Kategorie Klima- & Umweltschutz - 24. Oktober 2020
75 Jahre Vereinte Nationen: Interview mit Harald Egerer, Leiter der Wiener Dependance des UN-Umweltprogrammes
Vor einem Dreivierteljahrhundert wurden die Vereinten Nationen (UN) gegründet. Jedes Jahr wird am 24. Oktober der Tag der Vereinten Nationen begangen. Der 1948 eingerichtete Welttag erinnert an den Gründungstag der UNO. 1955 ist Österreich den Vereinten Nationen beigetreten, bald drauf kam mit der Atomenergiebehörde (IAEO) 1957 auch die erste UN-Organisation mit ihrem Hauptsitz nach Wien.
Seit 1979 gehört Wien neben New York, Genf und Nairobi zu einem der vier Amtssitze der Vereinten Nationen. Residiert und gearbeitet wird seitdem im Vienna International Centre (VIC), im allgemeinen Sprachgebrauch besser bekannt als UNO City. 5.000 Menschen aus mehr als 125 Ländern arbeiten für die in Wien ansässigen Organisationen der UN. Die Förderung des globalen Umweltschutzes steht hier weit oben auf der Agenda.
Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (United Nations Environment Programme, UNEP) wurde 1972 gegründet und hat seinen Sitz in Nairobi (Kenia). Es ist keine UN-Sonderorganisation, sondern ein Unterorgan der Generalversammlung und wird oft als das Umweltgewissen der Vereinten Nationen bezeichnet. Das UNEP soll in erster Linie als Katalysator der UN-Umweltaktivitäten dienen und ist die einzige ausschließlich mit Umwelt befasste Einrichtung der Vereinten Nationen. Laut Mandat identifiziert und analysiert es dabei Umweltprobleme, arbeitet Grundsätze des Umweltschutzes aus, entwickelt regionale Umweltschutzprogramme und unterstützt Entwicklungsländer beim Aufbau von eigenen, nationalen Programmen zum Umweltschutz. Alle zwei Jahre gibt die Organisation einen Bericht über die Umweltsituation der Welt heraus, in dem sie Schäden und Entwicklungen festhält.
A third of the Earth’s surface is covered by forests.
And all the world’s forests have 2️⃣ things in common:
they are dominated by trees and vital to life on the planet.Take a #WildForLife virtual journey to learn more about them at https://t.co/EjwetaPSwd#BetterWithForests pic.twitter.com/auUsS75xVN
— UN Environment Programme (@UNEP) October 22, 2020
Neben dem Europa-Sitz in Genf, hat die UNEP auch ein Büro in Wien, welches seit 2004 von Harald Egerer geleitet wird. Das Büro des UN Umweltprogrammes ist zugleich Verbindungsstelle zu anderen in Österreich angesiedelten internationalen Organisationen, wie den Sekretariaten der Alpenkonvention und der Internationalen Kommission zum Schutz der Donau, es unterstützt das UNEP bei der Zusammenarbeit mit dem Regionalen Umweltzentrum für Mittel- und Osteuropa (REC) sowie mit anderen Organisationen und Institutionen der Vereinten Nationen in Wien.
Besonderes Augenmerk liegt in der Wiener Dependance auf der Zusammenarbeit zum Umweltschutz und für eine nachhaltige Entwicklung zwischen den Ländern in Südosteuropa und im Kaukasus. Es ist zudem Umweltreferenzzentrum der Sitz des Osteuropa-Zentrums der Mountain Partnership.
Wir haben Harald Egerer, den Leiter des Wiener Büros der UNEP gefragt, was die Errungenschaften und was die Herausforderungen des UN-Umweltprogrammes sind:
75 Jahre Vereinte Nationen – welche Meilensteine in der Umwelt- und Klimapolitik liegen zwischen dem offiziellen Gründungsdatum der UNO, dem 24. Oktober 1945, und heute, dem 24. Oktober 2020?
Im Bereich der internationalen Zusammenarbeit waren Umwelt und Klimaschutz lange Zeit keine Themen. Das zeigt sich zum Beispiel daran, dass das Internationale Übereinkommen zur Regelung des Walfangs, abgeschlossen im Jahr 1946, auf den Schutz des Walbestandes abzielte, um die Entwicklung der Walfangindustrie nicht zu hemmen.
Man sieht, dass die Umwelt- und Klimapolitik stetig an Fahrt aufgenommen hat:
1948 wurde die Weltnaturschutzunion IUCN gegründet, 1952 und 1961 sind die Gründungsjahre der Alpenschutzinitiative CIPRA und des WWF. 1971 wurde das Übereinkommen zum Schutz der Feuchtgebiete (Ramsar-Konvention) geschlossen und 1973 das Washingtoner Artenschutzabkommen unterzeichnet. Ein ganz wichtiger Meilenstein passierte kurz zuvor: 1972 fand in Stockholm die erste „Konferenz der Vereinten Nationen über die Umwelt des Menschen“ oder auch Weltumweltkonferenz statt. Sie kennzeichnet den Beginn der internationalen Umweltpolitik. Hier beschlossen die Vertreterinnen und Vertreter von 113 Staaten auch die Gründung des UN Umweltprogrammes (UNEP).
