Kategorie Innovation & Technologie - 28. August 2017
Wie Industrie 4.0 in heimischen Unternehmen ankommt
Salzburg – Industrie 4.0 ist ein Thema, das die österreichischen Unternehmen nun schon seit Jahren verfolgt. Dennoch ist der Inhalt des Begriffes noch immer nicht trennscharf abgegrenzt. 68 österreichische Unternehmen, die von einem Expertenteam von Salzburg Research sowie den Unternehmen Evolaris und Syngroup in einer qualitativen Studie im Auftrag des Verkehrsministeriums befragt wurden, sehen die Frage der Definition aber auch nicht als so wichtig an. Denn der facettenreiche Prozess der Digitalisierung wird als „evolutionäre“ Entwicklung wahrgenommen, die auf verschiedensten Ebenen längst begonnen hat und mittel- und langfristig auch gut plan- und steuerbar ist.
Die Zeiten, in denen Unternehmen nach der Strategie „wait & see“ handeln konnten, das heißt nichts zu tun und zu beobachten, wie sich der Markt entwickelt, scheinen heute endgültig vorbei zu sein. „Industrie 4.0 ist definitiv ein wichtiges Thema für die strategische Ausrichtung der Wertschöpfungsketten in der Produktion und Instandhaltung geworden“, sagt Georg Güntner, Leiter des Themenfelds Industrial Internet bei Salzburg Research und Mitautor der Studie.
Aufregung und Aktionismus seien aber nicht angebracht. Vielmehr gehe es darum, „mit Pilotprojekten zu beginnen, Erfahrungen zu sammeln, zu bewerten und dann auszurollen“, sagt Güntner. Zum Beispiel Nutzungsszenarien für Datenbrillen im Unternehmen zu evaluieren, mit Anlageninspektionen mittels Drohnen zu experimentieren oder ein Pilotprojekt im Bereich Predictive Maintenance aufzusetzen.
Bei Schlotterer Sonnenschutz Systeme, einem der Teilnehmer der Studie, wurden in den vergangenen Jahren etwa sogenannte Rennstreckenprojekte durchgeführt. Dabei wurden einzelne Produktionslinien zunehmend digitalisiert und automatisiert.
Hauseigene Start-ups
Im Falle der jüngsten Produktlinie „Blinos Rollo“ (klemmbare Außenrollos) führte die Digitalisierung zur Umsetzung des Prinzips der Losgröße eins: Kunden bestellen Rollos in einem Webshop. Ihre Aufträge werden über vernetzte Systeme direkt an die Produktion übergeben. „Projekte zur Umsetzung neuer Geschäftsmodelle sollten als Intra-Entrepreneurships betrieben werden“, sagt Güntner. Das heißt, Unternehmen sollen vom Kerngeschäft getrennte Geschäftseinheiten schaffen, die sich auf das Wachstum des disruptiven Geschäfts konzentrieren – wie ein Start-up innerhalb des Unternehmens.
Solche und ähnliche Maßnahmen könnten im Unternehmen jedenfalls Bewusstsein für Industrie 4.0 schaffen. Denn häufig sind im Tagesgeschäft Digitalisierungsprozesse schon lange am Laufen – nur wurden sie nicht explizit als Industrie-4.0-Thema betitelt. Empfehlenswert ist aber, so die Studienautoren, wenn man Industrie 4.0 explizit in der Organisationsentwicklung berücksichtigt und einen Strategieprozess aufsetzt.
Wie ein solcher Prozess aussehen kann, hat Güntner selbst bei einem österreichischen Energieversorger durchexerziert. Für die Entwicklung einer Digitalisierungsstrategie wurden sechs strategische Handlungsfelder analysiert: Strategie und Organisation, Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, Betrieb und Service (Smart Factory), Organisation der Produktion (Smart Operations), vernetzte Produkte (Smart Products) und Data-driven Services.
Wenn man das Gesamtthema in kleinere Analyseeinheiten aufteilt, wird Industrie 4.0 überschaubar und die Vielfalt an Ansätzen greifbarer. Die entstehenden Teilprojekte sind ressourcenmäßig abgrenzbar und anhand von strategischen Vorgaben bewert- und priorisierbar. Dabei zeigt sich, dass der zeitlich Horizont der Maßnahmen durchaus unterschiedlich sein kann: Während man etwa bei der Entwicklung und Förderung der digitalen Kompetenz der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen über einen Zeitraum von zehn Jahren denken könne, wäre laut Güntner bei Strategiezielen in der Produktion oder bei Produkten schon mit ein bis drei Jahren das Ende der Fahnenstange erreicht. „Bei dem Tempo digitaler Entwicklungen würde man bei längeren Zeithorizonten schnell alt aussehen“, sagt Güntner.
Ein Mangel an gut ausgebildeten Mitarbeitern, die man für das Thema Industrie 4.0 einsetzen könnte, wird von vielen Unternehmen angeführt. „Das ist auch als ein Auftrag an die Politik zu sehen, die notwendigen Rahmenbedingungen für die Ausbildung zu schaffen“, sagt Güntner.
Ein weiterer wichtiger Punkt, der in den Unternehmen jetzt auffällt: die Datensicherheit. Durch die Vernetzung von Produktionsanlagen mit dem Internet kommt auf Unternehmen eine Reihe von Sicherheitsfragen zu. Es ist zwar ein Vorteil, dass Anlagen ihre Daten in die Cloud schreiben, um prädiktive Analyse und Fernwartung zu ermöglichen. Gleichzeitig schafft man ohne geeignete Sicherheitsstrategie für Hacker eine Möglichkeit, sich Zugriff auf die Anlagen zu verschaffen und negativen Einfluss auf die Produktionsprozesse zu nehmen. Insgesamt, so Güntner, sehen die österreichischen Unternehmen Industrie 4.0 aber keineswegs mit unlösbaren Problemen verbunden: „Industrie 4.0 wird als Herausforderung angenommen und als Chance verstanden.“ (Norbert Regitnig-Tillian, 26. 8. 2017)