1. August 2018
Warum wird einem beim Autofahren schlecht?
Von Alice Grancy
Viele verbindet aus früheren Jahren, als es noch auf kurvigen Straßen über Bergpässe in den Urlaub ging, dieselbe Erinnerung: „Mir ist schlecht“, tönte es irgendwann von der Rückbank. „Von dort fehlt der Blick nach vorn, wo man die Bewegung besser wahrnehmen kann. Dadurch kommt es zu einer Diskrepanz zwischen dem Gleichgewichtssinn und der visuellen Orientierung“, erklärt Andreas Lackner von der Med-Uni Graz. Soll heißen: Das im Innenohr angesiedelte, sensible Gleichgewichtsorgan spürt die Bewegung. Die etwa auf die Vordersitze fixierten Augen melden Ruhe ans Gehirn. Diese unbewusst gesendeten Informationen passen nicht zusammen und erzeugen bei manchen Übelkeit. Heute kommt das etwa auch vor, wenn die Kinder unterwegs am Handy Filme schauen oder Computer spielen.
Aber das kann freilich jedem passieren: am Schiff, im Flieger, im Lift – oder auch, wenn man im Bus oder Zug gegen die Fahrtrichtung sitzt. „Das ist eine ganz normale Reaktion. Fünf bis 15 Prozent der Bevölkerung leiden an Kinetosen, also Reisekrankheit“, sagt Lackner. Fünf bis 15 Prozent hätten damit niemals Probleme – und die verbleibenden rund 80 Prozent erlebten das nur ein bis zweimal im Leben.
Kinder sind öfter betroffen
Doch Kinder trifft es öfter: Der Altersgipfel liege zwischen zwei und zwölf Jahren, erläutert Lackner. Säuglinge hingegen würden noch nicht darunter leiden – von daher könne man einen Kindersitz im Auto sowohl in als auch gegen die Fahrtrichtung montieren. Bei ihnen entwickelt sich das Gleichgewichtssystem noch. „Erst, wenn sie die Umgebung voll erfassen, sind auch sie betroffen.“ Daher können kleine Kinder oft wild schaukeln, ohne dass ihnen übel wird. Dabei spiele aber wohl auch der Trainingseffekt mit, sagt Lackner und schmunzelt.
Tatsächlich vergeht die Reisekrankheit auf einem Schiff nach zwei bis drei Tagen wieder, der Körper gewöhnt sich also an das Schwanken. Dafür spürt, wer es nach einer längeren Zeit wieder verlässt, dass sich das Gleichgewichtssystem dann erneut auf den festen Boden einstellen muss.
Was kann man nun dagegen tun? Versuchen, einen ruhigen Standort unter die Füße zu bekommen, rät der auf Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde spezialisierte Mediziner. Wer auf einem Boot ist, kann sich helfen, indem er sich festhält – oder das Steuer übernimmt. Oder in die Mitte des Schiffs geht, wo dessen Schwerpunkt liegt, dort bewegt es sich am wenigsten. Das gilt auch für Kreuzfahrtschiffe. Ist die Küste zu sehen, hilft es, sie zu fixieren. Oder man legt sich flach hin und versucht zu schlafen. Wer empfindlich ist, sollte im Auto vorn sitzen. Nach Möglichkeit aber auch dort nicht seitlich hinausschauen und keinesfalls versuchen, sich mit Zeitunglesen abzulenken – das wirkt wie das Hantieren am Handy. In schlimmen Fällen hilft die Reiseapotheke.
In der Forschung befasst sich Lackner mit neuen Wegen, Hörstörungen bei Säuglingen möglichst früh zu erkennen. Die Mediziner hoffen, mittels Bewegungsanalysen schlafender Säuglinge Rückschlüsse auf Erkrankungen ziehen zu können. „Wir beobachten, ob es typische Bewegungsmuster gibt.“ Außerdem könnten sich Experten mittels der gefilmten Kinder rund um den Globus zu einem Fall austauschen.