Kategorie Innovation & Technologie - 20. Juli 2016
Wenn Informatiker Lego spielen
Wien – Kleine wie große Legobaumeister hätten die reinste Freude beim Anblick des Forschungslabors der Informatiker für Workflow-Systeme der Uni Wien. In roten Kisten mit vielen kleinen Fächern lagert ein buntes Sammelsurium an Bauteilen: Zahnrädchen, Verbindungsstücke, Achsen, Röhrchen, Hebelchen und allerhand andere undefinierbare Legosteine in verschiedensten Farben und Größen. Dahinter erhebt sich ein stattliches Bauwerk, dessen Details sich erst bei längerer Betrachtung erschließen. Alles erbaut aus normalen Legosteinen und der neuesten Version der Technikreihe Lego Mindstorms.
„Unser Legobauwerk stellt eine Fabrik dar, in der flexibel produziert und jederzeit auf individuelle Kundenwünsche eingegangen werden kann. Alle Maschinen werden übergreifend von einer Software gesteuert“, sagt Stefanie Rinderle-Ma, Leiterin der Forschungsgruppe Workflow Systems und Technology. „Die Idee war, unser Konzept von Industrie 4.0 anschaulich zu machen.“
Universelle Software
Eine industrielle Produktion, in der alle Maschinen und Produkte miteinander vernetzt sind und individuell gestaltete Erzeugnisse am laufenden Band ausspucken – das ist die Vision von Industrie 4.0 (siehe Wissen unten). Grundlage dafür ist das Internet der Dinge, in dem alle Objekte ein virtuelles Doppelleben führen und miteinander kommunizieren können. Weil das alles in der Praxis nicht ganz so einfach geht, haben die Wiener Informatiker eine Software entwickelt, um Abläufe möglichst flexibel gestalten zu können – egal ob in einer Fabrik, in einem Pflegeheim oder bei der Steuerung von Energiesystemen.
Erst wenn Projektmitarbeiter Florian Sterz das Softwareprogramm anwirft, erwacht auch die Legofabrik zum Leben. Ein 3-D-Drucker kann das bestellte Produkt direkt ausdrucken – den Forschern schwebt als Demo-Objekt für ihre Minifabrik aber nicht etwa „Plastikklumpert“ vor, sondern individualisierte Medizin, für die per Drucker der jeweilige Wirkstoff exakt dosiert auf eine Tablette getropft wird.
Das ausgedruckte Produkt kommt in die Fächer eines Wägelchens, das auf einer Schiene fährt – das Lager. Mithilfe von Drucksensoren, die an der Schiene angebracht sind und der Software mitteilen, wo genau sich die Ware befindet, schiebt ein Legoarm das gewünschte Teil auf ein wackeliges Förderband, von wo aus es in Richtung des „Pickers“, eine Art Saugroboter, verfrachtet wird.
Improvisiertes Kunstwerk
„Damit der Picker das Teil aufheben kann, haben wir einen Staubsauger in die Lego-Konstruktion integriert“, schildert Jürgen Mangler, ein weiterer Mastermind hinter der Legofabrik. „Als Saugglocke haben wir einen Probestrumpf aus dem Schuhgeschäft verwendet.“ Wer mit Lego-Spielen aufgewachsen ist, ist es gewohnt zu improvisieren. Noch müssen ein paar Anpassungen vorgenommen werden, damit der schwere Schlauch des ferngesteuerten Staubsaugers nicht das ganze Lego-Kunstwerk zum Einsturz bringt.
Schließlich soll der Picker das betreffende Produkt auf eine sich drehende, tellerrunde Arbeitsstation hieven, auf der es verpackt und zur weiteren Identifikation mit einem NFC-(„Near field communication“-)Chip versehen wird. Überwacht wird das alles von einer Webcam und gesteuert über programmierbare Mindstorms-Bauteile. Dabei haben die Informatiker die Lego-Software kurzerhand mit einem Linux-Programm ersetzt und mit dem Computer verbunden. „Wir können mit Lowtech relativ genau arbeiten“, sagt Mangler. „Die Software passt sich sehr schnell an eine neue Situation an, und die Maschinen kalibrieren sich selbst. Das Problem ist derzeit noch die Mechanik, nicht die Software.“
Auf dem Bildschirm sind die Maschinen und Abläufe durch kleine Symbole repräsentiert, deren Arbeitsschritte sich in Echtzeit beobachten lassen, die sich aber auch hin- und herschieben, zusammenstöpseln und austauschen lassen – wie in einem Baukastensystem. „Dadurch bleibt man einerseits flexibel und behält andererseits die Kontrolle über alle Prozesse“, sagt Rinderle-Ma.
Echtzeitdatenfluss
„Wir versuchen mit unserem System auch, die Ebene der Techniker, die üblicherweise nur die einzelnen Maschinen programmieren, mit dem mittleren und oberen Management zu verbinden, die oft abgekoppelt von der Produktionsebene arbeiten“, fügt Mangler hinzu. „Das Ziel ist ein Echtzeitdatenfluss von ganz unten bis nach oben.“
Um dem Problem, wie bereichsübergreifende Bedingungen von Anfang an in die Software von Unternehmen integriert werden können, noch weiter auf den Grund gehen zu können, wurden die Workflow-Forscher vom Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds (WWTF) mit einer Förderung in der Höhe von 500.000 Euro über drei Jahre ausgestattet. „Es geht dabei etwa um bestimmte Regeln und Anforderungen, die über alle Produkte und Prozesse hinweg eingehalten werden müssen und oft komplizierte Prüfungen erfordern“, erklärt Rinderle-Ma.
So müssen in einer Fabrik alle Maschinen ausgelastet und im Pflegeheim genügend Personal anwesend sein. Besonders wichtig ist auch die überspannende Einhaltung von Complianceregeln: „Es kann sein, dass in einer Bank jeder einzelne Prozess korrekt war, nur in Summe der Bogen überspannt wurde“, gibt Mangler ein weiteres Beispiel.
Ihr Wissen werden die Informatiker auch in dem soeben eingerichteten K1-Forschungszentrum „CDP – Austrian Center for Digital Production“ einbringen, das vom Kompetenzzentrenprogramm Comet des Wirtschafts- und Verkehrsministeriums gefördert wird. Vielleicht läuft dann auch die Lego-Fabrik schon richtig rund. (Karin Krichmayr, 20.7.2016)
Wissen: Die vierte industrielle Revolution
Die erste industrielle Revolution gelang durch die Mechanisierung mit Wasser- und Dampfkraft, die zweite durch die Produktion am Fließband, die dritte durch den Einsatz von Elektronik, die vierte soll nun durch vernetzte, selbstlernende Maschinen möglich werden: Der Begriff Industrie 4.0 wurde 2011 in Deutschland geprägt und ist seit 2014 auch in Österreich in aller Munde. Das Verkehrsministerium verpflichtete sich, entsprechende Aktivitäten mit insgesamt 250 Millionen Euro zu fördern, derzeit werden Pilotfabriken errichtet.
Vor einem Jahr wurde außerdem die Plattform Industrie 4.0 gegründet, die mittlerweile 28 Mitglieder hat, darunter auch Universitäten und Fachhochschulen. Bis 2030 soll die Effizienz der Produktion in Österreich immerhin verdreifacht werden. (red)
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