1991 folgte die Unterzeichnung der Alpenkonvention. Im Jahr 1992 fand die „Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung“, die auch als Erdgipfel oder Rio-Konferenz bezeichnet wird, statt. Hier wurde das Übereinkommen über die biologische Vielfalt (Biodiversitätskonvention) unterzeichnet. Diese Konferenz in Rio gab eine Richtung vor: Das Konzept der nachhaltigen Entwicklung sollte zum internationalen Leitbild werden. Im gleichen Jahr, also 1992, wurde das Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen in New York unterzeichnet. 2002 fand der Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung in Johannesburg statt. Mit dem Aktionsprogramm Agenda 21 wurden Handlungsempfehlungen für eine nachhaltige Entwicklung ausgesprochen. Das für 2002 von der UNO ausgerufene Jahr der Berge führte zur Entwicklung und den Abschluss der Karpatenkonvention 2003, die dem Modell der Alpenkonvention folgte. 2004 eröffnete UNEP mit der Unterstützung Österreichs das UNEP Büro in der Wiener UNO-City, das auch das Sekretariat der Karpatenkonvention beherbergt.
Eine Erkenntnis auf diesem Weg bis in die frühen 2000er Jahre war aber auch: Die Erfolge aus den Bemühungen in der Klima- und Umweltpolitik sind nicht so schnell sichtbar, wie wir es uns wünschen würden. Rio plus 20, die UN-Konferenz für nachhaltige Entwicklung in Rio de Janeiro im Jahr 2012 war das nächste Großevent und bot Anlass Bilanz zu ziehen. Wir haben gesehen, dass nicht alle Ziele erreicht worden sind, aber die Vertreterinnen und Vertreter der mittlerweile 191 Staaten machten in einer rund 50 Seiten starken Erklärung unter dem Titel „Die Zukunft, die wir wollen“ Bekenntnisse zu mehr Umweltschutz und Armutsbekämpfung. Hier wurde der Weg zu den gemeinsamen Nachhaltigkeitszielen (SDGs) bereitet, die 2016 in Kraft traten. Ein Jahr davor, 2015, wurde das Pariser Klimaabkommen geschlossen. Damit haben wir einen globalen Rahmen für den Kampf gegen den Klimawandel und das gemeinsame Ziel, die Erderwärmung auf deutlich unter 2°C zu halten. Dieses Übereinkommen ist die erste umfassende und rechtsverbindliche weltweite Klimaschutzvereinbarung.
Derzeit bereiten wir uns auf Stockholm+50 vor: die Weltumweltkonferenz im Jahr 2022, 50 Jahre nach jener in Stockholm.
Mit dieser Historie sollten einige Meilensteine beleuchtet werden. Wir sehen, dass viel geschafft wurde, aber auch, dass wir vor Ernüchterung über den Zustand der Entwicklungen im Umwelt- und Klimaschutz nicht gefeit sind.
🆕 "State of Nature in the EU" report by @EUEnvironment highlights the #NatureCrisis in Europe, which could jeopardize our economy, our future
Nature is watching us & needs us like never before#EUBiodiversity #EUGreenWeek #EUGreenDeal #GreenEuropehttps://t.co/WKbj05rJtn
1/3 pic.twitter.com/UuV1Y4RXC1— EU Environment (@EU_ENV) October 19, 2020
Welche Erfolge der UNO in den Bereichen der Umwelt- und Klimapolitik sind Ihrer Meinung nach die größten?
1950 lebten rund zwei Milliarden Menschen auf der Erde, 1970 waren es circa vier Milliarden und heute liegt die Zahl der Weltbevölkerung bei knapp acht Milliarden Menschen. In den 80er Jahren lebten 40 Prozent der Menschen in absoluter Armut, heute sind es 10 Prozent. Wir haben Erfolge in den Bereichen der Abfallvermeidung und bei der Regulation von Chemikalien erzielt, wir arbeiten für mehr Umwelt- und Klimabewusstsein und generell für eine Umwelt, die den Menschen zuträglich ist. Ich denke, die Lebenssituation für sehr viele Menschen hat sich deutlich verbessert. Das sehe ich als großen Erfolg.
Wo sehen Sie noch Aufholbedarf?
