Kategorie Innovation & Technologie - 3. Oktober 2016

Von „Austromir“ zum „Monddorf“


APA/APA/KATJA ZANELLA-KUX

Am 2. Oktober 1991 war es so weit: Mit dem Kommando „Sashiganije“ (Zünden) hob exakt um 6.59 Uhr MEZ Sojus-TM 13 mit dem Österreicher Franz Viehböck von der Rampe des russischen Weltraumbahnhofs in Baikonur in Kasachstan ab. Im Gepäck hatte der erste und bisher einzige Österreicher im All auf seiner „Austromir“-Mission 15 wissenschaftliche Experimente. Auch weil Österreich keine derartigen Projekte mehr verfolgt, gehen heimische Forscher Fragen zur einstigen „bemannten“, nun „astronautischen Raumfahrt“, vor allem auf der Erde nach. In der sogenannten „Analogforschung“ sei man aber vorne mit dabei, meinen Experten. Angesichts eines sich anbahnenden astronautischen Revivals im Sog möglicher Mond-Basen oder Mars-Reisen und dem Aufstieg privater Akteure könnte sich das auszahlen.

Nicht nur bei „Austronaut“ Viehböck, sondern auch in weiten Teilen der Bevölkerung blieb – wohl auch aufgrund der großflächigen medialen Berichterstattung – von „Austromir“ einiges hängen. Das gilt auch für Berichterstatter, die damals vor großen Herausforderungen standen (siehe Gastkommentar „Austromir – Reise in die Sowjet-Vergangenheit“). Was Viehböck in lebhafter Erinnerung (siehe „Franz Viehböck: Viel gelernt und mit der ‚Szene‘ verbunden“) blieb: „Das Hinausschauen aus dem Fenster (von der russischen Raumstation Mir; Anm.), das ständige Gefühl der Schwerelosigkeit. Und dann natürlich die ganzen technischen Details. Der Start, der Wiedereintritt in die Atmosphäre, die Landung“, wie er der APA anlässlich des Jubiläums sagte.

„Ich habe viel gelernt. ‚Austromir‘ hat aber auch meine berufliche Karriere komplett geändert“, sagte Viehböck, den es zwar von der Forschung in die Wirtschaft zog, dem Thema aber immer wieder begegnete. An die Tage im All wird ihn auch immer seine Tochter Carina erinnern, die nur achteinhalb Stunden nach dem Start im Krankenhaus Wiener Neustadt geboren wurde.

„Austromir“ als Erfolg ohne Fortsetzung

Für Österreichs „Weltraumpapst“ Willibald Riedler, wissenschaftlicher Leiter des Projekts, ist „Austromir“ in der Rückschau „garantiert“ ein Erfolg. „Es wurde auch im Ausland, etwa in Deutschland, sehr anerkannt, wo man sich stark an unsere Messungen angelehnt hat“, wie der mittlerweile 84-jährige langjährige Chef des Grazer Instituts für Weltraumforschung der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und Professor an der Technischen Universität Graz kürzlich betonte.

Ein wenig wehmütig gab sich Riedler (siehe „Riedler: ‚Die Angst ist ein ständiger Begleiter'“) darüber, dass es zu der auch medial damals sehr präsenten Mission keinen Nachfolger gegeben hat: „Die offizielle Bezeichnung war ja ‚Austromir 1‘ und es war durchaus beabsichtigt, zumindest von der Experimentatoren-Seite, dass man auch ‚Austromir 2‘ fliegt, weil man für jede Messung gerne eine Bestätigung hat. Aber das (Wissenschafts-, Anm.) Ministerium hat aus finanziellen Gründen Nein gesagt. Aus meiner Sicht hätte man ruhig nochmals fliegen können, schließlich haben wir auch Clemens Lothaller (der Ersatzmann von Franz Viehböck, Anm.) als Reserve gehabt.“ So war mit der Landung Viehböcks am 10. Oktober 1991 die kurze Episode der bemannten heimischen Raumfahrt auch wieder zu Ende. Trotzdem habe die Mission in einigen Bereichen nachhaltige Effekte gehabt.

