Kategorie Klima- & Umweltschutz - 15. April 2024

Die Überhitzung der Meere hat tief greifende Folgen – auch für Österreich

Die Ozeane sind viel wärmer als je zuvor, und niemand weiß, warum. Die Folgen sind verheerend – auch für das Wettergeschehen in Österreich

Gute Nachrichten kann Samantha Burgess selten überbringen. Doch was die Vizechefin des EU-Klimawandeldiensts Copernicus am Montag zu berichten hatte, sprengte sogar den Rahmen der inzwischen regelmäßigen Negativrekorde aus der Klimaforschung: In den vergangenen zwölf Monaten durchbrach die globale Durchschnittstemperatur erstmals die 1,5-Grad-Grenze im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter. Auch bei den Meeren werden seit nunmehr einem Jahr Monat für Monat höhere Temperaturen registriert als je zuvor in der Messgeschichte. Besonders besorgniserregend daran ist: Die sprunghafte Erwärmung der Ozeane war nicht von den Klimamodellen vorhergesagt worden, und bis heute tappen Fachleute im Dunkeln, wie sie zu erklären ist.

Die sprunghafte Erwärmung der Weltmeere gibt Fachleuten Rätsel auf. © Silas Baisch/Unsplash

„Die globale Durchschnittstemperatur ist die höchste seit Beginn der Aufzeichnungen, wobei die letzten zwölf Monate um 1,58 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau lagen“, berichtete Burgess. Sowohl an Land wie auch in den Meeren wurde von April 2023 bis März 2024 jeden einzelnen Monat ein nie dagewesener Temperaturrekord für den jeweiligen Monat erreicht. Dass es an Land viel zu warm ist, ist nachvollziehbar: Die globalen Konzentrationen von Kohlenstoffdioxid, Methan und Lachgas sind im Jahr 2023 weiter auf Höchststände geklettert. Anders ist das bei den Ozeantemperaturen, denn deren zuletzt deutlich beschleunigte Erwärmung entzieht sich bislang den Erklärungsversuchen.

Unerklärliche Anomalie

Fest steht, dass die Temperatur der Weltmeere seit März 2023 Monat für Monat höher war als je zuvor. Traditionell erreicht die globale Meerestemperatur jeden März ein Maximum und geht bis Juni wieder deutlich zurück. Doch im vergangenen Jahr war alles anders: Die Ozeantemperaturen blieben auch im Mai und Juni auf Rekordhoch. Im August waren die Ozeane so heiß wie nie zuvor in der Messgeschichte, obwohl der August für die globalen Weltmeere gewöhnlich ein eher moderater Monat ist.

Im Februar dieses Jahres wurde der August-Rekord abermals geschlagen. All das war so in den Klimamodellen nicht vorhergesagt worden, und da es auch an einer schlüssigen Erklärung für die sprunghafte und untypische Erwärmung der Meere fehlt, sprechen Fachleute von einer Anomalie der Ozeantemperatur. Die Hinweise mehren sich, dass wir ein paar grundlegende Entwicklungen in den Weltmeeren noch nicht so richtig verstanden haben.

Für Marc Olefs, den Leiter des Departments Klima-Folgen-Forschung bei Geosphere Austria, spricht vieles für eine Kombination von natürlichen und menschengemachten Faktoren, die hinter dem abrupten Temperaturanstieg steht. „Abschließend ist das aber noch nicht geklärt“, betont Olefs. Die Treibhausgasemissionen spielen natürlich eine gewichtige Rolle, aber diese alleine erklärten „die Extremheit der Temperaturen nicht“.

Als weiterer Faktor kommt im Pazifik das Klimaphänomen El Niño hinzu. Beim Atlantik wurden wiederum „abnormale Winde“ beobachtet, die „außergewöhnlich wenig Saharastaub vom afrikanischen Kontinent über den Atlantik geweht haben, womit diese kühlenden Aerosole über dem Atlantik gefehlt haben“, sagt Olefs. „Wahrscheinlich spielen auch natürliche Fluktuationen der Meereszirkulation eine verstärkende Rolle. Wir sind alle gespannt auf die abschließenden Untersuchungen, die das dann möglichst genau einordnen werden.“

Galapagoshaie im Meer

Das maritime Leben leidet unter dem Hitzestress in den Meeren. Im Bild: Galapagoshaie vor den mexikanischenRevillagigedo-Inseln.

Der Ozean als Kriegsschauplatz

Dazu muss man wissen, dass die Meere historisch lange ein blinder Fleck für die Wissenschaft waren. Bis heute ist es so, dass wir über die Oberfläche des Mondes detaillierteres Wissen haben als über die Tiefen der Meere. Unsere Ignoranz gegenüber den Ozeanen hat auch politische und militärische Gründe. Wie die US-Wissenschaftshistorikerin Naomi Oreskes von der Harvard-Universität vor wenigen Jahren aufdeckte, wurde die Meeresforschung in den USA im Verlauf des 20. Jahrhunderts maßgeblich von der US-Navy finanziert.