Wir leben in einer Zeit, in der wir die Verantwortung für den Klima- und Umweltschutz nicht von uns weisen können. Wir sind aufgefordert zu gestalten. Klimaschutz, Artenschutz und Umweltschutz sind drei große Aufgaben, im UNEP-Jargon sprechen wir von einer „Triple-Crisis“, die es zu bewältigen gilt. Trotz intensiver Bemühungen schreitet der Verlust der Biodiversität voran. Diesen gilt es zu stoppen. Wir sehen, wie sich unsere Umwelt rasant verändert. Bergökosysteme, wie die Alpen oder die Karpaten, aber auch alle anderen Bergregionen weltweit, sind verletzliche Gebiete und von diesen Veränderungen besonders betroffen.
Viele Strategien und Programme zielen auf das Jahr 2030 ab. Was soll bis dahin aus Ihrer Sicht erreicht werden?
Hier geben die 17 Entwicklungsziele (SDGs) der „Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung“ ganz klar die Richtung vor. Diese 17 Ziele gelten für alle, mittlerweile 193 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen und umfassen soziale, ökologische und ökonomische Aspekte. Konsum und Produktion sollen nachhaltig sein. Wir brauchen wirksame Maßnahmen im Kampf gegen den Klimawandel. Meeresökosysteme und Landökosysteme sollen wirklich nachhaltig geschützt werden und generell soll dem Verlust der Ökosysteme ein Ende gesetzt werden. Wir wollen Bodendegradation, also die Verschlechterung der Ökosystemdienstleistungen des Bodens verhindern. Derzeit arbeitet die Weltgemeinschaft an einem globalen Rahmenwerk für die biologische Vielfalt nach 2020 (post2020) mit Schutz- und Wiederherstellungszielen für die nächsten Jahrzehnte.
Was müsste getan werden, um die erwünschten Erfolge bis 2030 zu erzielen?
Es braucht bessere Finanzierung und eine bessere Implementierung von bestehenden Vorgaben. Wir müssen die Lücke zwischen sich entwickelnden und entwickelten Ländern schließen und im Schulterschluss die Herausforderungen annehmen. Beispielweise tragen derzeit nur 63 Staaten zum Umweltfonds der UN bei. Klima- und Umweltschutz dürfen kein Luxus sein. Die internationale Zusammenarbeit muss weiter gestärkt, und internationale Verpflichtungen sollten effizienter umgesetzt werden.
Wie spüren Menschen die Klima- und Umweltpolitik der UNO in ihrem Alltag?
Ich denke, man sieht und spürt die Auswirkungen dieser Politik ständig: Beispielsweise in Form von Solarpaneelen am Dach der Nachbarin (oder am eigenen), in der Gestalt von Windrädern, wir merken, dass Autos und Gebäude effizienter werden, dass wir Abfall besser recyceln können, wir werden vor gefährlichen Chemikalien geschützt, wir dürfen keine gefährdeten Tierarten einführen und Fluor-Chlor-Kohlenwasserstoffe, die die Ozonschicht schädigen, sind in der EU verboten – um nur ein paar Beispiele zu nennen. Hier sind natürlich viele Bereiche der EU-Politik genannt, aber diese Maßnahmen entspringen der UNO-Politik.
Österreich unterstützt andere Staaten in deren Bemühungen zur Klima- und Umweltpolitik, in dem es zum globalen Klimafonds beiträgt, in dem das Umweltprogramm der Vereinten Nationen unterstützt wird, oder Projekte im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit realisiert werden. Darauf kann man meiner Meinung nach wirklich stolz sein.
Und einen Punkt möchte ich auch noch erwähnen: Die internationale Klima- und Umweltpolitik spürt man auch dadurch, dass es grenzüberschreitende Zusammenarbeit gibt, dass Naturschutz nicht an den Grenzen Halt macht. Das ist wirklich essentiell.
Zum Abschluss: Wie sieht ein Tag als Leiter des UN-Umweltprogrammes in Wien aus?
So ein Tag ist schon spannend. Vor der COVID-19 Krise bin ich sehr viel gereist: zum Beispiel nach Osteuropa, oder in unser Büro der Vereinten Nationen in Kenia. Ich bin bei vielen Sitzungen, halte Vorträge und nehme an Konferenzen teil. Ich habe also repräsentative Aufgaben, aber auch zahlreiche administrative: Ich schreibe und beantworte täglich wirklich viele Mail und kümmere mich um die Abwicklung von Projekten. Derzeit sieht mein Alltag so aus, dass eine Video- oder Telefonkonferenz die andere jagt.
Aktuell lernen wir, wie wir miteinander arbeiten können, auch wenn wir nicht um die Welt reisen. Für mich ist das auch eine Chance. Ich sehe Reduktionspotenzial für die Zeit nach dieser Krise. Sie zeigt uns ganz klar die Grenzen der Umwelt auf und ich denke, daraus sollten wir lernen: einerseits im Großen, im Sinne des Aufbaues von Widerstandsfähigkeit und Bewältigungskraft und andererseits im Kleinen, in dem wir versuchen, auch in unserem Arbeitsalltag weniger CO2 zu produzieren.