Neuer Fokus

Nach Austromir ging das strategische Interesse der österreichischen Politik und somit der Forschungsförderung an „astronautischer Raumfahrt“ zurück. Man habe sich bewusst dazu entschieden, „nicht weiter in astronautische Infrastruktur zu investieren, da ein größerer volkswirtschaftlicher Nutzen der begrenzt zur Verfügung stehenden Mittel in den Bereichen Wissenschaft und Robotische Exploration, Erdbeobachtung, Telekommunikation, Navigation, Trägersysteme und (generische) Technologieentwicklung gesehen wird“, heißt es seitens des aktuell für die Raumfahrt-Agenden zuständigen Infrastrukturministeriums.

Tatsächlich sind österreichische Forschungsinstitutionen und Unternehmen in den angeführten Bereichen zu wichtigen Akteuren geworden, wie auch der Geschäftsführer der Forschungsförderungsgesellschaft FFG und aktuelle Vizevorsitzende im Rat der Europäischen Raumfahrtbehörde (ESA), Klaus Pseiner, in seinem Gastkommentar (siehe „Weltraumtechnologien prägen unseren Alltag“) darlegt. Auch innerhalb der Raumfahrtagentur nehmen Österreicher maßgebliche Funktionen ein: So wurde der 53-jährige Tiroler Josef Aschbacher heuer zum ESA-Direktor für Erdbeobachtung bestellt.

Üben auf der Erde könnte Aufschwung erfahren

Raumfahrtexperte Gernot Grömer vom Österreichischen Weltraum Forum (ÖWF) in Innsbruck sieht im Gespräch mit APA-Science die bemannte Raumfahrt wiederum aktuell in der heimischen Forschungsszene bis auf Einzelprojekte verschiedener wissenschaftlicher Institute vor allem am ÖWF und der Wiener Weltraum-Architekturplattform Liquifer tiefer verortet. Gewissermaßen ein Stärkefeld ist die „Analogforschung“ (siehe „Üben fürs All – Österreich als kleine Analogforschungs-Großmacht“), also das Erproben von Abläufen, Experimenten und vor allem Technologie für zukünftige Weltraummissionen unter möglichst extraterrestrischen Bedingungen auf der Erde.

Im Zuge des im Herbst anstehenden ESA-Ministerrats, wo die Mitgliedstaaten die zukünftige Ausrichtung der europäischen Raumfahrt definieren werden, könnte die „bemannte Komponente in Richtung Analogforschung“ gestärkt werden, so Grömer. Die Frage sei nämlich, was mit der Astronauten-Trainingsinfrastruktur (siehe „Astronautentraining: Der lange Weg ins All“) am europäischen Astronautenzentrum EAC in Köln passiert, wenn der einzige Außenposten der Menschheit im All, die Internationale Raumstation – ISS, in einigen Jahren nicht mehr weiter betrieben wird.

Die Vision des „Moon Village“

Eine bis über das Jahr 2030 hinaus reichende Vision für die Zukunft der bemannten Raumfahrt hat ESA-Generaldirektor Jan Wörner allerdings bereits bei der Hand: Seine Idee des „MOON VILLAGE“, auf Deutsch „Monddorf“, (siehe „Moon Village – die Vision für globale Kooperation und Space 4.0“) stellt er auf APA-Science in einem eigenen Gastkommentar vor.

