Kategorie Innovation & Technologie - 30. Juli 2015

Veränderlicher Komet „Tschuri“ enthält viele organische Stoffe


APA/APA/ESA

Der Komet „Tschuri“ enthält viele organische Stoffe – darunter auch vier, die noch nie auf einem solchen Himmelskörper gefunden wurden. Organisches Material ist für die Forschung wichtig, geht doch eine Theorie davon aus, dass Material von Kometen zur Entstehung des Lebens auf der Erde beitrug. Im Fachjournal „Science“ veröffentlichte Messungen deuten zudem Veränderungen am Kometen hin.

Insgesamt präsentieren dutzende Wissenschafter in sieben Artikeln in „Science“ die ersten mithilfe der Landeeinheit „Philae“ gewonnenen Erkenntnisse zum Kometen „“67P/Tschurjumow-Gerassimenko“, darunter auch österreichische Forscher. Ein Team um Fred Goesmann vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung in Göttingen berichtet über die gefundenen organischen Verbindungen. Die vier neuen Substanzen – Methyl-Isocyanat, Aceton, Propionaldehyd und Acetamid – sind recht kleine Moleküle. Alle enthalten Kohlenstoff und Wasserstoff, drei auch Stickstoff. Ein weiteres Team fand Hinweise auf größere kettenförmige Moleküle.

Die europäische Raumsonde „Rosetta“ hatte das Mini-Labor „Philae“ am 12. November 2014 nach zehnjähriger Reise auf dem Kometen abgesetzt. Statt weich aufzusetzen prallte „Philae“ mehrmals von der Kometenoberfläche wieder ab. Bei seinem ersten Auftreffen auf dem „Kopf“ des entenförmigen Kometen in der Region „Agilkia“ traf die Sonde auf eine weiche, körnige Oberfläche von mindestens 20 Zentimetern Dicke, wie ein Team um Jens Biele vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Köln berichtet. Die meisten Partikel dort hätten einen Durchmesser von höchstens einem Zentimeter.

Schwierige Kommunikation mit Sonde

Darauf können die Wissenschafter aus Daten über die weitere Flugbahn und Dämpfungseigenschaften der Beine des Landers schließen, wie Norbert Kömle vom Institut für Weltraumforschung der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Graz der APA erklärte. Da „Philae“ sich nicht festhaken konnte, gelangte das Mini-Labor mit langsamen Hüpfern auf seinen letzten Landeort namens „Abydos“.

Diese im Vergleich zum geplanten Landungsort viel schattigere Stelle erschwerte die Energieversorgung der Sonde, der nach wenigen Tagen der Strom ausging. Nachdem der Komet sich in den vergangenen Wochen immer stärker der Sonne angenähert hatte, erwachte sie am 13. Juni wieder und kommunizierte mit „Rosetta“, die den Kometen umkreist und die Verbindung zur Erde herstellt. In den folgenden Tagen „meldete“ sich der Lander insgesamt sechs Mal wieder. Seit 9. Juli erreichen Philae-Projektleiter Stephan Ulamec und sein Team aber keine Daten mehr. „Es ist ein wenig frustrierend, einen scheinbar funktionstüchtigen Lander auf der Oberfläche eines Kometen zu haben, aber nicht mit ihm kommunizieren zu können“, sagte der aus Österreich kommende Forscher zu „Science“.

Trotz der ungünstigen Lage wurden in den ersten Tagen nach der Landung Experimente durchgeführt. Bei elektromagnetischen Messungen ergab sich etwa, dass die Zusammensetzung des oberen Teils des Kometen überraschenderweise relativ homogen sein dürfte. Aufgrund des Zeit- und Energiemangels konnte nicht geklärt werden, ob die eigentümliche Form des vermutlich vor etwa 4,5 Milliarden Jahren entstandenen Himmelskörpers eine Folge von Erosion ist, oder ob er aus ursprünglich getrennten Objekten besteht.

Harte Oberfläche

Überraschend ist auch die Erkenntnis, dass „Philae“ auf einer harten Oberfläche zum Stehen oder Liegen kam. Diese Beschaffenheit dürfte auch die geplante Durchführung des MUPUS-Experiment (Multi purpose Sensors for Surface and Subsurface Science) verhindert haben, erklärte Kömle, der an dem Projekt und zwei der sieben Fachartikel beteiligt ist. Offenbar ist die Oberfläche so hart, dass der Hämmerungsmechanismus, den mit einer scharfen Spitze ausgestatteten 35 Zentimeter langen MUPUS-Stab nicht wie gewünscht im Untergrund hämmern konnte. Obwohl das System über drei Stunden hinweg bis zu 500 Hammerschläge mit steigender Energie ausgeführt hat.

Temperatur-Sensoren in den Harpunen, die „Philae“ eigentlich bei der Landung im Boden verankern sollten, und in einem anderen Instrument zeigten, dass die Tagestemperaturen auf „Tschuri“ zwischen 90 und 130 Kelvin (minus 183 und 143 Grad Celsius) liegen. Warum die Harpunen nicht abgefeuert wurden, sei noch immer unklar, so der Grazer Forscher. „Meine Hoffnung wäre, dass man die Harpunen gegen Schluss der Mission einfach doch noch schießt und damit weitere Daten erhält“, erklärte er.

Laut einem weiteren Ko-Autor einer der neuen Publikationen, dem Planetologen Karsten Seiferlin von der Universität Bern, könnte die harte Oberfläche erst vor kurzem, etwa durch die starke Strahlung in Sonnennähe, entstanden sein. Das widerspreche allerdings der Annahme, dass sich der Komet seit seiner Entstehung kaum verändert hat und somit einen Blick in die Gegebenheiten vor Milliarden Jahren ermöglicht. „Der erhoffte Zeuge der Entstehung des Sonnensystems leidet gewissermaßen an Amnesie“, so Seiferlin in einer Aussendung.

Service: http://dx.doi.org/10.1126/science.aaa9816; http://dx.doi.org/10.1126/science.aab0639; http://dx.doi.org/10.1126/science.aaa0671; http://dx.doi.org/10.1126/science.aab0689; http://dx.doi.org/10.1126/science.aab0232; http://dx.doi.org/10.1126/science.aab0464; http://dx.doi.org/10.1126/science.aab0673