So bildeten sich bis heute führende Meeresforschungsinstitutionen, die lange Zeit militärische Interessen im Blick hatten. Das hatte Folgen für die Wissenschaft. Beispielsweise wurde viele Jahrzehnte viel Aufmerksamkeit darauf gerichtet, die Meere mit Blick auf Anwendungen wie die Navigation von U-Booten zu erforschen, die Biodiversität in den Meerestiefen und die Effekte von Temperaturveränderungen wurden dagegen weniger beachtet. Strömungsdynamik und Schallforschung hatten mehr Gewicht als klimatologische Beobachtungen. „Ozeanografen hätten beim Verständnis des Klimawandels führend sein können, sie waren es aber großteils nicht. Das Mäzenatentum der Navy hilft dabei, die Gründe zu verstehen“, analysiert Oreskes. „Die Unterstützung der Navy führte zu einem umfassenden Verständnis des Ozeans als Kriegsschauplatz, aber nicht so sehr als Lebensraum.“

Korallenriff

Die Weltmeere wurden lange primär als physikalisches System erforscht und weniger als artenreicher Lebensraum erfasst. AFP/JOSEPH PREZIOSO

Tilgung unserer Klimasünden

Dass wir über den Lebensraum Ozean nur mangelnde Kenntnisse haben, ist umso bedenklicher, als die Meere eine ganz entscheidende Rolle bei der globalen Erwärmung spielen, denn sie sind unsere größten Helfer. Das Grundproblem beim Klimawandel ist, dass sich zu viele Gase in der Atmosphäre anreichern, die den Effekt haben, dass sie zwar Strahlungsenergie von der Sonne auf die Erdoberfläche treffen lassen, aber für die Wärmestrahlung von der Erde zurück ins All undurchlässig sind. Diese Treibhausgase wie CO2, Methan oder Lachgas wirken wie eine halbdurchlässige Ummantelung der Erde, die zwar den Strahlungseinfall erlaubt, nicht aber die Abstrahlung. Und blöderweise ist es so, dass unsere Energiewirtschaft nach wie vor sehr treibhausgasintensiv ist.

Ein Ausweg aus diesem Dilemma ist, Kohlenstoff zu speichern, bevor er in die Atmosphäre entweicht. Das geht zum Beispiel, indem wir Bäume pflanzen. Der effizienteste Kohlenstoffspeicher überhaupt sind die aber die Meere. Die Ozeane nehmen 90 Prozent der zusätzlich durch den Menschen verursachten Wärme auf, sie tilgen gewissermaßen den Großteil unserer Klimasünden. Würden die Weltmeere keinen Kohlenstoff mehr speichern, wäre auch das wichtige Zwei-Grad-Ziel längst überschritten. Beunruhigend ist jedoch, dass wir noch viel zu wenig darüber wissen, wie die Meere auf die Aufnahme von Kohlenstoff reagieren. Außerdem tappen wir im Dunkeln, wie sich ihre Rolle im Klimawandel durch die Temperaturanomalie verändern wird.

Folgen für alpines Wettergeschehen

Wie sich die ungewöhnlich hohen Meerestemperaturen auch auf das Wettergeschehen in Österreich auswirken, darauf gab es im Vorjahr bereits einen Vorgeschmack: „Wenn die Ozeane überhitzt sind, dann übersetzt sich das in eine deutlich erwärmte Atmosphäre, die zu mehr Wetterextremen führt“, sagt Olefs. Extreme Niederschläge außergewöhnliche Hagelereignisse, Starkregen und damit verbundene Hangrutschungen haben den vergangenen Sommer im Süden Österreichs dominiert.

Noch weitreichendere Folgen hat die Überhitzung der Meere klarerweise für die Bewohner der Ozeane. Wie auf dem Land ist auch unter Wasser das sechste große Artensterben voll im Gange. Der zusätzliche Hitzestress setzt bedrohte Meeresbewohner zusätzlich unter Druck. Durch die Erwärmung bildet sich auf der Meeresoberfläche eine Warmschicht, und Nährstoffe aus den kühleren tiefergelegenen Schichten gelangen weniger an die Oberfläche. Sie sind aber wichtig für das Wachstum von Phytoplankton, das die Grundlage der maritimen Nahrungskette bildet. Wie Wissenschafter in Miami diesen Frühling bemerken, bleibt diesmal die Frühlingsblüte des Phytoplanktons aus, was mit den unzureichenden Nährstoffen durch die zu hohen Temperaturen zu tun haben dürfte.

Gerade in Binnenländern sind die Meere für viele Menschen ferner Sehnsuchtsort und selten besuchtes Urlaubsrefugium. Wie sehr unser Verhalten die fernen Ozeane beeinflusst und wie stark unser Leben von ihnen geprägt wird, zeigt sich erst, wenn etwas aus dem Gleichgewicht gerät. Auch wenn wir noch lange nicht bis ins Letzte verstehen, was in ihren Tiefen vor sich geht, liegen die konkreten Vorschläge für Meeresschutz auf dem Tisch. Sie warten nur noch auf ihre Umsetzung.

Tanja Traxler / Der Standard

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