Im Zentrum der visionären Überlegungen der ESA steht tatsächlich der Begriff „Dorf“. Denn Wörner und seinen Kollegen geht es bei ihrer Idee darum, ein möglichst allen offen stehendes Konzept für eine echte „Gemeinschaft“ auf dem Mond auf die Beine zu stellen. „Eine Dorfgemeinschaft entsteht, wenn mehrere Menschen sich an einem Ort zusammentun, ohne konkrete Zukunftspläne und Festlegung aller Details, sondern durch die offene Zusammenführung von Interessen und Fähigkeiten“, so der ESA-Chef. Und weiter: „Gerade das offene Konzept erlaubt die Beteiligung vieler Nationen, ohne die auf der Erde bestehenden unterschiedlichen Vorstellungen auf den Mond zu transportieren.“

Eine offene Plattform und „Sprungbrett“ zum Mars

Neben dem völkerverbindenden Gedanken und der Begeisterung, die durch eine derartige Perspektive bei jungen Menschen für naturwissenschaftliche Themen geweckt werden könnte, führt Wörner auch handfeste wissenschaftliche Argumente ins Treffen: „Der Mond ist aus wissenschaftlicher Sicht sehr interessant, als Archiv der frühen Erdgeschichte aber auch als Basis für ein Radioteleskop auf der Mondrückseite, um ohne die Störungen von Menschen erzeugter Signale tief ins Universum schauen zu können.“ Das „Monddorf“ könnte als ideale Testumgebung für neue Technologien und natürlich auch als „Sprungbrett“ für astronautische Missionen, wie eine Reise zum Mars, dienen.

Welche Herausforderungen ein Leben auf dem Mond mit sich bringen würde, warum dort auch „Draußen“ immer „Drinnen“ bedeuten würde oder wie es möglich werden könnte, dass die zukünftigen Mondbewohner ihre Häuser mittels Sonnenenergie und 3D-Drucker bauen, führen Liquifer-Chefin Barbara Imhof und der Weltraumarchitekt Rene Waclavicek in einem weiteren Gastkommentar (siehe „Draußen ist drinnen. Indoor leben am Mond“) aus. Nicht zuletzt werde sich von den Überlegungen auch vieles darüber ableiten lassen, wie das Überleben des Menschen auf der Erde zukünftig organisiert werden könnte und sollte. Denn auch hier wird das Leben immer stärker von Ressourcenknappheit bestimmt werden.

Nach ISS und vor „Moon Village“?

Zurück auf unserem Heimatplaneten und im Jetzt würden gerade erste Weichen für die Zeit nach der ISS und vor einer neuen „Plattform“ für den Menschen außerhalb der Erde gestellt, wie Grömer ausführte. So wurden in Köln bereits erste kleine Analogforschungs-Trainingsstätten eingerichtet. Auch das ÖWF sei hier in kleinerem Rahmen beteiligt. „Man sieht schon, dass hier etwas, womit wir in Österreich vor vielen Jahren begonnen haben, jetzt auf ESA-Seite starke Resonanz findet. Ich wünsche mir, das auch Österreichs Politik hier ein wenig mitzieht – vor allem, weil wir einiges anzubieten haben“, so der ÖWF-Chef. Mittlerweile würden bei den meisten größeren Analogforschungs-Projekten entweder bei der ÖWF oder bei Liquifer wegen Kooperationen angefragt, so Grömer: „Das ist prinzipiell sehr positiv.“

„Prinzipiell gut“ ist für Grömer auch der Trend, dass Raumfahrtagenturen wie die NASA nun „scheinbare Routinetätigkeiten“, wie etwa Versorgungsflüge zur ISS, an private Anbieter auslagern. In diesem Bereich ist etwa die deutsch-österreichische Firma „PTScientists“ tätig, die zwischen Ende 2017 und Mitte 2018 das erste private Fahrzeug auf den Mond bringen und längerfristig eine günstige Liefer-Technologie anbieten möchte, mit der auch bemannte Mondmissionen vorbereitet werden könnten. Das erklärte der technische Leiter der Firma der APA (siehe „Österreicher wollen mit erstem privaten Fahrzeug auf den Mond“).

