettungsorganisationen für den optimalen Einsatz der vorhandenen Ressourcen verantwortlich sind, gelöst. „Aus Sicht des Logistikers ist der Patiententransport mit vielen Unsicherheiten verknüpft, die schwierig zu modellieren sind“, ergänzt Dörner, der Professor für Production and Operations Management with International Focus am Department of Business Administration der Uni Wien ist. Dispatcher lösen das Problem, indem sie auf ihr Erfahrungswissen zurückgreifen.
Ist es möglich und sinnvoll, die Dispatcher durch Optimierungsalgorithmen zu unterstützen? Auf Wissenschaftler in dieser angewandten Forschung kommen eben gleich zwei Herausforderungen zu: die hohe Dynamik und zig Unsicherheiten. Um Unsicherheit besser planbar zu machen, behelfen sich Mathematiker mit der Stochastik, sprich der Analyse zufallsabhängiger Ereignisse und deren Wert für statistische Untersuchungen. „Für einen praxistauglichen Optimierungsalgorithmus, wie wir ihn entwickeln, benötigen wir historische Daten, etwa zu Reisezeiten. Unser Kooperationspartner im Forschungsprojekt Health Log, der Wiener Samariterbund, hatte in dieser Hinsicht schon viel erfasst“, berichtet die Informatikerin Ulrike Ritzinger vom Mobility Department des Austrian Institute of Technology (AIT).
Im Rahmen des dreijährigen FFG-Projekts entwickelte das Team ein Webservice, das die Tourenplanung der Dispatcher unterstützen soll. Um für das stochastische Problem eine Lösung zu finden, zogen die Forscher nicht nur die historischen Daten der Rettungsorganisation heran, sondern nutzten auch einen Router am AIT, mit dem sich die Reisezeiten innerhalb Wiens abschätzen lassen. Im Oktober 2012 wurde das dreijährige FFG-Projekt abgeschlossen. Ritzinger forscht im Rahmen ihrer Dissertation jedoch weiter an dem Thema Patiententransport. Neben dem Dynamikproblem geht sie dabei auch der Frage nach, welche stochastischen Daten die Lösungsqualität tatsächlich verbessern und welche nicht. Hat man nämlich zu viele, beziehungsweise irrelevante Daten, steigt die Rechenzeit, was das Ergebnis nicht unbedingt positiv beeinflusst.
Test auf Praxistauglichtkeit
Das Webservice wurde von den Dispatchern auf seine Praxistauglichkeit hin getestet und evaluiert. Manche Tourenvorschläge erhöhten zwar nicht die Effizienz, zeigten allerdings Datenlücken auf. So mangelte es etwa an Daten dazu, wie lang man in den verschiedenen Krankenhäusern in Wien braucht, um Patienten an den Zielort zu bringen.
„Inzwischen wissen wir, welche Daten relevant sind“, ergänzt Ritzinger, die erforscht, „welcher Detaillierungsgrad dabei Sinn hat.“
Einen praxistauglichen Tourenplan für den Patiententransport zu entwickeln ist zwar ein langwieriger Prozess, aber es geht voran. Bis eine geeignete Software oder gar ein User-Interface zur Verfügung steht, wird aber noch Zeit vergehen. Wenn schon ein Tourenplan, dann sollte er laut Dörner „robust sein, und die klientenzentrierten Ziele wie Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit und möglichst kurze Wartezeiten müssen gewahrt bleiben“. In der Zwischenzeit werden Dispatcher weiterhin auf ihre Erfahrung bauen und so jene Fahrtroute wählen, von der alle am meisten profitieren.
(Von Sonja Burger, Die Presse)