Weltall-Geschäft: Private Partner in den Startlöchern

Wenn solche Firmen erfolgreich sind, „heißt das nämlich, dass die Raumfahrtagenturen den Rücken frei bekommen, für die nächsten Grenzen – sprich: Mond oder Mars. Ich glaube, wir stehen hier am Beginn einer ganz kleinen ‚Goldgräberstimmung‘. Noch überschätzt man allerdings die Schlagkraft mancher Einrichtungen“, sagte Grömer. Für viele Anwendungen gebe es schon einen Markt, davon zeigen sich auch die „PTScientists“ überzeugt. Etablierte Firmen würden vor in den Startlöchern stehenden neuen Anbietern mittlerweile „zittern“, so die Einschätzung des ÖWF-Chefs.

Für das gesamte Forschungsgebiet bedeute der Trend in Richtung Privatanbieter vor allem „neue Partner, die vor zehn Jahren noch nicht am Tapet waren“ und die neue Technologien, Konzepte oder Netzwerke eröffnen, „die ganz klar außerhalb der Etablierten liegen. Das ist – offen gesagt – eine Wohltat, weil eine neue Dynamisierung möglich wird“, so Grömer. Schwieriger sei es jedoch festzustellen, ob solche neuen Partner auch auf ausreichendem Qualitätsniveau arbeiten. „Wenn Dinge etwa von der ESA kommen, kann man sicher sein, dass das Hand und Fuß hat“, betonte Grömer.

Österreich könnte Nischen besetzen

Bleibt man beim Bild der „Goldgräberstimmung“, habe man mit der in Österreich gut etablierten Analogforschung „ein kleines Goldkörnchen“ am Start, das man mit geschickten Weichenstellungen seitens der Politik zum Aufblühen bringen könnte, zeigte sich der Experte überzeugt. Österreich werde auch in Zukunft natürlich keine bemannte Raumfahrt betreiben, könne sich als Nischen-Zulieferer und Ideenlieferant aber „mit der berühmten österreichischen Improvisationsfähigkeit“ positionieren.

Im Gegensatz zu anderen Weltraumtechnik-Bereichen gebe es aufseiten der österreichischen Industrie allerdings noch relativ wenige Berührungspunkte, was die astronautische Raumfahrt betrifft. Hier wolle man im Zuge des Austromir-Jubiläums und dem aus diesem Anlass heuer in Wien stattfindenden Treffens der Association of Space Explorers (ASE), im Rahmen dessen das ÖWF zusammen mit Unternehmenspartnern, wie u.a. Siemens, Airbus, Audi oder Bosch und „Austronaut“ Franz Viehböck zwischen 3. und 7. Oktober ungefähr 100 Astronauten nach Österreich bringt, eine Initiative setzen.

Astronauten sollen Interesse wecken

Am „Community Day“ am 5. Oktober werden die Weltraumfahrer aus aller Welt dann zu zahlreichen Veranstaltungen in ganz Österreich ausschwärmen. Grömer: „Wir erhoffen uns davon, den einen oder anderen Interessenten, die eine oder andere Firma zu ‚triggern‘.“ Einige heimische Firmen hätten bereits Interesse bekundet und bräuchten vor allem „Katalysatoren“, die ihnen einen Einstieg in die Branche ermöglichen. Manche Unternehmen seien nämlich „raumfahrttauglich, sie wissen es nur noch nicht“. Obwohl es nie zu Austromir 2 kam, hat sich Österreich für Franz Viehböck in Sachen Raumfahrttechnologie recht gut behauptet. „Die Beteiligung an Weltraumprojekte ist sehr beachtlich“, sagte er. Das gelte für die Wissenschaft genauso wie für die Industrie.

Neben einem Blick 25 Jahre zurück soll die Konferenz auch Wege in die Zukunft der bemannten Raumfahrt aufzeigen. „Wir wollen ein Statement dahin gehend abgeben, dass auch in Österreich bemannte Raumfahrt salonfähig ist“, resümierte Grömer.

Von Nikolaus Täuber / APA-Science

Service: Diese Meldung ist Teil eines umfangreichen Dossiers zum Thema bemannte Raumfahrt, das auf APA-Science erschienen ist: http://science.apa.at/dossier/raumfahrt.